Michaela Raab kämpft von Roth aus für Rechte Intersexueller
17.10.2014, 17:49 UhrEin Mädchen! Als Michaela Raab 1974 im nördlichen Landkreis das Licht der Welt erblickt, ist die Freude groß: Rosig und gesund liegt der Wonneproppen in den Windeln. Eine vergrößerte Klitoris fällt da nicht weiter ins Gewicht.
Die Kleine wächst und gedeiht, trägt auch mal Kleidchen und tut „einfach das, was von einem Mädchen erwartet wird“. Doch schon bald merkt Michaela: „Ich war anders als meine Cousinen“. Sie spielt gerne mit den Jungs, ihr Verhalten ist insgesamt burschikos. Man denkt sich nicht viel dabei.
Als sie mit 19 noch immer keine Periode hat, ihre Brust nicht wachsen will, sucht sie den Rat der Gynäkologie. Die konsultierte Frauenärztin veranlasst eine Chromosomenanalyse, deren Ergebnis der Patientin allerdings vorenthalten wird. Stattdessen heißt es: Michaela Raab sei „halt eine Frau, bei der die Eierstöcke verkümmert sind“. Heute meint sie: „Die Ärztin muss damals schon gewusst haben: Vom Chromosomenbild her sitzt da ein Mann vor ihr...“
Es folgt die Überweisung ans Uniklinikum Erlangen. Dort wird im Zuge einer Bauchspiegelung „intensivst nach den Eierstöcken gesucht“. Man stößt auf „ominöses Gewebe“. Dass es sich im Hinblick auf Michaela Raabs XY-Chromosomen um Hoden handeln könnte, wird offenbar ignoriert. Denn die Therapie, auf die man setzt, ist eine konzentrierte Gabe von Östrogenen - weiblichen Hormonen. „Damit schießt man einen Mann im schlimmsten Fall ab!“, weiß Michaela Raab inzwischen. Bei ihr sollte es beinahe soweit kommen.
Während man 1995 dringend zur Verkürzung ihrer „abnorm großen Klitoris“ rät (die in Wahrheit ein kleines Glied ist), gehen die Hormonbehandlungen in eine nächste Runde. Michaela Raabs Gesundheitszustand verschlechtert sich indes zusehends.
2004 wird ihr endlich erklärt: „Sie haben zwar männliche Gene, sind aber eine ganz normale Frau“. Hormone kriegt sie weiterhin.
2005 ist Michaela Raab ein Wrack – erwerbsunfähig, depressiv und „körperlich total fertig“. Doch die Testergebnisse der Humangenetik lassen ihr keine Ruhe. Sie tut sich im Internet um, stößt auf die Foren intersexueller Menschen – und weiß seitdem: „Ich bin nicht allein!“
In der Tat: Michaela Raab ist kein Einzelfall. Gesicherte Zahlen gibt es zwar nicht, jedoch schätzt man, dass bei etwa zwei bis drei Prozent der Weltbevölkerung eine Diskrepanz zwischen genetischem und äußerlich sichtbarem Geschlecht besteht. „Disorders of Sex Development“ (DSD) heißt das in der Fachsprache.
Es sind Menschen, die das Ringen für ein Anrecht auf ihr „So-Sein“ verbindet. Menschen, die im Regelfall einen langen, schmerzvollen Weg hinter sich haben. Um nämlich ein geschlechtstypisches Aussehen und damit eine Eindeutigkeit herzustellen, wurden viele von ihnen noch vor dem Kindergartenalter „operativ korrigiert“.
Fatal und brutal
Fatale und brutale Eingriffe seien das. Eingriffe, die die UNO sogar in die Kategorie „Folter“ einstuft, um mit einer entsprechenden Konvention gegenzusteuern. Weitreichende Eingriffe, denn: Die gesunde Entwicklung einer geschlechtlichen Identität sei dann kaum mehr möglich, heißt´s. Psychische Probleme wären vorprogrammiert.
Michaela Raab kennt viele tragische Geschichten, seit sie in Landes- und Bundesvorstand „Intersexuelle Menschen e.V.“ aktiv ist. Sie selbst hat inzwischen auf Anraten anderer Betroffener die Östrogene abgesetzt, durch Testosterone substituiert - und gemerkt: „Männliche Hormone sind das, was meinem Körper gefehlt hat“. Sowohl seelisch als auch körperlich geht es ihr besser.
2008 nahm sie deshalb den Kampf für die Rechte von Intersexuellen auf und verklagte den Freistaat Bayern auf Opferentschädigung. Der Prozess geht jetzt in die zweite Instanz. Gegen das Uniklinikum Erlangen reichte sie 2011 Klage ein. Aus Überzeugung. „Weil ich Papiere habe, die belegen, dass man mich nicht aufgeklärt hat“. Wie weitreichend sie geschädigt wurde? Welche Eingriffe man vorgenommen hat? Hinter all diesen Fragen stünden „dicke, große Fragezeichen“. Der Zivilprozess vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth beginnt am 26. Feburar 2015.
Es ginge ums Prinzip, sagt Michaela Raab, die mit ihrem Vorstoß Mut machen will: „Noch viel zu viele intersexuelle Menschen sitzen im stillen Kämmerlein und leiden“. Das müsse sich ändern. Drum freue sie´s umso mehr, dass das Thema „Intersexualität“ sowohl bei UNO und Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch im deutschen Ethikrat und damit im Bundestag ein Echo gefunden hat.
2012 rückte etwa der Familienausschuss „Operationen zur Geschlechtsangleichung“ als Verstoß gegen das „Recht auf körperliche Unversehrtheit“ in den öffentlichen Fokus. Auch beim Berliner „Institut für Menschenrechte“ habe man Verbündete. Und trotzdem: Noch sei man auf dem Weg, meint Michaela Raab. Dass der „männlich“/„weiblich“-Eintrag ins deutsche Personenstandsregister seit 2013 bisweilen auch offen bleiben muss, wertet sie als Etappenerfolg.
Denn eigentlich gehe es doch um viel mehr: um ein selbstbestimmtes, diskriminierungsfreies Leben. Darum, „dass die Gesellschaft aufhört, im Binärsystem Mann-Frau zu denken und zu glauben, alles was da nicht reinpasst, wäre ein Mangel“.
Um sich diesem Ideal zu nähern, wird gearbeitet – am Aufbau einer Bundesgeschäftsstelle zum Beispiel oder an der Etablierung von Beratungsstellen in den Ländern. Denn alles, was intersexuelle Menschen wollen, sei ein frei vorgetragenes Bekenntnis: „Ich bin ich!“
www.zwischengeschlecht.org
www.intersexuelle-menschen.net
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