Die Tomaten-Arche von Wassermungenau
15.8.2017, 12:00 UhrWer das schmiedeeiserne Tor öffnet, sieht zunächst einmal grün. In Töpfen, in der Erde, in einem kleinen Gewächshaus, überall recken und strecken sich die Ranken in den Himmel. Tomaten, wohin das Auge blickt. "Willkommen bei der Verrückten", sagt Andrea Illini selbstironisch und balanciert eine Tomatensuppe – eine Hälfte gelb, die andere rot –, eine Tomatenbrotzeit und einen frisch gepressten Tomatensaft zum kleinen Freisitz.
Ehemann Werner sitzt schon da. "Ich habe nicht so viel Ahnung wie meine Frau", sagt der 72-Jährige bescheiden. "Aber angesteckt mit ihrer Leidenschaft hat sie mich schon."
Andrea Illini ist kein geborener Tomaten-Guru. Sie ist eigentlich ausgebildete Aroma-Therapeutin, kann aber nach einem Arbeitsunfall in ihrem angestammten Beruf derzeit nicht arbeiten. Auf die Tomate kam sie vor 16 Jahren, als sie auf der Biofach-Messe in Nürnberg Öle für ihre Arbeit kaufen wollte und über einen Stand mit Bio-Saatgut stolperte. "So habe ich meine ersten 15 Sorten bekommen", erzählt sie – und den Kontakt mit Gleichgesinnten.
Von 15 auf 540
Aus 15 Sorten wurden 50, aus 50 wurden 100, aus 100 wurden 200. Im vergangenen Jahr reisten die Illinis nach Österreich – und kamen von einem europaweit anerkannten Züchter und Sammler mit Samen für 150 weitere Sorten nach Hause. 146 davon haben gekeimt und tragen inzwischen Früchte. Mittlerweile ist beim Sortenzählen das halbe Tausend überschritten, die Tomaten wachsen nun nicht mehr nur im eigenen Garten, sondern auch ein paar Schritte vom Haus entfernt auf einem freien Grundstück. Jede Pflanze eine eigene Sorte.
Am Ende mit ihrer Leidenschaft sieht sich Andrea Illini noch nicht. Weltweit, so schätzt man, soll es rund 4000 Tomatensorten geben, "es bleibt also noch etwas zu tun".
In (fast) allen Farben
Wer Tomaten bislang nach Groß und Klein sortiert hat, der wird in der "Casa Tomata Illini", wie die Illinis ihr Tomatenparadies inzwischen ganz offiziell nennen, eines Besseren belehrt. Da gibt es weiße, gelbe, grüne, klassisch rote, aber auch braune, blaue, violette und schwarze Tomaten. Manche sind rund, die nächsten tropfenförmig.
Manche der Früchte, die eigentlich Beeren sind, sehen aus wie eine Pflaume, die anderen wie ein Pfirsich, die nächsten wie eine behaarte Orange. Es gibt Flaschen- und Datteltomaten, winzige Cocktailtomaten, von außen kaum zu unterscheiden von einer Johannesbeere, und mächtige Ochsenherzen. Die strauchartigen Gewächse werden liebevoll umsorgt. Immer wieder rückt ihnen Andrea Illini mit einer kleinen Schere zuleibe, um überflüssige Triebe zu entfernen.
Tomaten wurzeln tief
Was die Pflanzen – zumindest die, die direkt in der Erde wurzeln – praktisch nie bekommen, das ist Wasser aus der Gießkanne oder aus dem Gartenschlauch. Denn: Die Tomate, unter anderem von den Maya kultiviert, stammt ursprünglich aus Mittel- und Südamerika. Sie ist an Hitze und an Kälte gewöhnt, auch an Trockenheit. Die Wurzeln reichen bis 1,80 Meter in die Tiefe. Dieses "genetische Gedächtnis", sagt Andrea Illini, ist den Pflanzen, zumindest ihren Pflanzen, nicht abhanden gekommen.
Längst zieht Andrea Illini ihre eigenen Nachkommen. Aus den Früchten extrahiert sie die Kerne. Sie wäscht und trocknet sie und sortiert sie vorsichtig in 540 verschiedene Gläser. Einen Teil wird sie im nächsten Jahr im eigenen Garten einpflanzen. Einen größeren Teil verkauft sie auch. Das Beutelchen mit etwa 15 keimfähigen Samen für 1,80 Euro. "Kolleginnen und Kollegen sagen, dass ich damit das Geschäft ruiniere", sagt Illini. Doch sie will von ihrem Hobby nicht reich werden. "Mir ist wichtiger, dass ich weiß, wohin meine Kinder kommen."
Vielfalt in der Gärtnerei
Ein Teil ihrer Kinder kommt alljährlich nach Untersteinbach. Doch hilft die Wassermungenauerin zweimal pro Woche in der örtlichen Gärtnerei Jahn. Und auch dort ist man in gewisser Weise schon dem Tomaten-Virus verfallen. 50 Sorten sind bereits im Angebot. Der Bedarf ist offenbar gegeben. Die Verbraucher sind bereit, ein bisschen mehr zu zahlen als beim Discounter.
Aldi, Lidl, Norma & Co beziehen ihre Tomaten entweder aus dem Ausland oder in jüngster Zeit auch aus den großen Gewächshäusern, wie sie im Nürnberger Knoblauchsland und in der Region aus den Böden schießen.
Insofern muss es Andrea Illini doch eigentlich einen Stich ins Herz geben, wenn sie den Neubau des Mega-Gewächshauses am Ortsrand von Abenberg sieht.
Doch die Wassermungenauerin winkt ab: "Ich will niemandem das Geschäft streitig machen." Als Konkurrenz sieht sie die Massenproduzenten nicht. Und: "Dort wachsen auch keine Tomaten, sondern Hybriden." Hybriden nennt man Pflanzen, die nicht mehr reproduktionsfähig sind. Ihre Kerne können in der Regel nicht mehr keimen. Und: Diese Gewächshauspflanzen "sind strohdumm", wie Andrea Illini findet. "Sie brauchen enorm viel Wasser und sie benötigen viel Dünger. Also all das, was meine Sorten nicht brauchen."
Die Arche Noah
Ein bisschen fühlt sich Andrea Illini wie der biblische Noah. Ihren Garten bezeichnet sie hin und wieder als "Arche", es geht ihr und Gleichgesinnten darum, "die alten Sorten für die Nachwelt zu erhalten".
Ganz ausgelastet scheint sie damit nicht zu sein. Andrea Illini hat jetzt damit begonnen, Chillis anzubauen. Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der Sorten von sieben auf elf erhöht.
Wer die "Casa Tomata Illini" in Wassermungenau, Möslein 30, mit eigenen Augen sehen will, hat dazu von Donnerstag bis Samstag, 17. bis 19. August, und am Samstag, 26. August, Gelegenheit. An diesen vier Tagen öffnet das Tomatenparadies seine Pforten, Andrea Illini führt dann durch ihren Garten. Anmeldung unter Telefon (0 98 73) 97 61 51 ist nötig. Eintritt 3 Euro, mit kleiner Tomaten-Brotzeit 5 Euro.
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