Alle lieben Anton

17.3.2012, 09:19 Uhr
Alle lieben Anton

© Christina Götz

„Das ist ganz, ganz schön mit dem Anton“, sagt Katja. „Mit ihm wird’s nie langweilig“, erzählt Nicole. „Ich streichle den Anton jeden Früh“, berichtet Chagla. „Er bellt höchstens mal, wenn jemand Fremdes kommt“, sagt Tom. „Und der Anton ist so lustig. Einmal hat er ein Pausenbrot angeknabbert“, erinnert sich Paula. Aber das ist schon das einzig Gefährliche. „Anton ist so erzogen, dass er nicht beißt“, weiß Lora.

Katja, Nicole, Tom, Paula, Lora: Alle lieben Anton. Den kleinen Mischlingsrüden mit einem Fell, so kuschelig wie ein Steiff-Tier.

Und Christina Götz sowieso. Sie ist nicht nur die Lehrerin der jahrgangskombinierten Klasse mit Erst- und Zweitklässlern, sondern auch Antons Frauchen. Und die Erfinderin des „Projekts Anton“:

Begonnen hat es vor rund einem Jahr. „Seit er acht Wochen alt ist, ist er jeden Tag bei uns in der Klasse dabei. Aber ich besuche mit Anton auch weitere Klassen“, erzählt Christina Götz. „In anderen Bundesländern sind Schulhunde keine Seltenheit. Aber in Schwabach ist unser Anton der erste und einzige.“

Hinter der scheinbar verrückten Idee steckt ein pädagogischer Plan. „In den so genannten Anton-Stunden machen wir die Kinder mit dem richtigen Umgang mit Hunden vertraut. Mit der Versorgung und Pflege, mit der Körpersprache von Hunden. Bei Sitz- und Platzübungen oder bei Rufspielen mit Anton können die Kinder selbst Erfahrung im Umgang mit Hunden sammeln“, erläutert Christina Götz.

Die Kinder bilden einen Sitzkreis, die Lehrerin drückt jedem ein kleines Leckerli für Anton in die Hand. Der sitzt in der Mitte, reckt den Kopf nach oben und wartet hoffnungsvoll auf die kleine Zwischenmahlzeit.

Kein Schnappen, kein Biss

Nicht immer geht es ganz so brav zu wie beim Pressebesuch. „Es kommt schon vor, dass Anton mal weggeschubst wird oder einer auf ihn drauf steigt. Nicht mit Absicht, aber das passiert“, sagt die Lehrerin. Und was macht Anton? „Er muss das tolerieren. Und das tut Anton auch. Er ist ja in der Klasse aufgewachsen.“

Alle lieben Anton

© Wilhelm



Kein böses Knurren? Christina Götz schüttelt den Kopf. Kein Biss? „Nein.“ Nicht mal ein kleines Schnappen? „Wenn er das einmal machen würde, dann wäre das einmal zu viel. Dann würde er das immer wieder tun, und das ginge natürlich nicht. Dann wäre das Projekt vorbei“, betont Christina Götz. Sie weiß, wovon sie redet: „Ich habe schon immer Hunde gehabt. Anton ist neben einem Schäferhund ihr aktuell zweiter Vierbeiner. Nach der Schule nimmt sie ihn mit nach Hause und kennt ihn deshalb besonders gut. „Anton ist weder aggressiv noch sehr ängstlich. Und er ist absolut kinderfanatisch. In den Ferien ist er schlechter zu haben. Und daheim schaut er vom Garten den Kindern auf dem benachbarten Spielplatz zu.“ Der perfekte Schulhund.

Hund als Hilfslehrer

Warum aber muss er jeden Tag in die Klasse? Kann man den Umgang mit Hunden nicht auch in einigen Projekttagen erklären? Und überhaupt: Stört es denn nicht, wenn ständig ein kleiner Vierbeiner unter den Tischen herumsaust?

Christina Götz lächelt wissend. Sie kennt solche Fragen. Die sind am Anfang von allen Seiten gestellt worden. Den Kollegen, der Schulleitung, den Eltern. Doch aus Bedenken ist längst Begeisterung geworden, wie nicht nur die spontane Umfrage in der Klasse zeigt. Die Kinder führen Anton-Hefte, in denen sie ihre Erlebnisse eintragen. „Hallo Anton, ich find’ dich süß“, liest die Lehrerin daraus vor. „Oder hier: Es war so lustig, wie du das Froschlied mitgejault hast.“ Jaulen muss Anton gelegentlich nämlich schon. „Zum Beispiel, wenn ich anfange, Flöte zu spielen“, erzählt Christina Götz. Naja, auch Lehrerinnen können nicht alles können. „Das liegt natürlich nur daran, dass ihm die Töne zu laut sind“, ergänzt sie.

Doch Anton ist mehr als nur der süße Knuddel fürs Hundetraining. „Er ist auch Hilfslehrer. Die Kinder lesen ihm Geschichten vor. Und er ist Streitschlichter. Und Tröster. Mit Anton fällt es den Erstklässlern leichter, wenn die Mama wieder geht. Die Kinder kommen ja nicht zu mir in die Schule. Die kommen zu Anton“, berichtet Christina Götz.

„Die Kinder schreiben Anton auch Briefe, und manche erzählen ihm ihre Sorgen. Das ist richtig rührend. Die Briefe werden auch beantwortet. Natürlich von Anton“, fügt sie augenzwinkernd hinzu. Anton senkt sogar den Lärmpegel: „Wenn es zu laut wird, sage ich schon mal: Seid etwas leiser, Anton braucht seine Ruhe.“ Das wirkt.

Ausbildung zum Therapiehund

Manchmal ist es aber selbst Anton tatsächlich zu viel. „Unter dem Pult und an der Tafel hat er zwei Rückzugsräume. Die werden von den Kindern akzeptiert“, sagt Christina Götz.

Einmal pro Woche besucht sie mit Anton eine Hundeschule. „Alle Hunde bräuchten eine Ausbildung, damit sie hören. Das kann man trainieren.“ Der Schulhund macht sogar eine spezielle Ausbildung zum Therapiehund für Alte, Kranke und Behinderte. Der Förderverein der Helm-Schule bezuschusst die Kosten. Wie die Therapie aussieht? „Der Hund ist die Therapie an sich“, erklärt die Lehrerin. „Schon den Hund zu streicheln, tut gut. Da können ganz einfache Dinge wichtig werden.“

Sogar im Lehrerzimmer sorgt Anton für gute Laune. „Das Klima im Kollegium ist lockerer geworden. Er heitert die Konferenzen auf. Anton therapiert also auch uns“, sagt Christina Götz und lacht.

Der Wolf im Hund

Aber ist Anton nicht die Ausnahme? So nett, so geduldig, so friedlich er ist? Wird den Kindern nicht ungewollt ein falsches, ein zumindest unvollständiges Bild von Hunden vermittelt? „Ich sage den Kindern immer: Auch im Anton steckt ein kleiner Wolf.“ Christina Götz mahnt ausdrücklich zur Vorsicht vor fremden Hunden. „Auch ich kenne die berühmten drei Sätze der Hundehalter: Der tut nix. Der will nur spielen. Und wenn er dann beißt: Das hat er ja noch nie gemacht.“

Deshalb bekommen die Kinder auch ganz konkrete Verhaltensregeln. „Man guckt den Hunden nie direkt in die Augen“, betont Annika. Tom weiß auch, warum nicht: „Der denkt sonst, man will kämpfen.“ Christina Götz nickt: „Im Zweifel wechselt man lieber die Straßenseite, wenn einem ein fremder Hund begegnet.“

Die Kinder sind vorsichtig geblieben, haben aber ihre Scheu vor Hunden verloren. „Seit sie Anton kennen, haben sie keine Angst mehr“, sagt Christina Götz. Höchstens um ihr Pausenbrot.
 

Keine Kommentare