Nach tödlichem B2-Drama: Jetzt spricht ein Notfall-Betreuer
9.1.2020, 06:02 UhrHerr Geißler, Sie arbeiten beim Kriseninterventionsteam (KIT) des BRK Südfranken und waren bei dem schrecklichen Familiendrama im Einsatz. Nach dem Zusammenprall zweier Autos starben eine 35-jährige Mutter und ihre drei Kinder. Wie haben Sie den Abend erlebt?
Jürgen Geißler: Es kam eine Alarmierung rein, die war ganz kurz und knapp. Stichpunkte waren etwa "VU" für Verkehrsunfall und "laufende Reanimationen". Das hieß für uns, alles, was Beine hat, musste da raus. Wir arbeiten mit der Notfallseelsorge zusammen und waren mit zehn Helfern vor Ort. Fünf Seelsorger und fünf Kriseninterventionshelfer. Mit denen haben wir den Einsatz abgearbeitet. Wir waren vor Ort, bis die letzten Einsatzkräfte gegangen sind. Anschließend waren wir noch auf der Rother Polizeiwache bei jungen Polizeibeamten, die mit als erstes vor Ort waren und mit denen man dann eben noch eine Tasse Kaffee getrunken hat.
Das klingt relativ sachlich. Was waren Ihre genauen Aufgaben und wie darf man sich das vorstellen?
Jürgen Geißler: Wir kriegen immer einen Auftrag vom Einsatzleiter, der uns einweist und sondieren dann die Lage. Wo sind zum Beispiel die Zelte, in denen die Leute untergebracht sind? Die Kollegen sind meistens schon zu Gange, wir kümmern uns dann um die Ersthelfer oder Zeugen, die nah dran waren und das Geschehen miterlebt haben. Die werden dann von uns betreut. Zwei von uns haben administrative Aufgaben übernommen, die anderen waren im Gespräch mit Ersthelfern, Unfallzeugen oder Helfern, denen man das Gespräch anbietet. Wir geben psychosoziale Unterstützung. In der Regel fangen die Menschen dann von sich aus an zu erzählen, wie sie mit der Situation klarkommen und wie sie die ganze Sache erlebt haben.
Hilft den Betroffenen Ihr Trost?
Jürgen Geißler: Das Allerwichtigste ist, dass die Menschen Leute vor sich haben, die wissen um was es geht. Jeder von uns kommt aus dem Rettungsdienst und hat solche Reanimationen und Unfallszenarien schon mal live miterlebt. Wir können natürlich nichts an der Situation ändern, aber alleine ein Gespräch zu führen, entlastet die Betroffenen ungemein. Nächste Woche findet auch ein Treffen mit allen beteiligten Rettungskräften des Unfalls auf freiwilliger Basis statt, um darüber zu reden. Das ist das, was die jetzt brauchen.
Tragödie bei Wernsbach: Vier Tote nach schwerem Unfall auf der B2.
Wie gehen Sie selbst mit so viel Leid um, das Sie erleben?
Jürgen Geißler: Ich bin seit 1975 im Rettungsdienst, man lernt auch sehr viel in der Ausbildung. Ich habe bestimmt 700 Ausbildungsstunden absolviert, Supervisionen und den Fachlehrgang für psychosoziale Notfallversorgung. Man hat Erfahrung, wir fahren ja nicht nur zu solchen Einsätzen, wie denen am Sonntag.
Bei was für Einsätzen sind Sie sonst noch im Einsatz?
Jürgen Geißler: Normalerweise überbringen wir Angehörigen von Unfallopfern Todesnachrichten gemeinsam mit der Polizei – gerade nach Verkehrsunfällen. Da gibt es fast jede Woche irgendwo einen Einsatz. Oder man steht Menschen nach einer erfolglosen Reanimation zur Seite. Mein am weitesten entfernter Einsatz war in Malta. Da haben wir die Besatzung von Schiffseinsätzen betreut, beispielsweise von der "Alan Kurdi".
Wir sind also bei Seenotrettern im Einsatz, die Flüchtlinge auffischen und an Land bringen. Wenn die mit ihren Fahrten vorbei sind und an Land anlegen, sind wir für sie da. Ich war aber auch beim Loveparade-Drama in Duisburg, wo wegen einer Massenpanik Leute totgetrampelt wurden. Man erlebt schon einiges in diesem Job. Man muss Emotionen aushalten.
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