Senivita Pegnitz: Unzufriedenheit mit 5.0-System

30.4.2016, 08:55 Uhr
Senivita Pegnitz: Unzufriedenheit mit 5.0-System

© Foto: Ralf Münch

„Da geht es nur eiskalt ums Geld“, sagt ein ehemaliger Angestellter. „Man hört ständig von der Heimleitung: ,Das ist nicht im Budget‘‘‘, sagt die Frau eines ehemaligen Bewohners und meint damit in den Leistungen, welche die Bewohner für sich buchen.

Sie sagt auch: „Die Leute sehen schmutzig aus.“ Es sind schwere Vorwürfe, die Angestellte und Angehörige erheben. Schuld daran ist ihrer Meinung nach das System namens Senivita 5.0. Sie alle wollen anonym bleiben, aus Angst vor eventuellen Folgen, die eine Namensnennung nach sich ziehen kann.

Senivita-Geschäftsführer Horst Wiesent hat vor sieben Jahren begonnen, seine Einrichtungen umzustellen. „Meine Motivation war, eine angemessene Wohnsituation zu schaffen“, sagt er. Wo die Bewohner vorher stationär gepflegt wurden, werden sie jetzt ambulant in ihren Wohnungen, die sie anmieten, versorgt. Der ambulante Dienst ist gleich mit im Haus — zwar gibt es pro forma eine Wahlmöglichkeit, doch alle Bewohner haben sich für den Dienst im Haus entschieden.

Mit der Umstellung hat sich auch das Bezahlsystem verändert. Vorher war es ein fester Satz, in dem alle Leistungen inbegriffen waren. Jetzt zahlen die Senioren die Miete für ihre Wohnung. Zusätzlich können sie Leistungen buchen, wie nächtliche Rundgänge des Pflegepersonals, die Reinigung des Rollstuhls, Essen aufs Zimmer oder den Wäscheservice. Vereinfacht gesagt heißt das: Wer nicht auf Pflege angewiesen ist, zahlt weniger als diejenigen, die sich nicht mehr um sich kümmern können.

Margarete Fahle kann sich noch selbst versorgen. Für ihr 35-Quadratmeter-Zimmer mit Bad und Kochzeile zahlt sie 529 Euro Miete. Auf die Frage, wie es ihr in ihrer Wohnung gefällt, gerät sie ins Schwärmen. „Es ist hell, groß, ich kann machen, was ich will, und man wird gut versorgt. Ich bin jetzt zwei Jahre da und habe es nie bereut.“ Als sie das sagt, stehen im Zimmer auch Vertreter von Senivita, darunter die Leitung und Horst Wiesent. Die 85-jährige Margarete Fahle erzählt, dass sie den Notrufknopf immer in der Hosentasche hat. Nur eine Sache gebe es, die sie stört: „Die lassen mich nicht rauchen“, meint sie und lacht.

*Einer der Vorwürfe, die Betroffene im Gespräch mit den Nordbayerischen Nachrichten gegenüber Senivita immer wieder erheben, ist, dass das neue System deutlich teurer ist. Doch wenn man den Zahlen vertraut, stimmt es nicht, dass die Kosten für die Bewohner gestiegen sind — die Redaktion hat anonymisierte Unterlagen vorliegen, in denen die Kosten für den einzelnen Bewohner aufgeführt sind.

Der Pegnitzer Rechtsanwalt Manfred Vetterl sitzt im Senivita-Aufsichtsrat. Er hat eine Erklärung, warum die Leute über höhere Kosten klagen: Im Satz der stationären Pflege seien alle Leistungen inbegriffen gewesen. Jetzt müssten die Bewohner einzelne zusätzliche Leistungen bezahlen, die dann mehr im Fokus stünden. „Dann heißt es: ,Man kann doch nicht fürs Raufführen von der Tagespflege Geld verlangen. Für die Kleinigkeit.‘‘‘

Es seien nur die Bewohner, die das alte System noch kennen, die sich beschweren. Die anderen seien begeistert. Er vergleicht das System mit gesetzlichem und privatem Versicherungssystem. „Was der Bewohner dabei spart, nimmt er nicht wahr“, sagt er. Unterm Strich zahle der Bewohner weniger.

Wiesent gibt sich schockiert über die Vorwürfe. Er vermutet eine Kampagne gegen sich. Und wird im Gespräch mit den Nordbayerischen Nachrichten nicht müde, sein System zu loben. „Ich bin persönlich überzeugt, das ist eine tolle Sache für den Menschen“, sagt er. „Ich werde unfair behandelt, ich mache ein tolles System.“ In fünf, zehn Jahren werde das System Standard in der Pflege, da ist er sich sicher.

*Neben den Vorwürfen der Angestellten und Angehörigen gibt es den Bericht des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Weil die Einrichtung in der Milchhofstraße mit der Umstellung auf Senivita 5.0 nicht mehr als Heim gilt, ist nicht mehr die Heimaufsicht, sondern nur noch der MDK für die Kontrollen zuständig. Ein ehemaliger Mitarbeiter findet das bedenklich. „Früher gab es viele Kontrollen. Man hatte etliche Listen, die man abhaken musste. Das ist jetzt alles hinfällig“, sagt er.

Nun überprüft der MDK je einmal pro Jahr Tagespflege und den ambulanten Dienst in kurzen Abständen. Bei der letzten Prüfung hat Senivita in Pegnitz bei den pflegerischen Leistungen mit 1,7 abgeschnitten. Heike Franzen-Krapoth, Leiterin externe Qualitätssicherung MDK Bayern, erklärt, dass die 1,7 sich nicht am Schulnotensystem orientiert. „Es ist so, dass die 1,0 letztlich nur aussagt, dass die Einrichtung die Mindeststandard-Vorgaben erfüllt hat. Eine 1,7 heißt also nicht unbedingt, dass die Mindeststandards erfüllt sind“, sagt die Expertin. Sie meint weiter: „Schon ab 1,1 muss sich eine Einrichtung Gedanken machen, was nicht stimmt.“ Insgesamt erreicht Senivita in Pegnitz eine 1,3. Der Durchschnitt in Bayern liegt bei 1,2.

Um die pflegerischen Leistungen zu beurteilen, führen Mitarbeiter des MDK Gespräche mit einer Handvoll Bewohner, die stichprobenartig ausgewählt werden. Während viele Kriterien mit 0,0 bewertet sind — das Thema wurde bei der Prüfung nicht abgefragt —, liegt Senivita bei den meisten bewerteten Kriterien zwischen 1,0 und 1,9.

Ein Kriterium bildet allerdings einen Ausreißer: Bei der Frage „Werden die Angehörigen über den Umgang mit demenzkranken Pflegebedürftigen im Rahmen der Leistungserbringung informiert?“, schneidet Senivita mit einer 5,0 ab. „Sehe ich bei einem Thema, das mir als Angehöriger wichtig ist, eine 5,0, würde ich bei der Einrichtung nachfragen“, sagt Franzen-Krapoth. Der MDK prüft beim ambulanten Pflegedienst auch die Dienstleistung und Organisation — hier schnitt Senivita mit einer 1,0
ab.

Heimleiter Michael Rox meint zur Bewertung: „Es ist eine Stichprobe. Wir sprechen über drei bis fünf Bewohner.“ Das Ergebnis sei ein anderes, betrachte man die Gesamtstruktur. Otto Tafelmeyer, COO Betriebsstandorte — was bedeutet, dass er fürs operative Senivita-Geschäft zuständig ist — meint: „Wir gehen natürlich auf die Punkte ein und versuchen, die zu verbessern und das nächste Mal abzustellen. Aber es ist halt leider Gottes immer irgendwo irgendwas.“ Und Horst Wiesent fügt hinzu: „Das Wesen einer solchen Prüfung ist, dass es eine Blitzlichtprüfung ist.“

*Nicht nur die Angehörigen einer ehemaligen Bewohnerin — sie ist mittlerweile verstorben — erhebt weitere Vorwürfe, zum Beispiel, was die Tagespflege angeht. „Meistens wird gar nichts unternommen. Von 8 bis 18.30 Uhr hocken die da“, sagt sie. Rita Schaffer, Pflegedienstleitung Tagespflege, meint dazu, dass in der Tagespflege durchaus eine Betreuung angeboten wird. „Wir haben auch einen Beschäftigungsplan“, sagt sie.

*Diese Angehörige meint auch, dass die Bewohner zu wenig zum Trinken bekommen. „Ich würde nirgends arbeiten, wo es den Menschen schlecht geht“, sagt Schaffer dazu. Man sei immer bemüht, aber manche Leute würden einfach schlechter trinken als andere. Es gebe eine Mindest-Einführmenge von 1200 Millilitern. Ihr Arbeitgeber Horst Wiesent fügt hinzu: „Wir müssen das ja auch dokumentieren.“ Falls ein Bewohner einfach nicht zum Trinken zu bewegen ist, gibt es eine Infusion.

*Mehrfach heißt es auch, dass das Essen von billigster Qualität ist. Und dass es oft das Gleiche gibt. Auch das sei vor der Umstellung ausgewogener gewesen, als noch vor Ort gekocht wurde. Mittlerweile wird das Essen in Hummeltal vorbereitet und an alle Einrichtungen geliefert. Ein Teil des Essens, wie Salate, wird in Pegnitz zubereitet. Leiter Michael Rox: „Die Qualität hat sich grundsätzlich nicht verändert. Es sind die gleichen Lieferanten geblieben.“

*Doch damit ist die Liste der Vorwürfe noch nicht zu Ende: Seit der 5.0-Umstellung werde schlecht geputzt, meinen sowohl Angehörige als auch eine Mitarbeiterin. Tatsächlich wurde die Reinigung der Zimmer auf zweimal 15 Minuten pro Woche reduziert. „Vor der Umstellung war es teilweise so, dass schon jeden Tag gereinigt wurde“, sagt Rox. Wiesent meint, dass diese Leistung ja auch abgewählt werden könne. Und genau die Bewohner seien es, die sich beschwerten, dass das Zimmer nicht geputzt werde. „Ich werde hier langsam verrückt.“

*Thema in den Gesprächen mit Betroffenen ist auch immer wieder die Personalsituation. Ein ehemaliger Mitarbeiter sagt: „Zwei Drittel des Personals sind verschwunden.“ Die Frau eines früheren Bewohners meint: „In der Tagespflege ist nur noch eine Kraft.“ Und eine Mitarbeiterin sagt: „Im ambulanten System wurde der Nachtdienst von zwei auf einen reduziert.“ Im ambulanten Bereich sei nicht vorgeschrieben, wie viele Nachtdienste man haben müsse.

Laut Horst Wiesent gibt der Personalschlüssel vor, dass mindestens drei Mitarbeiter in der Tagespflege da sein müssen. Das wird auch eingehalten. „Warum kommt dann der Ruf raus, es ist kein Personal da? Wie kann das sein?“, fragt Wiesent. Dass im ambulanten Nachtdienst — dieser betreut die Bewohner nachts — von zwei auf eine Kraft reduziert wurde, stimmt nach Aussagen Wiesents. „Die hatten früher aber 66 Menschen, jetzt haben sie noch 40.“ Leiter Rox fügt hinzu, dass auch bei stationären Einrichtungen für 50 Personen nur eine Kraft da ist, „das regelt das Gesetz so.“

*Die Frau eines ehemaligen Bewohners erzählt den Nordbayerischen Nachrichten die Geschichte ihres Mannes: Nachdem er eine Pflegerin beim Waschen grob angefasst hatte, wurde er laut der Frau von Angelika Heringklee, Pflegedienstleitung Sozialstation, in die Psychatrie nach Bayreuth eingewiesen. Einen Tag bevor er zu Senivita hätte zurückkommen sollen, „krieg ich einen Anruf“. Man könne sich nicht mehr um ihn kümmern und habe einen Platz für ihn in Auerbach gefunden. „Einen Tag später ist er entlassen worden“, sagt seine Frau.

Rox erklärt hierzu, dass dem Bewohner nicht von einem auf den anderen Tag gekündigt worden sei. Es habe mehrere Gespräche gegeben, in denen erklärt worden sei, dass der Mann bei Senivita nicht mehr richtig versorgt werden könne. Doch die Frau habe nicht reagiert. Horst Wiesent: „Wir dürfen nicht kündigen. Wir hätten nie kündigen dürfen.“ Vetterl ergänzt: „Das Mietverhältnis ist nicht kündbar, aber die Pflegeleistung.“ Das ist in diesem Fall passiert.

Bei all den Vorwürfen gegenüber Senivita liegt unserer Zeitung allerdings auch die Aussage einer Frau vor, deren Mann in Pegnitz untergebracht war. „Mein Mann hat alles gekriegt, was er gebraucht hat. Ich kann nichts sagen.“ Die Pflegekräfte hätten sich stets viel Mühe mit ihm gegeben.

Wiesent bleibt von seinem System überzeugt — auch wenn die Stellschrauben noch angezogen werden müssen. „Mein Ziel ist es, dass unsere Mitarbeiter Tarif bezahlt bekommen.“ Operativ mache er mit der Altenpflege zurzeit kein Plus. Er hofft, dass er ab 2017 in allen Einrichtungen eine schwarze Null erwirtschaften kann. Im ersten Halbjahr 2015 hat er 1,9 Millionen Euro Minus gemacht. Das Unternehmen lebe von der „Substanz“. Das Geld, das Senivita einnimmt, kommt aus den Baugeschäften. Das Unternehmen arbeitet mit Strabag zusammen. „In der Pflege darf man kein Geld verdienen.“ Auch wenn er das gerne würde, wie er sagt.

Die Preise für die Altersplätze für Senioren sind nur bedingt vergleichbar, denn Senivita hat durch sein Modell der individuellen und bedarfsentsprechenden Zubuchungen und extra bezahlten Leistungen eine eigene Preis-Nische. Nichtsdestotrotz müssen auch betroffene Senioren und ihre Angehörigen auf ihr Konto sehen und entsprechende Vergleiche zwischen den Angeboten in Pegnitz und Auerbach ziehen können.

Die Preise hängen jeweils von der Pflegestufe und dem daran anhängigen Bedarf ab — daher variieren sie und sind alle, abhängig von der jeweiligen Stufe, bezuschusst von den Pflegekassen.

Vor diesen Zuschüssen setzt sich im Heim von Senivita in Pegnitz der Insgesamt-Preis für Selbstzahler inklusive Miete aus der Apartmentmiete pro Quadratmeter plus Grundservicepauschale sowie den Extra-Leistungen zusammen (wir berichteten): In der Pflegestufe null liegt der Preis zwischen 901,69 und 1893,95 Euro. In der Pflegestufe 1 zwischen 967,08 und 1742,25 Euro. Die Kosten für einen Betreuungsplatz in Pflegestufe 2 belaufen sich zwischen 850,58 und 2156,70 Euro. In Pflegestufe 3 beginnt der Preisrahmen bei 905,60 und kann sich im Einzelfall auch auf 1364,40 Euro belaufen.

Zum 1. März sind die Beiträge im Auerbacher St.-Hedwig-Heim erhöht worden: Statt 1345 Euro Zuzahlung in Pflegestufe 3 sind es künftig 1895 Euro.

Die Anpassung der Preise, so die Verantwortlichen gegenüber den Nordbayerischen Nachrichten Anfang Februar, seien nötig geworden, weil die Personal- und Sachkosten sowie die Verbesserung des Personalschlüssels angepasst werden mussten. Weil also insgesamt die Pflegesätze zum März stiegen, erhöhte sich der Eigenanteil jedes Bewohners in Auerbach.

Im Jakobushof Auerbach, der 50 Senioren ein Zuhause bietet, liegt der Preis in der Pflegestufe 0 zwischen 1737,90 und 1785,90 Euro. In der Pflegestufe 1 belaufen sich die Kosten zwischen 2285,70 und 2372,70 Euro und in Pflegestufe 2 zwischen 2616,90 und 2664,90 Euro. In Stufe 3 kostet der Heimplatz zwischen 2865,60 und 2913,60 Euro.

Im evangelischen Brigittenheim in Pegnitz liegen die Preise pro Monat mit 30 Tagen ohne Zuschuss der Pflegekasse in der Pflegestufe 0 bei 2000,00 Euro, in der Pflegestufe 1 bei 2695,00 Euro, in Pflegestufe 2 liegen die Kosten bei 3115,00 Euro und in der Stufe 3 bei 3425,00 Euro.

Im Brigittenheim und in St. Hedwig gelten die Preise für stationäre Pflege samt Miete. In St. Elisabeth in Pegnitz, das die Senivita GmbH betreibt, gelten die Kosten für Miete sowie Tagespflege.

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