„Lebensraum Schule“ realisiert

10.01.2012, 08:27 Uhr
„Lebensraum Schule“ realisiert

Der weihnachtliche Ferien-Friede wollte sich im Sonderpädagogischen Förderzentrum Roth (SFZ) diesmal nicht so richtig einstellen. Die Zeit „zwischen den Jahren“ bedeutete nämlich Umzugszeit. Das letzte Kapitel nach knapp zweieinhalb Jahren Bau- und Sanierungszeit.

Auf den ersten Blick ist es eine Schule wie viele andere auch. Die einst so beliebte Betonarchitektur aus der Gründerzeit der 70er Jahre zieht sich wie ein roter Faden durch das Rother Schulzentrum zwischen SFZ, benachbarter Realschule und dem gegenüberliegenden Gymnasium.

Doch im Pausenhof geben bunte Mosaike fröhliche Farbkleckse zwischen den Betonelementen ab. Die neue Mensa gleich neben der Eingangshalle ist freundlich und hell und hat so gar nichts von einer Kantine an sich. Nur wenige Meter weiter gibt eine Glasfront den Blick frei in ein schön bepflanztes Atrium mit geschwungenen Bänken – auch „grünes Klassenzimmer“ genannt.

Es sind nur einige von vielen Beispielen für ein Schulhaus, in dem die „Inhalte“, die Atmosphäre, die Ausstrahlung auf alle, die hier einen Großteil ihres Tages verbringen, wichtig sind. „Wichtiger als vielleicht in anderen Schultypen“, sagt Hans-Peter Brüchle, Leiter des Sonderpädagogischen Förderzentrums mit seinen derzeit über 400 Schülern und Schülerinnen am Schulort Roth. „Weil wir hier junge Menschen haben, die es in ihrem Leben außerhalb dieser Schulmauern oft viel schwerer haben als ihre Altersgenossen.“

So hatten es auch Landrat Herbert Eckstein, Kreistag und Kreis-Bauverwaltung gesehen, als vor rund drei Jahren die Generalsanierung des in die Jahre gekommenen Rother SFZ-Gebäudes beschlossen wurde. Von Anfang an ging es nicht alleine darum, marode Bausubstanz zu erneuern und mehr Platz zu schaffen. Das Prinzip, Schule als Lebensraum zu gestalten, begleitete den gesamten Prozess — angefangen von der Raumplanung mit der bis dato noch nicht vorhandenen Mensa, neuen Gruppen- und Lernräumen bis hin zum pädagogischen Konzept, das unter anderem ab nächstem Schuljahr einen komplett ausgebauten, gebundenen Ganztagesbetrieb von der Einstiegs-Klasse 3 bis zur Abschlussklasse 9 erlaubt.

Ganz besondere Atmosphäre

So intensiv wie noch bei keinem Schulbau zuvor arbeiteten die Landkreis-Baufachleute mit Lehrern und Schülern zusammen. Das Ergebnis: „Eine Schule, in der eine ganz besondere Atmosphäre herrscht, die nicht nur wir Nutzer, sondern auch Außenstehende spüren“, meint Brüchle. Erst beim jüngsten Adventsbasar sei er immer wieder von überraschten Besuchern darauf angesprochen worden.

Das Besondere: Die Schüler selbst tragen dazu einen wesentlichen Teil bei, weil sie mitreden und mitgestalten dürfen. Die Farbwahl in der Mensa, die Sitzmöbel – die Jugendlichen trafen die Auswahl. Eine echte Überraschung sind die Toiletten – in Schulen generell ja nicht unbedingt die optisch ansprechendsten Orte. Im SFZ lohnt sich tatsächlich ein Blick ins „Örtchen“. Ein lebensgroßes Pärchen in Form eines bunten Wandmosaiks weist den richtigen Weg – entstanden in einer der vielen Arbeitsgemeinschaften im Rahmen des Unterrichtsfaches Berufs- und Lebensorientierung (BLO).

Im ersten Stock arbeitet seit Anfang des Schuljahres eine AG an einem Wandgemälde für die künftige Kletterwand. Immer freitags treffen sich die neun Achtklässler mit ihrer Lehrerin Beate Toth. Die Pädagogin ist seit vielen Jahren der „kreative Kopf im künstlerischen Bereich“ im Förderzentrum und hat schon im Altbau mit ihren Schülern buchstäblich viele farbige „Spuren“ hinterlassen.

„Hier ist noch ein bisschen viel weiß,“ meint sie schmunzelnd angesichts der vielen frisch gemalerten, sanierten Wände. Aber das soll sich ändern. Nicht nur an der Kletterwand. „Dieses Mitmachen ist für unsere Kinder und Jugendlichen ganz wichtig“, erzählt die kunstbegeisterte Lehrerin. „Hier haben sie Erfolgserlebnisse, die sie im rein schulischen Bereich oft nicht haben. Hier können sie kreativ sein, wofür bei ihnen daheim oft keine Zeit ist. Hier erleben sie, wie es ist, etwas Schönes zu gestalten, und dass es das wert ist, erhalten zu werden.“

Letzteres macht sich tatsächlich bemerkbar. Trotz der vielen Skulpturen und Mosaike, die schon jetzt überall im sanierten und erweiterten Schulkomplex zu finden sind, „wird ganz wenig kaputt gemacht. Weil sich die Kinder und Jugendlichen über dieses Engagement in der Schule auch mit der Schule ganz anders identifizieren,“ sagt Schulleiter Brüchle – dabei gelten gerade seine Schüler „draußen“ gemeinhin als „schwierig“.

Weil sie Lerndefizite haben oder verhaltensauffällig sind, eben „Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf“, wie es offiziell heißt. Die Hintergründe sind vielschichtig. Aber 40 Prozent aller Rother SFZ-Schüler kommen aus sogenannten „schwierigen sozialen Verhältnissen“ – angefangen von familiären Problemen bis hin zum Kind, das sich die meiste Zeit selbst überlassen ist, weil die alleinerziehende Mutter irgendwie mit Jobs versuchen muss, finanziell zu „überleben“.

Darum also auch das Prinzip, Schule nicht nur als Ort des Lernens, sondern auch des Lebens zu gestalten und zu vermitteln. Dazu gehört mittlerweile das Angebot der Schulsozialarbeit in Kooperation mit freiwilligen Helfern und Helferinnen des Rotary Clubs Roth, täglich ein Frühstück für bedürftige Kinder vor dem Unterricht in der neuen Mensa anzubieten.

Parallel zu den Baumaßnahmen begann die Schule mit dem Unterricht in gebundenen Ganztagesklassen. Darum beispielsweise nun auch zusätzliche Gruppenräume, die Mensa und das „grüne Klassenzimmer“ für alternative Unterrichtsformen. Klingt nach Luxus – ist es aber nicht. Neben der menschlichen Seite sprechen auch knallharte Fakten für diese Gangart: „Jeder Jugendliche, der mit unserer schulischen und berufsvorbereitenden Ausbildung davor bewahrt wird, in die Arbeits- und Hoffnungslosigkeit abzugleiten, spart dem Staat Geld,“ gibt Hans-Peter Brüchle Kritikern zu bedenken.

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