Seit der Freigabe vor vier Wochen
Autos auf dem Rother Marktplatz? Viel Ja, viel Nein
23.7.2021, 05:00 UhrWas hat sich geändert? Es stehen jetzt elf Parkplätze zur Verfügung. Vor der Post vier und sechs weitere plus ein Behindertenparkplatz vor dem Markgrafenbrunnen. Die Parkplätze sind mit Baumstämmen abgegrenzt, die mit der Rother Mischung bepflanzt sind. Die Traubengasse bleibt für Kraftfahrzeuge gesperrt, die Marktplatz-Durchfahrt verkehrsberuhigt. Vorgeschrieben ist Schrittgeschwindigkeit. Die Ausfahrt auf den Willy-Supf-Platz ist mit einer Ampelschaltung geregelt.
Grund der Neuregelung? Es war Sommer vergangenen Jahres – Corona hatte schon für einen ersten Lockdown gesorgt – als Apotheker Bernhard Eiber dem Rother Stadtrat eine Liste mit fast 1500 Unterschriften vorlegte. Inhalt: Hilfe! Die Händler und Gastronomen in der Rother Innenstadt schrien um Hilfe, weil sie sich von Corona teilweise komplett ausgebremst und auf Tempo Null runtergefahren fühlten. Der Stadtrat hat per Beschluss reagiert: Die „gute Stube“ soll umgestaltet werden, um sie wieder attraktiver zu machen, um die Aufenthaltsqualität zu steigern. Ziele seien mehr Aufenthaltsqualität (mit Spielgeräten, Bänken, Beschattung und Wasserspiel), mehr Außengastronomie, die Verträglichkeit von Fußgängern, Radlern und Autos sowie die Barrierefreiheit.
Über den Rother Marktplatz rollt wieder Verkehr
Ob auf dem Marktplatz zusätzliche Kurzzeitparkplätze und eine freie Durchfahrt, wie jüngst beschlossen, ein praktikables Mittel für eine Trendwende darstellen, darüber scheiden sich in der Bevölkerung nach wie vor die Geister. Was spricht dagegen? Die Freigabe für Autos als Einbahnstraße ab der Kirche ist bislang bei SPD, Grünen, der Linken und der Frankenpartei auf heftigen Widerstand gestoßen: Gefahr für Kinder, wildes Parken nachts und an den Wochenenden, zu schnelles Fahren, aber auch Durchfahren, um schneller vom Süden der Stadt in den Norden zu gelangen. Neben all diesen Argumenten – und genügend Parkplätzen in der Nähe der Innenstadt – seien Autos auf dem Marktplatz „ein widersprüchliches Signal“.
„Viele meiner Kunden haben bislang negativ auf die Entscheidung der Stadt reagiert“, klagt Einzelhändler Uwe Heyder, der in der Engstelle am nördlichen Marktplatz nun mit dem Durchgangsverkehr beziehungsweise dem Stopp vor der Ampel leben muss. „Für mich und meine Kunden bedeutet der Durchgangsverkehr Abgase und erhöhte Vorsicht. Auch kann ich bei speziellen Shoppingevents in der Stadt meine Aktivitäten nicht mehr unmittelbar vor meinem Geschäft abhalten.“
Stühle und Tische draußen
Andere Geschäftsleute am Marktplatz sind dagegen positiv gestimmt. Kim Steiner beispielsweise kann während Corona sogar Stühle und Tische auf der Freifläche vor dem Geschäft aufstellen und Getränke anbieten. Zwar habe sich das Rangieren der Autos vor der Post reduziert, dennoch würde sie es lieber sehen, wenn an der Durchfahrtsstraße bei der Post Schrägparkplätze entstehen würden. Weitere Ladenbetreiber sehen für sich und ihre Kunden weder Vor- noch Nachteile. „Die Menschen sind vor dem Durchgangsverkehr zu uns gekommen, und das tun sie jetzt auch“, sagt der Betreiber der Eisdiele auf dem Marktplatz.
Mitten im Geschehen ist Tag für Tag Petra Spenger. Als Verkehrsüberwacherin der Stadt Roth kontrolliert sie seit 2017 den ruhenden Verkehr und ist Ansprechpartnerin für auswärtige Besucher. Ihre aktuelle Erfahrung: „Das Stadtzentrum wird zunehmend belebter, die Verkehrsprobleme entzerren sich.“ Zunächst sei sie dagegen gewesen, den Marktplatz wieder für den Durchgangsverkehr zu öffnen. Sie befürchtete, dass sich die Autofahrer nicht an die Neuregelungen halten würden. Taten sie zunächst auch nicht. „Gefühlt hundert Fahrzeuge waren es in den ersten Tagen in einer Stunde, die von der Post oder den unteren Parkplätzen wieder in Richtung Stadtkirche, also entgegen der Einbahnstraße, fahren wollten. Das hat sich aber deutlich gebessert.“ Vor der Post gebe es kaum mehr ein Parkchaos. Allerdings würden sich einige Autofahrer nicht an die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit halten. „Schließlich fahren sie durch eine Spielstraße“. Ergo: Gegenseitige Rücksichtnahme ist angesagt.
Die neuen Parkplätze auf dem nördlichen Marktplatz würden sehr gut angenommen werden. „Die sind meist voll belegt“, sagt Petra Spenger, die von Dienstag bis Freitag in der Stadt unterwegs ist. Bislang hat sie in der Eingewöhnungsphase bei Verfehlungen der Autofahrer das eine oder andere Auge zugedrückt. Außerhalb der markierten Parkflächen ist aber jetzt Schluss mit lustig. „Wer falsch parkt, erhält ein Knöllchen. Es gibt Vorschriften, an die man sich halt halten muss.“
Ganz verstehen kann Spenger die Aufregung in Roth hinsichtlich des Parkens auf dem Marktplatz jedoch nicht. „Schließlich gibt es zirka 800 Parkplätze rund um die Innenstadt, die sind keine drei Minuten entfernt. Dafür wird Roth von auswärtigen Gästen auch oft gelobt.“
Petra Spenger, die sich 2022 als Verkehrsüberwacherin zertifizieren lassen möchte, macht sich über den fließenden Verkehr ebenso Gedanken wie über die Gestaltung des Marktplatzes Gedanken. Sie wünscht sich mehr Grün, mehr Bäume. Auch ein zusätzliches Wasserspiel wäre gewiss eine Attraktion. „Für neue Ideen muss man offen sein“, sagt sie. Und: Roth sei ihrer Meinung auf dem besten Wege, einen attraktiven und lebendigen Marktplatz zu bekommen.
Umfrage zum Verkehr
Im Rahmen eines Studienprojekts im Bereich „Soziale Arbeit“ an der Georg Simon Ohm Fachhochschule Nürnberg hatte Dagmara Dagi, eine gebürtige Ratiborerin, in den sozialen Medien eine Umfrage in der „Rother Runde“ platziert zum Thema „Straßenverkehr am Rother Marktplatz“. Mit den Zielen, die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum, die Zugänglichkeit, die Nutzungsmöglichkeiten und Angebote für einzelne Gruppen im Sozialraum zu erforschen. Dabei sollten Meinungen und Wünsche der Besucher und Bewohner im Vordergrund stehen.
Die Umfrage hatte weder einen wissenschaftlichen Anspruch noch einen politischen Hintergrund, sagt sie. Diese sei nur ein Teil ihrer Hausarbeit gewesen. Eigentlich hatte sie gedacht, dass nur wenige Rother die Fragen beantworten oder im besten Fall auch Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge machen würden. 230 Fragebogen waren es am Ende. „Viel mehr als gedacht“, sagt Dagi.
Ihr Fazit: „Die Mehrheit, gut dreiviertel der Auskunftsfreudigen, hat die Parkplätze, die Autos, auch den Stadtbus, am Marktplatz im allgemeinen als störend empfunden, verbunden mit negativen Auswirkungen auf das Ambiente. Es würden Angebote fehlen, um den Marktplatz attraktiver zu machen. Anreize müssten geschaffen werden, um die Verweildauer zu verlängern.
Kein leichtes Unterfangen. Das weiß auch Dagmara Dagi, die vor ihrem Studiengang „Soziale Arbeit“ schon einige Semester Stadtplanung studiert hat. Sie bedauert insgeheim, dass im Zentrum Roths, und nicht nur dort, seit Jahren ein Geschäftesterben eingesetzt hat.
Einmal in Rage geredet, gibt es bei Hansjörg Herold kein Halten mehr. „Es ist schwerer geworden, einem Fremden die Stadt mit Herzblut zu präsentieren“, sagt der langjährige Fremdenführer. Und: „Aus touristischer Sicht hat sich die Heimeligkeit der Rother Innenstadt verschlechtert. Die Autos vergraulen die Gäste.“ Seiner Meinung nach haben Autos in so einem kleinen Stadtzentrum wie Roth nichts zu suchen. „Zu viel Verkehr schadet dem ansonsten sympathischen Charakter der Innenstadt.“ Schwierig geworden sei es für ihn, der immerhin seit 2003 Gäste detailkundig informiert, Besuchergruppen in Ruhe über den Marktplatz zu führen. Entweder störe der ständige Verkehrslärm, oder man müsse sich durch parkende Fahrzeuge zwängen. Die „gute Stube“ einer Stadt wolle man eigentlich anders erleben.
Herold macht auch auf eine Unzulänglichkeit aufmerksam: Wer sich von der Nürnberger Straße mit dem Rad der Innenstadt nähert, bemerkt auf der Brücke über die Roth mehrere Hinweisschilder für Radfahrer. Ein Schild deutet geradeaus. Richtung Hilpoltstein, also Richtung Stadtmitte. Versehen mit Schildern „Bayernnetz für Radler“ oder „Burgenstraße“ für Radler. Der Straße nach zeigen die Pfeile jedoch nach links und rechts. Also absteigen, denn entgegen der Hauptstraße darf nicht gefahren werden. Ein Ausweg bietet sich beim Hotel Domero an. „Radler frei“ heißt es dort. Aber auch „Lieferverkehr frei“.
Schafft es der Radfahrer, schadlos am parkenden Lieferwagen vorbeizukommen, steht er am Unteren Tor. Rechter Hand, also unmittelbar vor der Ladentür des Uhren-, Schmuck- und Optikgeschäfts Patek, steht das Schild „Einbahnstraße“, das in Richtung Willy-Supf-Platz weist. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Radfahren in Endlosschleife. Oder Schieben entgegen der Einbahnstraße.
„Und dann macht sich die Stadt Roth fürs Stadtradeln stark. Eine Aktion für mehr Klimaschutz und Radverkehr“, echauffiert sich Herold. An der Engstelle bei der Ausfahrt in Richtung Willy-Supf-Platz würden sich die Autos vor der sehr kurz geschalteten Ampel stauen und schlechte Luft erzeugen und somit die Feinstaubbelastung erhöhen. Was für den gesamten Marktplatz gelte. Während Städte wie Nürnberg in der Innenstadt grüne Nester schaffen, werde in Roth genau das Gegenteil geboten. „Fußgänger und Radfahrer haben es zunehmend schwerer. Ich habe noch niemanden getroffen, der sich positiv über die neue Verkehrsführung auf dem Marktplatz geäußert hat.“ Weiter: „Wir brauchen nicht mehr darüber zu diskutieren, ob der Slogan ,Voll auf Draht’ zeitgemäß für Roth ist, vielmehr muss es heißen ,Roth. Voll daneben’.Wo war bei der Entscheidung, den Marktplatz für den Autoverkehr weiter zu öffnen, beispielsweise die Seniorenbeauftragte?“
Die Geschäfte in der Innenstadt seien nicht schlecht erreichbar, es fehle einfach am Angebot. Auch am Angebot, durch geeignete Maßnahmen, die Verweildauer auf dem Marktplatz zu heben. Das wiederum sei Aufgabe der Stadt, betont Herold nachdrücklich.
„Wir brauchen Erlebnisflächen, kleine, flache Wasserrinnen, in denen Kinder plantschen können. Beschattete, flexible Sitzgruppen, mehr Grün. Aber anscheinend hat das Challenge-Wochenende mit seinen zwei Veranstaltungstagen auf dem Marktplatz Vorrang vor einem angenehmen Aufenthalt das ganze Jahr über.“
Dass wieder Leben in Roths „guter Stube“ Einzug hält, daran arbeitet auch Mark Bartholl. Der Stadtmarketingbeauftragte ist der Meinung, dass sich die Veränderungen durch die neue Verkehrsführung mit zusätzlichen Parkplätzen durchwegs positiv auf die Innenstadt ausgewirkt haben. „Der Knotenpunkt an der Post konnte durch die durchgehende Einbahnstraßenregelung - trotz einiger „Geisterfahrer“ - entschärft werden, und der Marktplatz wirkt auf den ersten Blick belebter. Die Parkplätze werden genutzt und entlasten zusätzlich die Verkehrssituation um die Post herum“, lautet seine Einschätzung.
Er selbst erlebe den Marktplatz, auch durch die Zusatzmaßnahmen wie beispielsweise die Foodtrucks, als deutlich belebter, und die neuen Parkplätze würden viel genutzt.
Auch die Begrenzungsbalken werden, gerade in der Mittagszeit, gerne als weitere Sitzgelegenheit angenommen.
Hoffnungen in Gesamtkonzept
Auf die Frage, ob es schon offizielle Rückmeldungen von Geschäftsleuten gibt, verneint er. „Nein, bislang konnten die Geschäfte keine verlässlichen Aussagen treffen. Ich denke, es wird noch einige Zeit dauern, bis man einen Effekt erkennen kann.“
Hoffen auf das Konzept
Und was sagen die Bürger? „Hier ist das Bild nicht anders als vor der Umsetzung der Maßnahme: Es gibt Befürworter und Gegner“, sagt Bartholl. Beide Lager betonen, mal leiser, mal lauter, ihre jeweilige Position. Die Bürger brauchen sicherlich noch ein wenig, um sich an die Situation zu gewöhnen. Langfristig setze er „große Hoffnungen in das noch zu erarbeitende Konzept für den Marktplatz - natürlich mit Bürgerbeteiligung“. Bartholl: „Sollten wir es schaffen, hier gute Lösungen für die bestehenden Probleme des Marktplatzes wie Barrierefreiheit, Begrünung, Schatten, Spielgelegenheiten für Kinder, Sitzgelegenheiten und anderes mehr zu finden, entstehen hier ganze neue Möglichkeiten und ich sehe einer weiterhin positiven Entwicklung der Innenstadt freudig entgegen. Zusätzliche Maßnahmen, auch von Seiten des Stadtmarketings, werden in den kommenden Monaten erarbeitet.“
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