Schneider-Oratorium: Musik zwischen zwei Epochen
23.3.2015, 18:21 UhrSchneiders knapp 75 Minuten langes Werk ist Musik zwischen den Epochen; zwischen dem wuchtigen Aplomb der Wiener Klassik, wie ihn Ludwig van Beethoven vertrat, und dem feineren Pinselstrich der Frühromantik à la Felix Mendelssohn Bartholdy.
Jörg Fuhr fügt mit seinem Ensemble – der Bartholomäus-Kantorei, der Vogtland-Philharmonie Greiz-Reichenbach sowie den Solisten Eva-Maria Peter (Sopran), Bernadetta Michaldo-Fuhr (Mezzosopran), Ewald Bayerschmidt (Tenor) und Tobias Freund (Bariton) – dem historischen Spannungsfeld eine weitere Dimension hinzu: In dieser Aufführung wird bisweilen schon die emotionale Wucht der Spätromantik, die Orchesterfarben Johannes Brahms’ und das dichte Geflecht von Bezüglichkeiten, wie es Gustav Mahler zu knüpfen pflegte, vorweggenommen.
Geringe Akzeptanz
„Gethsemane und Golgatha“ erklingt in der Pegnitzer Bartholomäuskirche deutschlandweit erst zum zweiten Mal. In seiner Entstehungszeit war dem Oratorium wenig Akzeptanz beschieden. Was wohl daran lag, dass die Chorwerk-Konkurrenz zu stark war. Denn hinsichtlich des melodischen Einfallsreichtums, der überlegten Faktur — dem kunstgerechten Aufbau einer Komposition — und des dramatischen Impetus muss sich „Gethsemane und Golgatha“ nicht hinter den bekannten Kompositionen des Genres verstecken. Zumal Friedrich Schneider in dieser dichten Meditation über das Leiden und den Kreuzestod Christi ganz unverhohlen dem großen Vorbild Johann Sebastian Bach die Reverenz erweist.
Nicht nur, dass Schneider Choräle analog zu Bachs großen Passionen als zentrale handlungstragende Elemente einsetzt — im Schlusschor hat er sogar eine Fuge eingebaut, um einen apotheotischen Höhepunkt zu erreichen.
Dennoch ist dieses Stück kein „schwerer Stoff“, atmet es die melodieselige Schwerelosigkeit der Romantik ebenso, wie deren wohlige Düsternis: Die Passionsgeschichte als großes Kino, lange bevor die bewegten Bilder überhaupt erfunden waren.
Verborgene Kitsch-Klippen
Jörg Fuhr umgeht mit zügigen Tempi und sorgsam geschärfter Rhythmik die Gefahr, das Werk mit dem seidig aufspielenden Orchester zu gefühlig über die Rampe zu bringen und an den hier nicht allzu weit unter der polierten Oberfläche verborgenen Kitsch-Klippen Schiffbruch zu erleiden.
Die rationale Steuerung hat immer das Primat, der Chor demonstriert bei Bedarf — und nur dort, wo es inhaltlich sinnstiftend ist — Strahlkraft und sahnige Intonations-Präzision. Mit der leichten Kehligkeit der Männerstimmen wird man wohl auch in Zukunft leben müssen, denn die wirklich durchschlagskräftigen Tenöre und Bässe sind, zumal im Kantoreibetrieb, selten geworden.
Umso erfreulicher das Bild, welches das Solistenquartett abgibt. Textverständlichkeit, saubere Artikulation und schierer Stimmglanz bleiben in stabiler Balance.
Ewald Bayerschmidt zeigt mit weichem Timbre und punktgenauen Spitzentönen, dass ein tenoraler Jesus Würde haben kann. Tobias Freund gelingt mit balsamischer Grundierung der schwierige Spagat zwischen Judas-Verschlagenheit und Pilatus-Seelenqual.
Ätherisch die beiden Frauenstimmen: Bernadetta Michaldo-Fuhr und Eva-Maria Peter haben die Gefilde, in denen Erdenschwere eine Rolle spielen würde, hinter sich gelassen. Wenn sie im Duett einen Dialog zwischen Himmel und Mensch, zwischen sterblichen Selbstzweifeln und göttlicher Heilsgewissheit zelebrieren, dann scheint Erlösung nicht länger ein spirituelles Konstrukt, sondern ein real erreichbarer Seinszustand zu sein. Tröstlich.
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