Proteste in Harrlach und Feucht
"Wir sind ein gallisches Dorf!" Gegenwind für ICE-Werk wird rauer
20.9.2021, 06:04 UhrBei der Kundgebung im betroffenen Bannwald stellte er klar: „Wir leisten Widerstand – und wenn wir uns an den Bäumen festketten müssen.“ Durch Rasseln, Trompeten und mit tosendem Applaus erfuhr Amrhein ordentlich Zustimmung.
Indes gab es lautstarke „Buhrufe“ für eine Stellungnahme der Bayerischen Staatsregierung, die Amrhein unlängst erhielt. Darin werde ein „transparenter Dialog mit der Bahn“ ausgelobt. Er habe diesen Dialog selbst erfahren dürfen: Eine „lapidare WhatsApp-Nachricht“ mit dem Inhalt „Harrlach sei noch im Rennen“ ließ das Fass im Rother Ortsteil überlaufen: „Verarschen kann ich mich selber auch!“
„Tafelsilber verramscht“
Auf den Arm genommen fühlen sich die Harrlacher auch durch nicht eingehaltene Aussagen seitens der Stadt Nürnberg und der verantwortlichen Politik. Allen voran von der Deutschen Bahn: „Dort hat man das Tafelsilber verramscht und jetzt gibt es nichts mehr.“ Aus diesem Grund würde die Bahn nun auf billigem Grund bauen wollen – „auf Kosten von Mensch, Tier und Natur“.
Amrhein und seine Mitstreitenden betrachten das Vorhaben als „völlig überdimensioniert“. Immerhin lasse sich den Planungen entnehmen, dass bei Harrlach das zweitgrößte ICE-Werk in ganz Deutschland entstehen solle. Momentan werde ein Kriterienkatalog für die Auswahl des knapp 100 Hektar großen Areals untersucht: „Alles spricht dagegen“. Alleine die Bewältigung des Verkehrsaufkommens liegt der Bürgerinitiative schwer im Magen; von Themen wie Bannwald, Arten- und Gewässerschutz ganz zu schweigen. „Wie soll das alles gestemmt werden?“
Auf diese Frage hin konnte MdL Verena Osgyan (Grüne) nur mit den Achseln zucken: „Die Politik hat kaum Informationen. Auch wir tappen im Dunkeln.“ Die Nürnbergerin ist zur Kundgebung gekommen, um den Protest zu unterstreichen. Für die Politikerin handelt es sich nicht nur in Harrlach um einen „Zielkonflikt“. „Die Bahn ist wichtig und wir wollen unterstützen – jedoch nicht zu jedem Preis.“ Auch sie sehe keinen idealen Standort bei Harrlach.
"Es muss alles mobilisiert werden"
Vielmehr, so forderte Osgyan, solle die Deutsche Bahn nach Industrie- oder Konversionsflächen Ausschau halten: „Es ist ein Unding, so etwas in den Wald bauen zu wollen.“ Hoffnung habe Osgyan auf ein politisches Umdenken, sobald die Dimensionen bekannt werden. „Wir müssen unsere Heimat bestmöglich schützen. Der Protest muss hochgehalten werden – es lohnt sich und ist legitim. Herrgott nochmal, es muss alles mobilisiert werden.“
Falsch sind die Planungen der DB auch für den ehemaligen Staatsminister Klaus Peter Murawski: „Wir dürfen uns nicht um jeden Industriestandort reißen. Die Zeiten haben sich geändert. Die Prioritäten müssen richtig sortiert werden.“ Schließlich gehe es mittlerweile um Gesundheit und Überleben.
„Wir müssen uns Gedanken über das Klima machen“, forderte er. „Ein solcher Standort im Wald kann einfach nicht sein.“ Murawski plädiert für eine Unterstützung der Bahn, doch sollte dem Unternehmen nicht der „leichteste Weg“ ermöglicht werden: „Druck aufbauen ist dringend nötig, und das mit rationalen Argumenten.“
"Es reicht nicht, Bäume zu umarmen"
Ein regelrechtes Dilemma stellt sich für Helmut Beran vom Landesverband für Vogelschutz dar. „Die Förderung der Bahn spielt eine entscheidende und zentrale Rolle.“ Das Projekt dürfe nicht gänzlich auf Ablehnung stoßen. „Es darf aber kein Standort befürwortet werden, der den Waldbestand gefährdet.“ Unverständlich ist für Beran deshalb die Politik von Ministerpräsident Markus Söder: „Es reicht nicht, Bäume im Münchner Hofgarten zu umarmen, wenn deutlich erkennbar ist, dass der Wald bayernweit zu einer billigen Verfügungsmasse gemacht wird. Das kann und darf nicht sein.“
Für den LBV-Landesgeschäftsführer ist die Vorgehensweise „unverständlich“. Ein ICE-Werk im Reichswald oder Vogelschutzgebiet will er keinesfalls: „Wir lassen uns nicht ausspielen.“ Die Bahn begeht seiner Ansicht nach einen großen Fehler, den Großraum Nürnberg in den Fokus zu stellen.
„Noch bei Verstand?“
Noch konkreter ist Hubert Weiger. Der Ehrenvorsitzende des BN erinnerte an rechtliche Bestimmungen, die Bannwälder schützen sollen: „Der Eingriff ist nicht zulässig. Die Staatsregierung muss aufgefordert werden, der Bahn dies klarzumachen.“ Kritisch sieht Weiger auch die dabei erforderliche Ersatzaufforstung. „Auf welchen Flächen soll dies geschehen? Ist man denn noch bei Verstand?“
Die „kleine“ Harrlacher Bürgerinitiative steht in seinen Augen für die Meinung Hunderttausender. „Wir befinden uns auf rechtlich sicherem Boden. Widerstand wird zur Pflicht.“ Er habe bereits in den 1970er Jahren erlebt, dass die Bahn durch Protest gezwungen wurde, Planungen für einen Rangierbahnhof in Wendelstein aufzugeben. „Zwingen wir die Bahn nun zu einer intelligenteren Entscheidung, aber nicht hier.“
Dies will die Bürgerinitiative auf jeden Fall durchsetzen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil die Bahn den Wald uns klaut“, riefen die Harrlacher. Unterstützung erhielten sie dabei von den ebenfalls betroffenen Bürgerinitiativen aus Feucht und Röthenbach bei St. Wolfgang.: „Wir halten zusammen“, so das Credo der Aktivisten.
Lebensraum für geschützte Arten
Bei der Protestveranstaltung in Feucht gegen die ICE-Werksstandorte Muna Nord und Süd Feucht konzentrierten sich die Argumente auf den Naturschutz. Das grüne Marktgemeinderatsmitglied und seit voriger Woche Vorsitzender des Umweltbeirats von Feucht, Andreas Sperling, erinnert an den Vorschlag der Marktgemeinde, die Gebiete Muna Nord und Süd als Naturschutzgebiete ausweisen zu lassen.
Seit sechs Wochen liegt der Antrag bei der Regierung von Mittelfranken. „Wir sind sehr gespannt, was da herauskommt“, sagt Sperling, der einen detaillieren Überblick über Flora und Fauna in dem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich Muna Nord gab und sich dabei auf Begehungen von Vertretern des Landesbundes für Vogelschutz und des Bundes Naturschutz bezieht, die im Juli mit Genehmigung an zwei Tagen und einer Nacht stattfanden.
In der Muna habe sich in den vergangenen 70 Jahren eine Art Urwald mit viel Totholz gebildet, der 87 geschützten Arten Lebensraum biete, darunter verschiedene Spechtarten, Neuntöter, Baumpieper und Heidelerche. Außerdem gibt es in der Muna geschützte Fledermausarten, die Kreuzkröte, die Gelbbauchunke, die Zauneidechse, die Kreuz- und die Schlingnatter – planungsrelevante Arten, die bei Großprojekten umgesiedelt werden müssten. Sperling verband seine Schilderung mit Attacken auf die CSU, insbesondere auf den Bundestagsabgeordneten Michael Frieser, der in der Muna einen guten Standort für ein ICE-Werk sieht.
Der Moosbacher Herbert Fahrnbauer erläuterte die Probleme, die sich bei einer eventuellen Entmunitionierung des Muna-Geländes ergäben. Die sind nach seiner Darstellung so groß, dass sich die Präferenz namhafter Politiker für die Muna als Nebelkerzen erweisen würden.
Ökologie höher bewerten
Nach einem intensiven Informationsaustausch der Wendelsteiner Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen, SPD, CSU und Freien Wähler, FDP, der Verwaltung und Vertreter der BI, wurde die Forderung an die Bahn formuliert, weitere Standortuntersuchungen vorzunehmen und dabei insbesondere bereits versiegelte Flächen vorrangig zu betrachten. Den Belangen der Anwohner und der Ökologie sei ein deutlich höherer Stellenwert als bisher beizumessen.
Der Bund Naturschutz (BN) kritisiert in einer Stellungnahme den CSU-Bundestagskandidaten Ralph Edelhäußer, weil der sich für das Muna-Gelände im Reichswald als geeigneten Standort für ein ICE-Werk ausgesprochen hatte. „Damit unterstützt Edelhäußer die Rodung von Dutzenden von Hektar Reichswald, der eigentlich als Bannwald besonders vor Rodungen geschützt werden soll“, kritisiert Stefan Pieger, stellvertretender Vorsitzender der BN-Kreisgruppe Roth.