Grenzenloses Lesevergnügen
23.03.2012, 09:25 Uhr
Es geht um eine bayerische Schule in den 1950er und 60er Jahren. Gerd Berghofer ist aus Georgensgmünd ans Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium (WEG) gekommen. Er schildert in der Bibliothek Widerstand, Unterdrückung und Gewalt im Dritten Reich und erinnert an verbrannte Dichter.
Unterdessen haben Schüler der fünften und zehnten Klassen im Vorraum der Mensa das „Märchencafé“ eröffnet. Zehn- und Elfjährige lesen dort selbsterdachte Märchen. 24 Stück sind in fünf Büchern zusammengefasst. Die Hauptfiguren stehen lebensgroß aus Pappe zwischen den Tischen.
Die 16. Literaturtage am Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium standen unter dem Motto „Grenzenlos“. Grenzen austesten, Grenzen überschreiten oder überwinden, Grenzen überflüssig machen. Unter diesen Gesichtspunkten hatten die drei Hauptorganisatorinnen 13 Autorinnen und Autoren eingeladen. Den Deutschlehrerinnen Antje Möhler, Katharina Bluhme und Inga Kellinghaus war es gelungen, Literaten aus ganz Deutschland nach Schwabach zu locken.
Die Kinderbuchautorin Annette Roeder stammt aus München. Die Theaterpädagogin Anja Sparberg war aus Celle angereist Neben Graf und Berghofer repräsentierten Sabine Weigand aus Schwabach, Ute Weidinger aus Nürnberg, Ewald Arenz aus Fürth und Claudia Frieser aus Bamberg die Nordbayerische Schriftstellerszene. Mit Frank Klötgen und Wehwalt Koslovsky aus Berlin überschritten die Literaturtage selbst Grenzen: Beide sind renommierte Vertreter des deutschen Poetry Slam, also des bühnen-öffentlichen Performance- und Dichterwettstreits. Die Macher der nächsten Literaturtage werden unter Umständen auf einen weiteren Lokalmatador zurückgreifen können. „Ich schreibe an einem Krimi“, bekannte Oberbürgermeister Matthias Thürauf in seinem Grußwort anlässlich der Eröffnung am Donnerstagabend.

Bluhme, Möhler und Kellinghaus hatten ein hinreißendes Programm zusammengestellt, das unterstrich: Literatur am WEG bedeutet nicht nur lesen und zuhören. An dem Gymnasium produzieren die Schülerinnen und Schüler auch Literatur.
Der zehnjährige Paul Lenz und die 14-jährige Hannah Perleth sind die Gewinner des schulinternen Schreibwettbewerbs. Nicola Kohl und Sarah Zimmermann haben im Fach Englisch die besten Buchzusammenfassungen geschrieben. Das „Corporate Identity“ der Literaturtage wird ebenfalls mittels eines Wettbewerbs ermittelt. Tabea Höfig aus der neunten Klasse ist das beste Plakat gelungen. Ferner sorgten die Schülerinnen und Schüler auch für ausgezeichnete musikalische Beiträge. Antonia Trost spielte Mendelssohn-Bartholdy auf dem Cello, Anja Fiedler, Kristina Daniker und Tamara Kellmann sangen Lieder von Grieg, Moussorsky und Schumann.
Den Höhepunkt lieferte Pianist Roman Engelhardt. „Die Montagues und Capulets“ von Sergei Prokovieff begeisterte das Publikum so sehr, dass es zu früh applaudierte.
Mit Hannes Koch besitzt das WEG selbst einen Theaterpädagogen der Extraklasse. Der 37-jährige Deutschlehrer betreut sechs Gruppen für darstellendes Spiel. Zehn seiner begabtesten jungen Frauen hat er für ein gewagtes Projekt begeistert, das zum Auftakt der Literaturtage Premiere hatte: Ein frei improvisiertes Theaterstück. Zehn Minuten war Zeit, um sich mit dem Rahmen und gewissen Textpassagen vertraut zu machen, die während des Spiels auch per Beamer an der gegenüberliegenden Wand erschienen.
„4.48 Psychose“ heißt das Werk von Sarah Kane, einer englischen Autorin mit Psychiatrie-Erfahrung. Mehrmals im Leben litt sie an einer schweren Depression, deren Eindrücke sie in dem Drama verarbeitet hat. Die Handlung spielt erkennbar auf der Station einer psychiatrischen Klinik. Die Darstellung der zehn jungen Schauspielerinnen ist exzellent. Trotz der großen Freiheit, des sparsamen Bühnenbilds und des schwierigen Themas gelingen ihnen beeindruckende Szenen. Weder das gesprochen Wort noch Bewegung und Interaktion wirken zufällig. Krankheit und Behandlung entfal-
ten sich. Das amorphe Grauen einer Depression erfasst den Zuschauer ebenso wie konkreten Ängste vor Psychiatern und Medikamenten. Literatur, Musik, Theater. Ein beeindruckender Abend.
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