Wegbereiter für Hilpoltsteins Tischtennis-Märchen
19.4.2020, 06:59 UhrBeruflich hatte der gebürtige Mannheimer eine Karriere hingelegt, die durchaus den Stempel des Außergewöhnlichen trägt: Vom Sport-Journalisten und späteren Textchef des Quelle-Konzerns zum 1. Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Hilpoltstein. Im Fürther Stammhaus von Quelle zeichnete er für den legendären Quelle-Katalog mitverantwortlich, einem der Bestseller der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Als ausgesprochen sozial eingestelltes Stadtoberhaupt legte er unter anderem den Grundstein für einen neuen Hilpoltsteiner Stadtteil, den der Volksmund flugs in "Beringers-Dorf" umbenannte. Zum Ausgleich für den stressigen Job im Konzern-Büro oder Rathaus-Zimmer griff Beringer nicht nur regelmäßig zum Tischtennis-Schläger, sondern kümmerte sich im Verein auch um die Nachwuchspflege und organisatorische Belange wie Marketing oder die Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem legte er stets einen hohen Wert auf den guten Kontakt zu den Hilpoltsteiner Nachbarvereinen.
Der Spannungsbogen im sportlichen und beruflichen Leben des zweifachen Familienvaters jedenfalls war immer straff gespannt. Als es mit dem Quelle-Konzern mehr und mehr den Bach hinab ging, hatte Beringer längst sein Chefzimmer in Fürth mit dem Bürgermeisterzimmer im Hilpoltsteiner Rathaus getauscht. Beim Wechsel in die Politik war dem Sozialdemokraten die bei Quelle geschulte Fähigkeit, komplexe Themen auf den Punkt zu bringen, zu Gute gekommen.
Doch die berufliche Fortsetzungsgeschichte als Hilpoltsteiner Bürgermeister hatte einen Haken. Nach sechs Jahren zeigte die Mehrheit der Bürger ihrem unbestritten kreativen Stadtoberhaupt die kalte Schulter. Jedenfalls endete für Beringer die Ära als Bürgermeister zu einem Zeitpunkt, als er drauf und dran war, seine Vorstellungen von einer lebenswerten Kleinstadt umzusetzen. Manches war für die Allgemeinheit wohl zu schnell gegangen. Für den Berufsoptimisten ein ausgesprochen schmerzlicher Prozess.
Das Miteinander im Tischtennissport baute den sichtlich angeschlagenen Ex-Bürgermeister wieder etwas auf. Außerdem pflegte er als Kreisrat nach wie vor sein Faible für die Sozialpolitik. Als Bernd Beringer 1996 erstmals für den Kreistag kandidierte, rückte er als Stimmenkönig der SPD von Listenplatz 37 auf Rang neun vor. Sein so einfacher wie genialer Slogan, "Hilpoltsteiner wählen Hilpoltsteiner", zahlte sich nicht nur für seine Partei aus. Insgesamt neun Kreisrätinnen und Kreisräte stellte die Burgstadt damals und damit fast doppelt so viele wie das fast doppelt so große Roth.
Sechs Jahre später startete Beringer wieder von Platz 37 und wurde prompt erneut "Häufelkönig". Nach sechs Jahren als Bürgermeister und 18 Jahren im Kreisrat (1996-2014) verabschiedete sich der Sozialdemokrat endgültig von der Kommunalpolitik. Jetzt konnte er alle Kräfte für sein sportliches Lebenswerk bündeln. Seine Vision, als kleiner (Tischtennis-)Verein im Konzert der Großen mitzumischen, hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits verwirklicht. Die erste TT-Mannschaft war unter der Regie von Manager Beringer zu einem "gestandenen" Bundesligisten avanciert, der nach neun Jahren 2. Liga auch den Sprung in die neue eingleisige 2. Bundesliga schaffte.
Erfolg lässt sich im TT-Sport natürlich auch mit Geld kaufen. Beringers Philosophie aber war der genaue Gegenentwurf zum Sport unter dem Diktat eines großen Investors. Er setzte auf eine konsequente Förderung von Talenten, ein stimmiges Umfeld sowie auf die Partnerschaft mit zwar kleinen, dafür aber umso treueren Sponsoren. Der Aufstieg in die 2. Bundesliga in der Saison 2004/2005 war die Bestätigung für das ehrenamtliche Engagement von Bernd Beringer.
Dass die Jugendabteilung des TV Hilpoltstein heute den Nachwuchssport in Bayern dominiert, ist ein weiterer Beleg für einen klugen, auf Breitenwirkung zielenden Aufbau. In der zweiten Mannschaft, die nach dem Aufstieg in die Regionalliga vernehmlich an das Tor zur 3. Bundesliga klopfte, wiederum besteht für Top-Talente wie den Röttenbacher Hannes Hörmann die Chance, sich an den großen Sport heranzutasten. Zu Beringers Vorstellungen von einem funktionierenden Verein zählt zudem die Teamfähigkeit. Auch, weil das Fachpublikum in Hilpoltstein ein feines Gespür dafür hat, ob ein Spieler den Mannschaftsgedanken hochhält oder sein eigenes Süppchen kocht. In Hilpoltstein zählt das Miteinander. Deshalb stehen die Zuschauer stets hinter ihrem Team. Entsprechend prickelnd ist die Atmosphäre bei den Heimspielen.
Als Bernd Beringer Anfang der 1980er Jahre als Spieler der ersten Herrenmannschaft in der Kreisliga um Meisterschaftspunkte kämpfte, kreisten die Erwartungen noch relativ bescheiden um den möglichen Aufstieg in die Bezirksliga. Doch es kam weit besser. Die im Sommer 1982 erkämpfte Kreismeisterschaft leitete einen geradezu kometenhaften Aufstieg ein. Bernd Beringer war in dieser Zeit längst nicht nur ein leidenschaftlicher Punktesammler. Sein Talent als Organisator und Förderer des Nachwuchses trug erstmals Früchte, als mit dem Brüderpaar Rainer und Stefan Frisch die bislang größten Hilpoltsteiner Talente für frischen Wind in den fränkischen und bayerischen Ranglisten sowie im Mannschaftssport sorgten.
Weitere spielstarke Eigengewächse bestätigten den Kurs des Abteilungsleiters. Gezieltes Training und die regelmäßige Beteiligung an den Ranglistenturnieren erforderten aber auch einen hohen organisatorischen Aufwand, den sich eine ganze Reihe von ehrenamtlichen Helfern teilte. Ein Engagement, das belohnt wurde. Mit den etliche Jahre im vorderen Paarkreuz unbesiegten Frisch-Brüdern Rainer und Stefan konnte den TV-Express scheinbar nichts mehr bremsen. Hilpoltstein blieb in Punktspielen fünf Jahre lang ungeschlagen und arbeitete sich in dieser Zeit bis in die Bayernliga vor. Auch, weil sich zu den Hilpoltsteiner Top-Talenten Rainer und Stefan Frisch sowie Jürgen Schmitzer mit Michael Kohlbrand ein Routinier gesellt hatte, der als Punktesammler glänzte und es zudem bestens verstand, den Mannschaftsgeist zu stärken.
Nach einer "Ehrenrunde" in der ersten Bayernliga-Saison machte mit Rainer Schreiter ein weiterer Shooting-Star aus Hilpoltstein auf sich aufmerksam. Jahre später schmetterte sich mit Felix Bindhammer erneut ein Hilpoltsteiner Eigengewächs in den Vordergrund. Schon sein Vater Gerd war mit der ersten Mannschaft nicht weniger als viermal aufgestiegen. Sohn Felix reifte in dieser Zeit zum erfolgreichsten Spieler des TV Hilpoltstein heran, der im Schüleralter erstmals einen DM-
Titel in die Burgstadt holte und im gleichen Jahr die beiden wichtigsten Bundesranglistenturniere gewann. Vor dem Hilpoltsteiner Eigengewächs war dieser Dreifacherfolg nur den späteren TT-Weltmeistern Timo Boll und Jörg Roßkopf gelungen.
1988 war der Hilpoltsteiner Aufstiegszug erst einmal in der bayerischen Oberliga angekommen. Mit Peter Kilian und Daniel Geupel hatten zwei Neuzugänge voll eingeschlagen.
Auf dem Weg nach oben waren für den TV Hilpoltstein die Bezirksliga-Duelle mit den Nachbarn aus Roth (TSV) und Schwabach (TSV 04) die herausragenden Ereignisse. In Hilpoltsteins erstem Oberliga-Jahr zählten mit Jahn Nürnberg und FC Bayreuth zwei fränkische Traditionsvereine zu den größten Rivalen. Legendär das Heimspiel gegen Jahn Nürnberg. Rund 400 Zuschauer mussten in der kleinen Gymnasiumhalle über vier Stunden ausharren, bis der Hilpoltsteiner 9:7-Sieg feststand. "David" Hilpoltstein hatte auch das Duell mit "Goliath" Bayreuth für sich entschieden und so seine Premieren-Saison in der bayerischen Oberliga mit dem Meistertitel gekrönt.
Manager Bernd Beringer ließ sich vom bislang größten Erfolg des TV Hilpoltstein nicht blenden. Um für die Regionalliga gerüstet zu sein, bedurfte es weiterer Verstärkungen. Mit Thomas Ehret und Oliver Rothhaupt fügten sich zwei mittelfränkische Spitzenspieler zwar gut ein, doch dem Neuling gelang es nur mit Mühe, die Klasse zu halten. Die Tischtennisbegeisterung in Hilpoltstein blieb freilich ungebrochen. Doch gerade als sich in der dritten Regionalliga-Saison ein Aufwärtstrend andeutete, kam es zum großen Knall. Rainer Schreiter erlag dem Bayreuther Lockruf des Geldes und mit dem Eigengewächs verließen Thomas Ehret und Oliver Rothhaupt nach drei Jahren wieder die Burgstadt.
Die Führungsriege um Bernd Beringer entschied sich daraufhin zum freiwilligen Abstieg aus der Regionalliga. Die nicht einfache Konsolidierungsphase in der Oberliga sollte geschlagene acht Jahre dauern, ehe eine mit den Eigengewächsen Felix Bindhammer und Florian Seitz verstärkte Hilpoltsteiner Mannschaft wieder nach oben blicken konnte. Zum Wiederaufstieg in die Regionalliga (2001) hatten mit dem jungen Michael Ziegler und Michal Bittner aus Tschechien auch zwei Neuzugänge beigetragen. Beim Saisonfinale in Versbach ging die Post ab, als die entscheidenden Punkte unter Dach und Fach waren. Über 100 Hilpoltsteiner hatten in Unterfranken ihre Mannschaft zum Sieg gepeitscht.
"Motor" Bernd Beringer bewies weiterhin ein glückliches Händchen, wenn es galt, der Mannschaft neue Impulse zu verleihen. Nach drei Jahren im Mittelfeld der Regionalliga bewies der Teamchef mit der Verpflichtung von Jochen Sand und David Marek erneut sein Gespür. Nicht nur sportlich, sondern auch kameradschaftlich passte alles. 2004 ertrank dann Tischtennis-Hilpoltstein förmlich im Jubel. Kapitän Felix Bindhammer hatte sein Team in die 2. Bundesliga geführt. Beim entscheidenden Spiel an einem Sonntagmorgen in Würzburg war halb Hilpoltstein vertreten.
Für den Provinzclub aus Hilpoltstein war es zwar alles andere als einfach, sich langfristig dem immens hohen Bundesliga-Niveau mit zahlreichen Spielern aus der erweiterten Weltklasse anzupassen. Doch Teamchef Beringer blieb das Glück hold. Mit dem sympathischen Alexander Flemming holte er einen Spieler aus Sachsen nach Franken, der zusammen mit Lokalmatador Felix Bindhammer zum großen Zugpferd wurde. Mit Nico Christ, Dennis Dickhardt und später Petr David infizierten sich weitere Topleute mit dem Hilpoltstein-Virus. Die Beringer-Truppe etablierte sich immer besser in der 2. Bundesliga und ließ sich auch durch die ungeliebte Bundesligareform, die den Zweitligisten Viererteams samt der eingleisigen 2. Bundesliga bescherte, nicht aus dem Konzept bringen. Als Meister der 3. Bundesliga stiegen die Mannen um Kapitän Bindhammer in die neue Liga auf. Seitdem schlagen sich die Hilpoltsteiner Amateure im Kreis von überwiegend mit Profis besetzten Zweitligisten ausgesprochen gut. Zwischendurch haben Flemming und Co. sehr zur Freude von Teamchef und Medienspezialist Bernd Beringer sogar einmal die Herbstmeisterschaft gewonnen. Am Ende trennte Hilpoltstein nur das geringfügig schlechtere Satzverhältnis gegenüber Bad Königshofen und Jülich vom Aufstieg in die 1. Bundesliga.
Dass in der fränkischen TT-Hochburg große Namen wie Borussia Dortmund, 1. FC Köln oder Werder Bremen ihre Visitenkarte abgeben, verdeutlicht wohl mehr als alles andere den Aufstieg des einstigen Kreisligisten. Mit dem 3:1-Sieg im Pokal gegen den Erstligisten aus Bremen sorgte der TV gar für ein Novum im deutschen TT-Sport. Erstmals hatte ein Zweitligist den Einzug ins Final Four geschafft. Dass die Losfee dem Außenseiter mit dem deutschen Ausnahmeclub Fortuna Düsseldorf im Halbfinale ein Traumlos bescherte, veranlasste 300 Hilpoltsteiner Fans an einem Sonntagmorgen im Januar 2017, in einen der Charterbusse zu steigen, um in der Arena von Neu-Ulm ihr Team gegen Timo Boll und Co. lautstark zu unterstützen. Selbst für Weltstar Boll bedeutete dieser Vergleich etwas Besonderes. Schließlich war er zuvor als zweimaliger Gast in der Hilpoltsteiner Stadthalle zu der Erkenntnis gelangt, dass Hilpoltstein weit mehr ist als ein normaler Tischtennis-Verein – auch dank eines Visionärs wie Bernd Beringer.
HANS PÜHN
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