Para-Staffel eröffnet ein neues Zeitalter
6.9.2020, 18:41 UhrEs ist kurz nach sechs Uhr morgens, als Christiane Reppe am Ufer des Rothsees in den Rennmodus schaltet. Kurzes Aufwärmen, Neoprenanzug, Schwimmbrille und -kappe zurechtmachen – die Handgriffe der einseitig beinamputierten Dresdnerin sind routiniert. Auch vom Medienrummel – u.a. berichten der BR und das Franken Fernsehen – lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Selbst dass kurz vor dem Start noch die Strecke geändert wird, nimmt sie gelassen hin. Anstatt zweimal den Dreieckskurs des Rothsee-Triathlons plus ein paar Extrameter zu schwimmen, geht es vom Hafen Heuberg aus Richtung Hauptsperre, dann um eine kleine Insel herum und zurück zum Start.
Punkt 6.30 Uhr schicken Alice Walchshöfer und knapp drei Dutzend Zuschauer und Betreuer die 33-Jährige mit ihrem Begleitschwimmer und einem Stand-up-Paddler als Orientierungshilfe auf den Rundkurs. Während Reppe irgendwann aus dem Sichtfeld verschwindet, erzählt Alice Walchshöfer, Roths Grand Dame des Triathlons, dass exakt diese 3,8 Kilometer Strecke in den 1990er Jahren dreimal im Rahmen der Rother Langdistanz geschwommen wurde.
Mit viel Applaus wird die Para-Athletin nach knapp 59 Minuten wieder am Ufer in Empfang genommen. Kaum aus dem Wasser schickt sie per Handy das Renntandem auf den Weg. Pilot Peter Renner und sein praktisch blinder Stoker Tim Kleinwächter starten aus der Wechselzone 1 am Kanal auf ihre beiden Schleifen durch den südlichen Landkreis. Auf der ersten Runde geben die beiden, die seit vier Jahren zusammen auf dem Rad sitzen, ordentlich Gas. Weder ein gemächlich dahinzuckelnder Traktor noch die Baustellen unterwegs können sie wirklich bremsen.
Dass an diesem Tag nicht der bekannte Trubel am Straßenrand herrscht, hat sogar Vorteile, meint Tim Kleinwächter später. "Der Solarer Berg zum Beispiel war heute einfacher und schneller zu fahren." Nicht zuletzt deshalb, weil keine Age Grouper bremsen und auch das für das Renntandem nicht unproblematische, weil fast zu enge und unberechenbare Zuschauerspalier fehlt. Dass "trotzdem vereinzelt Leute angefeuert haben", sei natürlich toll gewesen. "Aber beim Challenge ist es schon ein anderes Feeling", gibt er zu.
Nach ziemlich genau zwei Stunden nehmen Renner und Kleinwächter bereits die zweite Runde in Angriff. Die sollte es in sich haben. Der Wind nimmt zu, wird "zwischen Thalmässing und Greding richtig heftig", und der Verkehr auf der nicht abgesperrten Strecke hält dann teilweise doch auf. Die gemeldeten Zwischenzeiten werden sukzessive schlechter. Auch, weil der viele Verkehr "für den Kopf echt anstrengend war", wie Peter Renner im Ziel feststellte. "Man musste wesentlich wacher sein. Den Part habe ich tatsächlich unterschätzt", gesteht er ein.
Aber das Duo beißt sich durch und holt wieder auf. Am Ende klatschen sie Thomas Frühwirth, der den Marathon mit seinem Rennrollstuhl absolvieren wird, trotzdem nach 4:12 Stunden ab, und bleiben damit nur fünf Minuten unter ihrer persönlichen Wettkampf-Bestzeit für die 180 Challenge-Kilometer.
Kaum ist der 39-jährige Österreicher, der seit einem Motorradunfall vor 16 Jahren eine inkomplette Querschnittslähmung hat, in seinem Rennrolli auf der Strecke, beginnt es leicht zu regnen. Ausgerechnet! Denn vor dem Start machte sich der Ausnahme-Para-Triathlet (u. a. Para-Rekordhalter auf Hawaii mit 9:02 Stunden, schnellster Para-Triathlet auf der Langstrecke mit 7:48 Stunden) eigentlich nur über zwei Dinge Gedanken: über die Höhenmeter (Rennrollstuhlstrecken sind meist sehr eben) und dass es nass werden könnte. Dann wird es nämlich schwer, den nötigen Druck auf den Antriebsring am Reifen zu bringen.
Der Regen lässt jedoch bald nach und Frühwirth jagt sein Sportgerät mit kräftigen Armbewegungen durch das Rother Umland. Von der Wechselzone II am Rother B 2-Pendlerparkplatz fährt der Profisportler (wie das Renntandem immer begleitet von zwei Wettkampfrichtern auf Motorrädern sowie zwei bis drei Helferfahrzeugen mit Ersatzmaterial, Verpflegung) nach Eckersmühlen und weiter über Laffenau, wo im Anschluss auch die unangenehmsten Steigungen warten, bis kurz vor Altenheideck. Dort wird gedreht und nach einer kleinen Extrarunde geht es anschließend dieselbe Strecke zurück und Richtung Rother Stadtgarten.
Angesichts der Geschwindigkeit und Konstanz, mit der Thomas Frühwirth, tief gebeugt in seinem Sportgerät kauernd ("Es hat mich eineinhalb Jahre gekostet, bis sich mein Körper an die Position gewöhnt hat"), über die Marathonstrecke jagt, wird schnell klar, dass Andreas Dreitz‘ Siegerzeit aus dem Vorjahr zu schlagen kein Problem ist. Fällt etwa sogar Frodenos Fabelbestzeit von 7:35 Stunden aus dem Jahr 2016? Während im Zielbereich die letzten Vorbereitungen für das Finish getroffen werden, kommt plötzlich Hektik auf. Unerwartet früh heißt es: "Er ist auf den letzten Kilometern!"
Kurz darauf ist es tatsächlich so weit: Frühwirth biegt in den Stadtgarten ein, holt auf dem Weg durch das imaginäre Stadion seine drei Mitstreiter ab und nach unvorstellbar kurzen 6:49 Stunden rollt bzw. läuft die Para-Staffel durch den Zielbogen über die Finishline. Mit dieser Zeit haben sie nicht nur Dreitz‘ Vorjahreszeit pulverisiert, sondern gleich noch zwei Rekorde klar unterboten: Sie waren schneller als die aktuell von Jan Frodeno gehaltene Weltbestzeit und auch noch 15 Minuten schneller als die bislang schnellste Triathlon-Staffel in Roth (2009 benötigte das Trio von Guttenberger & Partner II 7:04 Stunden)!
Im Ziel warten neben einigen anderen Zuschauern bereits Alice und Felix Walchshöfer mit Medaillen, einem 500-Euro-Scheck und strahlenden Gesichtern ob dieser spektakulären Leistung. Sogar die Athleten selbst sind von dem Ergebnis beeindruckt. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell wird!", sagt Thomas Frühwirth mit einem breiten Grinsen. Die Marathon-Zeit von 1:38 Stunden ist "schon brutal schnell", freut er sich. Vor allem bergab habe er ordentlich Speed mitnehmen und damit Boden gutmachen können, und die Anstiege seien erheblich besser als gedacht gelaufen.
Auch Organisator und Renntandem-Pilot Peter Renner ist absolut begeistert. "Ich bin echt überwältigt. Eine Zeit unter sieben Stunden hätte ich nicht zu träumen gewagt", sagt er strahlend ins Fernsehmikro. Felix Walchshöfer wiederum freut sich zum einen, "dass doch was stattgefunden hat dieses Jahr". Zum anderen habe er "absoluten Respekt" vor dieser Zeit. "Da sieht man, was Menschen alles leisten können." Andi Dreitz zollt aus Estland seinen Respekt: "Die Zeit ist sensationell! Ich wusste, dass alle heiß sind und sich bestens vorbereitet haben. Diese unglaubliche Zeit versetzt auch mich in Staunen. Herzlichen Glückwunsch!"
So toll der sportliche Erfolg ist, #record_roth20 will nicht zuletzt Spenden sammeln. Renner und seine Mitstreiter haben sich entschieden, die Spendenaktion noch etwas länger laufen zu lassen. Ob es am Ende aber 1000 oder 10 000 Euro werden, sei nicht entscheidend, stellt Peter Renner klar. "Jeder Euro ist es wert, dass wir dieses Projekt gemacht haben!"
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