Die Sindersdorfer halten zusammen

25.12.2016, 06:00 Uhr
Die Sindersdorfer halten zusammen

© Stefan Bergauer

125 Einwohner hat Sindersdorf offiziell, so um die 110 sind es mittlerweile, schätzen die Sindersdorfer. Der 2014 verstorbene Sebastian Dotzer sammelte über mehr als zehn Jahre alle Daten über Sindersdorf, grub in den Archiven. Demnach wurde der Ort 1341 erstmals urkundlich erwähnt, die Endung -dorf deute aber auf eine Gründung im achten oder neunten Jahrhundert hin.

Die Herkunft des Namens ist unklar. Möglicherweise stammt der Name, weil Sindersdorf (=südliches Dorf) südlich einer nicht mehr existenten Bannerstadt liegt. Oder es ist das Dorf am Weg (althochdeutsch sind=Weg, Fahrt, Zug). Der Name wäre heute noch gültig: Die Sindersdorfer wohnen neben der Autobahn A9, zur Ausfahrt Hilpolstein Süd sind es nur ein paar hundert Meter.

Vom Pendler zum Wirt

Die Autobahn hat den Ort geprägt. Wenn der Wind falsch steht, ist ihr Rauschen zu hören – als Sindersdorfer hat man sich daran gewöhnt. „Es ist eine ruhige Ortschaft“, sagt Rudolf Dotzer. Er ist mit seiner Frau Christa Wirt des Hotels und Landgasthofes „Sindersdorfer Hof“. Der ist eng mit der Autobahn verbunden. Rudolfs Vater, Sebastian Dotzer, war einer der ersten gewesen, der in den 1950er Jahren begann, zur Arbeit nach Nürnberg zu pendeln.

Als andere folgten, der Verkehr zunahm und 1956 die Autobahnausfahrt gebaut wurde, errichtete er wenige Jahre später eine kleine Tankstelle. 1971 eröffnete er zusätzlich eine Pension mit sieben Zimmern – die Geburtsstunde des Sindersdorfer Hofes, der damals noch Gasthof Dotzer hieß.

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1979 übernahmen Rudolf und Christa den Gasthof, erweiterten ihn zehn Jahre später und benannten ihn um. 18 Zimmer, 40 Betten: „Wir sind mit den Ansprüchen gewachsen“, sagt Christa Dotzer. „Wir haben uns sehr gut entwickelt“, sagt Rudolf Dotzer. Auch wenn es viel Arbeit und schwierig sei, auf dem Land Personal zu bekommen. Die Arbeitszeiten am Wochenende und am Abend schrecken ab – obwohl man ja eigentlich schnell hier wäre.

Vom Gewerbegebiet profitiert

Rudolf Dotzer wollte schon immer Koch werden. Er wurde in Sindersdorf geboren, seine Heimat hat er nur verlassen, um in Nürnberg seine Ausbildung zu machen. Warum auch fortgehen? Sein Sohn Patrick kann den Gasthof einmal übernehmen. So wie die Dotzers vermieten noch einige Sindersdorfer Zimmer oder Ferienwohnungen an die Durchreisenden – vor allem in den 1970ern waren es mehr. 2000 wurde ein Hilpoltsteiner Gewerbegebiet auf der anderen Seite der Autobahn eröffnet.

Dort wurden ein Schnellimbiss und ein Hotel gebaut. „So große Werbung darf ich nicht machen, ich darf nicht einmal ein Schild aufstellen“, sagt Dotzer im Hinblick auf den weithin sichtbaren Turm des Autohofes. Doch geschadet hat das Gewerbegebiet dem Geschäft nicht, Stammgäste kommen von weit her, Geschäftsreisende zu Tagungen in den Sindersdorfer Hof.

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Auch Erhard Gerner hat nichts gegen das Gewerbegebiet. „Ich kenne viele Weinsfelder und Sindersdorfer, die dort Arbeit gefunden haben“, sagt der 70-Jährige. Ein Sindersdorfer Reifenhändler ist dorthin umgezogen, vor bald sieben Jahren eröffnete Gerners Sohn Michael dort das „Schocolat“. Der 44-Jährige und seine Mitarbeiter stellen handgemachte Schokolade her – ein Anziehungspunkt für Einheimische und Durchreisende. Doch in der Adventszeit haben die Gerners auf ihrer Weihnachtsbaum-Plantage alle Hände voll zu tun: Sindersdorf ist für seine Christbäume berühmt.

Als erster Landwirt zugepachtet

Sindersdorf war schon immer landwirtschaftlich geprägt, doch es sind weniger Betriebe geworden: 1960 gab es 18 Höfe, heute sind es noch sieben, davon drei im Vollerwerb. „Der erste Hof wurde 1970 verpachtet“, sagt Erhard Gerner — er übernahm in selbst. Gerner setzte erst auf Rinder, dann auf Schweine.

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2010 gab er das auf. „Die Zeit war abgelaufen“, sagt Gerner. „Ich bin kein Fan von kleiner Landwirtschaft“, sagt er. „Der Bürger stellt sich das mit Mistgabeln und Gummistiefeln vor. Aber das gibt es nur im Nebenerwerb, wenn man es als Hobby macht, das dann eben auch Geld kosten darf.“

Gerner musste jedoch von der Landwirtschaft leben können. Aber im Landkreis Roth sind die Flächen eher kleinteilig. Wer wirtschaftliche Größen erreichen will, muss oft zupachten, was wiederum den Gewinn drückt. Also suche man sich am besten ein Ventil, meint Gerner. Seines waren die Christbäume. 1986, auf einer Fortbildung im Sauerland – jeder dritte Weihnachtsbaum kommt von dort –, kam er damit in Kontakt.

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Nachdem er für die Genehmigung bis zum Petitionsausschuss des Landtages gegangen war, setzte er vier Jahre später Bäume. Es gab Rückschläge. „Nach der ersten Plantage hätten wir beinahe wieder aufgehört“, sagt Michael Gerner. Doch sie bildeten sich weiter, machten sich mit Qualität und Frische einen Namen: Heute wachsen auf 15 Hektar 75 000 Christbäume. Firmen und Gruppen kommen, um Bäume zu schlagen, in vier Verkaufsstellen in der Region werden sie zusätzlich zum Hof in Sindersdorf angeboten. Einer der letzten aus der ersten Saat, eine neun Meter hohe Tanne, steht heuer auf der Nürnberger Burg.

"Mitten in der Natur"

Erhard Gerner kann seine Familie bis 1590 und in Sindersdorf bis ins Jahr 1760 zurückführen. Eine dicke Chronik führt die einzelnen Mitglieder akribisch auf. Für ihn war es nie ein Thema, wegzugehen. Auch sein Sohn kam nach seiner Ausbildung und seinem Landwirtschafts-Studium gerne zurück. „Ich habe drei Kinder, die können sich hier austoben. Ich gehe aus dem Haus und stehe schon mitten in der Natur.“

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Auch Hermann Dotzer lebt schon immer in Sindersdorf. Er ist Inhaber der Tankstelle, die sein Vater Sebastian einst eröffnet hatte. Seit 1960 kommen Stammgäste zu seiner Raststation. Manchmal erzählen sie, dass sie schon seit 30 Jahren hier halten. Oder fragen, warum eine Bank noch nicht aufgestellt sei, die lade doch sonst um diese Jahreszeit schon immer zum Sitzen ein? Das gehe, wenn man nett und freundlich sei, meint Dotzer. Zudem sei der Mensch eben ein Gewohnheitstier.

Dorfleben funktioniert sehr gut

Hermann Dotzer gefällt es in Sindersdorf. Fast alle Einwohner sind in der Feuerwehr und gleichzeitig im Maibaumverein. „Der Baum wird von Hand aufgestellt, weil alle mithelfen“, sagt Erhard Gerner stolz. Die Sindersdorfer halten zusammen. „Das Dorfleben funktioniert sehr gut“, sagt Ortssprecher Werner Brandl. Regelmäßig trifft man sich, stellt übers Jahr mehrere Feste auf die Beine. An der Zahl der Einwohner gemessen, gebe es hier auch viele Gewerbebetriebe.

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Auch wegen der Umgehung werde man nicht anfangen, zu streiten, ist sich Erhard Gerner sicher. Im Dorf hängen Plakate gegen die neue Straße, die Meckenhausen entlasten soll — ein Bürgerentscheid hatte im vergangenen Jahr das „Nein“ des Stadtrates gebrochen. Die Trasse würde im Süden oder Norden an Sindersdorf vorbeiführen, bis sie gebaut wird, gehen noch einige Jahre ins Land.

Bauplätze fehlen

Die beiden Windräder, die im vergangenen Jahr trotz 10 H-Abstands-Regel noch schnell genehmigt und 2016 gebaut wurden, sind ein viel diskutiertes Thema. Gut 800 Meter sind sie entfernt. „Man hört sie, wenn der Wind aus Nordwesten kommt, wie Störche am Dach“, sagt Rudolf Dotzer. Aber man hört auch die Autobahn und den daneben fahrenden ICE.

„Man ist ja heimatverbunden“, sagt Hermann Dotzer. Er wüsste nicht, warum er weg sollte – außer, um sich einen Alterswohnsitz zu schaffen. Das ist schwierig in Sindersdorf. Als der Ort 1972 ins benachbarte Meckenhausen (1976 zu Hilpoltstein) eingemeindet wurde, habe man es versäumt, auf ein Baugebiet zu drängen, ist er sich mit Erhard Gerner einig. Jetzt ziehen die jungen Leute weg, bauen oft in Meckenhausen oder weiter entfernt — nehmen aber noch am Dorfleben teil.

Gute Arbeitsplätze

„Sindersdorf stirbt aus“, sagte einst Sebastian Dotzer. „Die jungen Leute werden weniger“, sagt Christa Dotzer. Die Jungen zu halten, sei das Wichtigste, meint ihr Schwager Hermann. In Sindersdorf fehle eben die in Meckenhausen oder andernorts vorhandene Infrastruktur wie Bücherei, Halle, Sportverein, Kindergarten, Schule, meint Erhard Gerner.

Er glaubt jedoch, dass aus den 110 Einwohnern wieder mehr werden, wenn die alten Höfe aufgelassen werden und dort gebaut werden kann. Schließlich: Mit Siemens, Audi oder Bosch gebe es „gute Arbeitsplätze in der Region“, sagt Erhard Gerner. Und der Weg dorthin liegt für die Sindersdorfer ja gleich nebenan.

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