Tosender Applaus für Stoff mit Sprengkraft

13.4.2014, 22:18 Uhr
Tosender Applaus für Stoff mit Sprengkraft

© Hans von Draminski

Vielleicht ist das ja der Königsweg: Aus einem Werk, das bei seinem Erscheinen Sprengkraft hatte und für Kontroversen sorgte, das die Menschen bewegte und den Klerus erboste, kann man im Jahr 2014 wohl nicht einfach ein Musical machen. Die düstere Parabel über die verzweifelte Sinnsuche des manischen Wissenschaftlers Faust, die ihn zum Pakt mit dem Teufel treibt und auch jene ins Verderben treibt, die Faust liebt, darf nicht zum flauschig-netten Musical mutieren.

Dann schon lieber eine Orgie klirrender E-Gitarren, wabernder Orgelklänge und peitschender Schlagzeuggrooves als kongeniale Reverenz vor den Ausschweifungen Fausts, der unstillbaren Gier nach schnellem Sex und unermesslicher Macht.

Was der Komponist und Librettist Rudolf Volz geschaffen hat, erinnert in den besten Momenten an jene Breitwand-Rockepen, die Jim Steinman in den 1970er und 1990er Jahren dem schwergewichtigen Rock-Fleischklops Meat Loaf auf den Leib schrieb: Wuchtige Musik mit Wiedererkennungswert und Ohrwurm-Potenzial, die Emotionen transportiert, das Herz schneller schlagen und die Tanzbeine zucken lässt.

Tosender Applaus für Stoff mit Sprengkraft

© HvD

Was dieses Stück besonders reizvoll macht: 98 Prozent der Songtexte sind purer Goethe. Hier musste nichts nachgedichtet, nichts gegen den Strich gebürstet werden — die über 200 Jahre alten Verse der unsterblichen Dichtung entfalten ihre Kraft auch und gerade, wenn man sie in ein Rock-Kleid steckt, sie in die Gehörgänge und damit ins Gehirn hineinhämmert. Und es wird wieder einmal klar, dass Goethe mit dem „Faust“ die Grundlage für eine Vielzahl von „geflügelten Worten“ legte, die sich bis heute im Sprachgebrauch halten konnten. Etwa die Weisheit, dass alle Theorie grau ist. Oder die Wahrheit über des Pudels Kern.

In dem Vierbeiner verbirgt sich Mephisto, dessen Rockoper-Ausgabe ein geschliffener Spötter mit schrillem Alice-Cooper-Make-up und scharfer Grundironie ist. Falko P. Illing verfügt über jenes angeraute Rock-Timbre, das aus einer kraftvollen eine interessante Stimme macht.

Tosender Applaus für Stoff mit Sprengkraft

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Christian Venzke als Dr. Heinrich Faust steht seinem teuflischen Gegenspieler zumindest stimmlich in nichts nach — und versteht es zudem höchst überzeugend, die gar nicht so wundersame Wandlung vom gealterten, todessehnsüchtigen Studierstuben-Hocker zum virilen Lebemann deutlich zu machen, der sich ständig in irgendwelche Frauen verknallt, von der schönen Helena bis in eben jenes Gretchen, eine junge Unschuld, die so ganz Gegenentwurf zu ihm selbst ist: keusch, gottgläubig, naiv.

Denise Viloehr verkörpert dieses Idealbild mit mädchenhafter Nettigkeit — und zeigt, wie glänzender Schmuck und richtig platzierte Komplimente die Moral einer Frau schnell ins Wanken bringen können. Für den Geliebten gibt Gretchen ihrer Mutter tödlich wirkendes Schlafmittel, für ihn geht sie auch ins Gefängnis, wo sie dem Wahnsinn verfällt — Gänsehaut förderndes Powerplay.

Und doch ist diese lebende Metapher für das Gute ebenso wenig der Star dieser Show, wie Hartmut Hecht als schrulliger Goethe, das so akrobatisch wie erotisch agierende Ballett oder die fulminante Band mit Felix Bodner (Gitarre), Manfred Hecht (E-Bass), Daniel Tutschek (Keyboard) und Lucas Schneider (Schlagzeug).

Schrille Hexe und Domina

Nein, die alles überstrahlende Figur ist fraglos Henrike Baumgart, die schrille Hexe ist und durchgeknallte Marthe, die mal die Domina mit Lederdress und Peitsche gibt und mal die charmante Zauberin mit Harry-Potter-Spitzhut und hautengem Kostüm. Wie sie als Spielmacherin und Strippenzieherin alle anderen zu Marionetten degradiert, wie sie sogar den Teufel nach ihrer Pfeife tanzen lässt und dabei nie vergisst, eine ganz große Portion Humor in ihre Auftritte zu packen, das hat große schauspielerische Klasse. Dennoch ist dieser „Faust“ ein Ensemblestück, dessen Mitwirkende dem Affen gerne Zucker geben und manchen Gag einstreuen, der im Gegensatz zu Mephistos spektakulären Pyrotechnik-Effekten erst mit ein wenig Verzögerung zündet.

Die Truppe um den Berliner Produzenten Michael Manthey hat sich übrigens auch an „Faust II“ gewagt. Vielleicht eine Option für Auerbach — auch ganz abseits irgendwelcher Jubiläen.

Infos zum Stück auf www.faust-rockoper.de

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