Neuhaus: Wo sollen die anerkannten Flüchtlinge leben?

17.4.2016, 11:51 Uhr
Neuhaus: Wo sollen die anerkannten Flüchtlinge leben?

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Denn anerkannte Flüchtlinge müssen die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen und auf dem angespannten Wohnungsmarkt eine neue, bezahlbare Bleibe finden. Ansonsten droht ihnen die Obdachlosigkeit.

Für die Mitarbeiter der Abteilung für Soziales am Landratsamts heißt es Durchschnaufen. Strömten im Spätsommer 2015 in der Hochphase der Flüchtlingszuzüge über 250 000 Menschen im Monat nach Deutschland, waren es im März 2016 nur 20.000.

Auch im Nürnberger Land hat das die Lage deutlich entspannt. Ende 2015 mussten noch fast 100 Personen pro Woche untergebracht werden, derzeit kommen kaum Menschen hier an. Null Zugänge verzeichnete Sachgebietsleiter Wolfgang Röhrl vergangene Woche, in der davor waren es sieben.

Man befinde sich in einer „Konsolidierungsphase“, sagte er. Das heißt, dass weiterhin dezentrale Unterkünfte neu eröffnet werden, unter anderem in Ottensoos. Weitere elf Standorte sind in Planung und gehen im kommenden halben Jahr an den Start. Neue Angebote an Gebäuden würden zwar genau geprüft, „aber wir treten kürzer und warten ab, bis der Bedarf wieder steigt“, wovon auszugehen sei.

Von den 2363 Betten in Gemeinschafts-, Not- und dezentralen Unterkünften im Kreis sind derzeit zwischen 1900 und 2000 belegt. Aktuell gelte es vor allem, die 260 Menschen, die in Notunterkünften leben, auf dezentrale Häuser zu verteilen.

Immer mehr „Fehlbeleger“

Immer stärker beschäftigen Röhrl die sogenannten „Fehlbeleger“, wie die Menschen nüchtern bezeichnet werden, die bereits einen Anerkennungsbescheid haben, aber noch nicht aus den Flüchtlingsunterkünften ausgezogen sind. Deren Zahl ist zuletzt drastisch gestiegen: von rund 40 auf 190 Personen. Das liegt vor allem daran, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sein Personal aufgestockt hat und die Bescheide schneller bearbeitet. Oberstes Ziel müsse es nun sein, dass diese Menschen „in eigenen Wohnraum überwechseln“, sagt Röhrl.

Doch der ist gar nicht so einfach zu finden. Wohnungen sind vor allem in den Ballungsräumen knapp und teuer, die wenigen günstigen hart umkämpft. Wenn die anerkannten Flüchtlinge nun hinzukommen, könnte die Situation geradezu dramatisch werden, prophezeien zahlreiche Experten und warnen vor Tausenden neuen Obdachlosen.

Damit es im Nürnberger Land nicht so weit kommt, wird inzwischen wieder laut über sozialen Wohnungsbau nachgedacht. Nach dem Boom in den 50er- bis 70er-Jahren wurde kaum noch in solche Projekte investiert und günstiger Wohnraum immer mehr zur Mangelware. Es fehlten die Anreize und so legten private Investoren ihr Geld lieber in lukrativen Luxusimmobilien und Reihenhäusern an.

Deshalb hat der Freistaat mit dem Wohnungspakt Bayern nun ein Förderprogramm konkret für Sozial- und Studentenwohnungen gestartet, das sich neben privaten Investoren auch an Kirchen, Wohlfahrtsverbände und bauwillige Kommunen richtet.

Gerhard Binner von der Regierung von Mittelfranken stellte den Rathaus­chefs die Initiative vor, deren Ziel ist, bis 2019 28 000 neue, staatlich geförderte Mietwohnungen zu schaffen. Dafür hat der Freistaat 2,6 Milliarden Euro in den Fördertopf gepackt. Zudem winken steuerliche Vorteile und eine attraktive Abschreibung. Die Kommunen sollen im Gegenzug eigene Grundstücke einbringen, neues, zweckgebundenes Bauland ausweisen oder gleich selbst bauen.

Skeptische Rathauschefs

Eine Lösung auch für das Nürnbeger Land? Die Bürgermeister sind skeptisch. „Bei Bodenpreisen von 200 bis 300 Euro pro Quadratmeter wird es schwer mit sozialem Wohnbau“, glaubt Bruno Schmidt aus Reichenschwand. „Das Geld ist nicht in öffentlicher, sondern in privater Hand“, sagt Klaus Hacker aus Röthenbach. Dass kleine Kommunen selbst einsteigen, kann er sich kaum vorstellen. Das bestätigte sein Kollege Klaus Falk aus Ottensoos.

Die wenigen freien Grundstücke in der 2000-Seelen-Gemeinde sind teuer und gefragt. „Da versuche ich lieber, diese Flächen für Menschen zu nutzen, die dann auch wieder in unser System einbezahlen“, sagt Falk: Er sehe sonst die Gefahr einer Neid-Debatte. „Schließlich hatten wir auch schon vor den Flüchtlingen einen Wohnungsnotstand, aber erst jetzt geht‘s voran.“

„Die Kommunen haben genug eigene Aufgaben“, findet Frank Pitterlein aus Schnaittach. Platz gäbe es hier genug (14 Prozent des Wohnraums im Kernort stehen leer) und auch Investorenanfragen gibt es – allerdings für lukratives Seniorenwohnen, nicht für soziale Projekte. Hier müsse der Staat ansetzen.

Erich Odörfer aus Altdorf kritisierte, dass hohe Denkmalschutzauflagen Bauvorhaben erschwerten, Gerhard Kubek aus Henfenfeld, dass manche Kommunen von Landschaftsschutzgebieten regelrecht umzingelt seien. Und Bruno Schmidt sprach die Angst vieler Bürger vor einer „Ghettobildung“ an.

Noch einmal ganz andere Probleme plagen Perry Gumann aus Simmelsdorf: Je weiter eine Kommune von der Stadt entfernt ist, desto mehr will der Investor mitreden. „Hier außen muss ich ja schon froh sein, wenn ich überhaupt einen Investor finde.“

Dass Kommunen zögern, liegt auch an der fehlenden „Wohnsitzauflage“ für Flüchtlinge, glaubt Landrat Armin Kroder. Kommunen befürchteten, dass anerkannte Asylbewerber in die Großstädte abwandern und sie auf den Wohnungen sitzenbleiben. Derzeit wird diskutiert, ob Anerkannte, solange sie Sozialhilfe empfangen, an den Wohnort gebunden sein sollten. Das Problem werde sich nicht von selbst lösen, so der Landrat weiter. Man dürfe zwar keine Drohkulisse mit den Fehlbelegern aufbauen, doch wenn diesen die Obdachlosigkeit drohe, sei rechtlich gesehen die Gemeinde zuständig.

Die Integration in den Arbeitsmarkt laufe schleppend, vor allem wegen des Arbeitsschutzes, sagen einige Bürgermeister. In Schnaittach übernahmen Asylbewerber die Aufsicht im Freibad. Der Kirchensittenbacher Bauhof würde gerne Asylbewerber beschäftigen, doch die Gemeinde hat keine eigene Unterkunft.

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