Extremismus-Expertin im Interview

Frauen in der rechten Szene: Unauffälliger, aber nicht minder radikal

Claudia Weinig

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24.11.2021, 11:04 Uhr
Lange war die rechte Szene rein männlich dominiert. Doch seit Jahren zeigt sich der Trend, dass Frauen am rechten Rand immer aktiver werden.

© dpa Lange war die rechte Szene rein männlich dominiert. Doch seit Jahren zeigt sich der Trend, dass Frauen am rechten Rand immer aktiver werden.

Gewalt, Fremdenhass, Aggression – mit diesen Begriffen ist in vielen Köpfen „Rechtsradikalismus“ verbunden. Und mit der Tatsache, dass die rechte Szene von Männern beherrscht wird. Doch tatsächlich ist rechte Gesinnung keine reine Männersache. Nur: die öffentliche Sichtweise, die Wahrnehmung von Frauen, die sich in diesem extremen Spektrum bewegen, ist eine andere. Aber es gibt sie genauso, die nationalistisch denkenden Frauen. Sie stehen im Mittelpunkt eines Online-Vortrags der Diplom-Sozialwirtin Birgit Mair. Wir haben mit der Referentin gesprochen

Frau Mair, Sie beschäftigen sich schon lange und intensiv mit dem Thema „Rechtsradikalismus“? Nun ist das sicher kein schönes Thema im eigentlichen Sinn. Warum scheint Ihnen das so wichtig zu sein, dass Sie diesem bereits viele Jahre ihres Arbeitslebens gewidmet haben?

Nun, ein schönes Thema ist das wirklich nicht. Ich hatte schon mit Anfang 20 einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und habe damals bereits nicht verstanden, wie Menschen auf Asylbewerber schimpfen – Menschen, die sie persönlich nicht einmal kannten. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, der mich beeinflusst hat: Das Schweigen über die Naziverbrechen in meiner Herkunftsfamilie hat mich neugierig gemacht. Ich wollte wissen, wie die Nationalsozialisten es geschafft haben, in so wenigen Jahren so viele Menschen zu ermorden.

In meiner Diplomarbeit über einen jüdischen Holocaust-Überlebenden habe ich Antworten darauf gefunden. Gleichzeitig ist mir durch die Arbeit mit den Opfern bewusst geworden, wie wichtig deren Perspektive ist. So etwas wie den Holocaust darf es nie wieder geben! Das ist der Grund, warum ich diese Arbeit gegen Antisemitismus und Rassismus so wichtig finde.

Frauen wird doch – mal ganz generell gesprochen – mehr soziale Kompetenz und Empathiefähigkeit zugesprochen. Doch spätestens seit den NSU-Morden mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe ist das Thema „rechtsradikale Frauen“ mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Bis dahin schien – zumindest meinem Eindruck nach - „Rechtsradikalismus“ eigentlich in erster Linie Männersache zu sein. Richtig oder falsch?

So einfach ist das nicht zu beantworten. Beate Zschäpe als nun verurteilte Rechtsterroristin hat deutlich gemacht, dass auch Frauen eine menschenverachtende Einstellung haben und Kapitalverbrechen wie rassistisch motivierte Morde unterstützen können. Dennoch war es interessant zu beobachten, wie Frau Zschäpe in der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Es wurde wenig über ihre neonazistischen Aktivitäten im Thüringen der 1990er Jahre geschrieben; man konzentrierte sich auf unwichtige Äußerlichkeiten wie ihre Haarpracht oder ihre sexuellen Aktivitäten. Da findet eine Art Entpolitisierung statt; Nazifrauen wird die Täterschaft abgesprochen. Bereits in den NS-Konzentrationslagern und in der NS-Verwaltung generell waren auch Frauen als Täterinnen oder Mittäterinnen aktiv. Darüber ist lange nicht gesprochen worden.

Sie sind in wenigen Tagen zu Gast als Online-Referentin auf Einladung der Gleichstellungsstelle des Landkreises und der Initiative „Roth ist bunt“ (siehe auch Tipp). Und nehmen genau diesen Schwerpunkt „Frauen im Rechtsradikalismus“ auf. Gibt es hier tatsächlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Ja, es gibt Unterschiede. Beispielsweise sind es immer noch mehrheitlich Männer, die Gewalttaten verüben und die Führungspositionen in der extrem rechten Szene einnehmen. Auch wenn durch AfD-Funktionärinnen wie Alice Weidel oder Beatrix von Storch der Eindruck erweckt wird, dass Frauen in dieser extrem rechten Partei etwas zu sagen haben, ist doch deren Frauenanteil im Parlament besonders niedrig. Wenn man sich das Programm dieser neuen rechten Partei „Alternative für Deutschland“ anschaut, ist es, was Frauenrechte anbelangt, doch sehr rückwärtsgewandt. Weitere Aspekte werde ich im Vortrag erläutern.

Ist die Zahl der Frauen, die diese politische Gesinnung auch tatsächlich sichtbar vertreten, wachsend? Und wenn ja – ist es ein Großstadtphänomen. Oder auch hier auf dem Land, wozu ich jetzt den Landkreis Roth zählen würde?

Aktive Frauen sind vor allem in der rechtsoffenen Querdenkerszene zu beobachten. Aktivistinnen aus dem Landkreis Roth standen bereits in Nürnberg auf der Bühne. In der klassischen Naziszene sind jedoch nach außen hin vor allem Männer sichtbar. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel ist die Chefin der Neonazipartei „III. Weg“ in Bayern eine Frau. Im Landkreis Roth gibt es im Übrigen relativ viele Reichsbürger und auch Reichsbürgerinnen.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Neonazistische Parteien, die vor 30 Jahren in der Repräsentanz nach außen fast nur männlich waren, haben zum Beispiel erkannt, dass Frauen als Kandidatinnen unverdächtiger wirken und eher Kontakte in die Mehrheitsgesellschaft knüpfen können. Häufig fungierten sie als Käuferinnen von Immobilien, die später von Neonazis genutzt wurden. Des Weiteren leben auch diese Gruppierungen nicht im luftleeren Raum. Es gibt rechte Frauen, die selbstbewusst sind und sich ihren Platz innerhalb der rechten Szene erkämpft haben. Und noch eines: „Sichtbar vertreten“ ist man heute ja ebenfalls in den sogenannten Sozialen Medien. Auch dort gibt es rechte Frauen, die sich positionieren. Trotzdem ist der rechte Internetbereich hauptsächlich eine Männerdomäne.

Die Diplom-Sozialwirtin und Extremismus-Expertin Birgit Mair.

Die Diplom-Sozialwirtin und Extremismus-Expertin Birgit Mair. © isfbb, NN

Wo fängt für Sie Rechtsradikalismus an?

Bei der Abwertung von Menschen, die angeblich nicht zu uns gehören; also bei gewissen Minderheiten, wie beispielsweise bei Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Muslime, Menschen, deren Urgroßeltern, Großeltern oder Eltern irgendwann mal nach Deutschland eingereist sind; bei Menschen mit Behinderung, PoC, Migranten und Migrantinnen, Geflüchtete, sexuelle Minderheiten. Dazu kommt die Bekämpfung der demokratischen Instanzen, die Akzeptanz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele, sozial-darwinistische Ansichten und die Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Ein weiterer Aspekt ist – wie besonders in den neueren rechten Bewegungen zu beobachten - die Ablehnung der Moderne und das Inszenieren von Bedrohungsszenarien.

Wo kann man Ihrer Ansicht nach Zivilcourage zeigen bzw. was kann man – um beim Thema zu bleiben – vielleicht auch als Frau etwas dagegen tun, dass sich Menschen radikalisieren?

Was Frauen ebenso tun können wie Männer ist: Widersprechen, wenn rassistische, frauenfeindliche oder nationalistische Kommentare kommen – egal ob auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der Familie oder auf Social Media; sich an Demonstrationen gegen die extreme Rechte, gegen Neonazis, Rassisten und Querdenker beteiligen. Im Moment ist das freilich schwierig wegen der pandemischen Lage. Wichtig ist für mich auch, die Ursachen von Rechtsentwicklungen erkennen: Es gibt immer mehr arme Menschen und die Reichen werden immer reicher. Diese Entwicklung ist sozialer Sprengstoff und Studien zufolge profitiert in den Industriestaaten vor allem die extreme Rechte von derartigen Missständen. Armut ist in besonderer Weise auch ein Problem von Frauen. Vielleicht müssten gerade diese dort ansetzen.

Zur Person

Diplom-Sozialwirtin Univ. Birgit Mair (54) ist Mitgründerin des Nürnberger Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung e.V. (ISFBB), Co-Autorin der internationalen Studie zu NS-Zwangsarbeit „Hitlers Sklaven“ („Hitlers Slaves“), verfasste mehrere Publikationen über Holocaust-Überlebende sowie extrem rechte Bewegungen. Sie konzipierte die bundesweit beachtete Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ und führte mehr als 300 Zeitzeugengespräche mit Holocaust-Überlebenden.

Fakten zu Rechtsextremismus in Deutschland

Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten ist 2019 gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Gleichzeitig sind mit dem mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mord am damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, dem versuchten Mord an einem eritreischen Asylsuchenden in Wächtersbach und dem antisemitischen und rechtsextremistischen Angriff auf eine Synagoge in Halle an der Saale im Jahr 2019 besonders schwerwiegende Gewalttaten zu verzeichnen gewesen.

Im Februar 2020 setzte sich diese Serie an Gewalttaten mit dem mutmaßlich rassistisch motivierten Morden in Hanau fort. Die Radikalisierung der mutmaßlichen Täter erfolgte dabei außerhalb fester Gruppenstrukturen. Rechtsextremistische Akteure und Gruppierungen nutzen verstärkt das Internet zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts und zur Vernetzung.

Durch koordinierte Provokationen und die gezielte Verbreitung von Hassbotschaften über soziale Medien wird die Aufmerksamkeit auf eigene, rechtsextremistische Narrative gelenkt und der demokratische Diskurs manipuliert. Auch rechtsextremistische Kampfsport- und Musikveranstaltungen spielten im Jahr 2019 weiterhin eine große Rolle für die rechtsextremistische Szene. Die Zahl gewaltorientierter Rechtsextremisten lag im Jahr 2019 bei rund 13.000 Personen.

[Quelle: Innenministerium]

Online-Vortrag zum Thema

Am Donnerstag, 25. November, ab 18.30 Uhr referiert Birgit Mair in einem Zoom-Online-Vortrag unter dem Titel "Extrem unterschätzt: Frauen in der rechten Szene". Die Rechtsextremismus-Expertin, Buchautorin und Ausstellungskuratorin Birgit Mair klärt in ihrem 60-minütigen Vortrag über die Rolle extrem rechter Frauen in Bayern, insbesondere über deren Aktivitäten und Strategien im nordbayerischen Raum auf. Im Anschluss an den Vortrag gibt es die Möglichkeit für Fragen und Diskussion. Die Zoom-Veranstaltung findet statt in Kooperation mit der Gleichstellungsstelle des Landratsamtes Roth und der Initiative „Roth ist bunt“ der Stadt Roth. Die Teilnahme ist kostenfrei - Anmeldung per E-Mail an info@isfbb.de.

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