Solidarische Landwirtschaft: Ernte und Risiko werden geteilt

Robert Gerner

Schwabacher Tagblatt

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20.6.2020, 05:58 Uhr
Solidarische Landwirtschaft: Ernte und Risiko werden geteilt

© Foto: Robert Gerner

Der kleine Raum gleich neben dem Hofladen ist spartanisch eingerichtet. Ein paar einfache Tische, auf denen noch halb gefüllte Gemüsekisten stehen. Eine Waage. Eine Tafel, auf denen angeschrieben ist, was heute zu verteilen ist. Und ein hölzernes Klemmbrett mit 32 hölzernen Zwickern, auf denen 32 Namen stehen. Einer der Namen ist der von Claudia Thomas. Die Schwabacherin gehört zu den so genannten "Ernteteilern" auf dem Holzhobelhof in Greuth, jenem kleinen Dorf mit gut 30 Einwohnern zwischen Kornburg und Katzwang, direkt an der A6. Als Thomas ihre Radtaschen vollgepackt hat mit Kartoffeln, mit ein paar Salatköpfen und mit verschiedenem Gemüse, nimmt sie den Zwicker mit ihrem Namen vom Brett und legt ihn in eine kleine Schüssel. Dann radelt sie die neun Kilometer zurück nach Schwabach.

Mehr als nur Kunde

"Solidarische Landwirtschaft" heißt das, was Reiner Wiedmann auf seinem Hof in Greuth praktiziert. "Solawi", so die Kurzform, ist in der Branche ein absolutes Nischensegment. Doch für Landwirt Wiedmann ist es das, was seinem kleinen Bioland-Hof noch gefehlt hat. In der Solawi ist die klassische Rollenverteilung zwischen Nahrungsmittelproduzent (Landwirt) und Verbraucher/Kunde aufgehoben. Vielmehr schließen sich Menschen zusammen, finanzieren die landwirtschaftliche Tätigkeit des Bauern, teilen sich die Ernte (deshalb nennen sie sich auch Ernteteiler) und tragen bis zu einem gewissen Grad das wirtschaftliche Risiko mit.

Mit seiner Solawi – es ist seines Wissens nach die erste im Stadtgebiet Nürnberg – hat Reiner Wiedmann erst heuer begonnen. Startschuss war der 1. April. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie.

Der Vorlauf reicht natürlich schon einige Monate weiter zurück. Bis Ende des Jahres 2019 hatte er 32 Interessierte gefunden, die bei der Solawi mitmachen wollten und die einen Jahresvertrag mit ihm abschlossen. Viele buchten einen ganzen Ernteteil, andere einen halben. Am Ende waren es 32 Köpfe für 21 Ernteteile. "Ich hatte mir das Ziel von 20 Ernteteilen gesetzt, wir konnten also loslegen", erzählt er.

Selbstständige Computerfachleute machen bei der Solawi mit, Alleinerziehende und große Familien. Ganz junge Leute oder schon etwas erfahrenere wie Claudia Thomas, die sich ein wenig schelmisch "Alterspräsidentin" nennt, obwohl sie als Vorstandsassistentin bei einem großen Mittelständler noch voll im Berufsleben steht.

Jede Woche durch 21 teilen

Jeder dieser derzeit 21 Ernteteile bringt Wiedmann 90 Euro im Monat ein. Dafür können die Ernteteiler jeden Mittwoch das abholen, was die 3000 Quadratmeter, auf denen der 50-Jährige die Solawi praktiziert, an Feldfrüchten abgeworfen haben. "Ich ernte, teile durch 21 und schreibe auf die Tafel, was jeder mitnehmen kann", erklärt Wiedmann. Kontrolliert wird nicht. Alles ist Vertrauenssache.

Für Claudia Thomas ist die Greuther Solawi ein Geschenk. Sie war zuvor Ernteteilerin beim Biolandhof Dollinger in Offenbau bei Thalmässing, der größten Solawi der Region. Doch der Weg von Schwabach bis an den Rand des Jura war für die passionierte Radfahrerin beschwerlich und umständlich. Bei Dollinger sind die Ernteteiler nämlich nicht nur Konsumenten, sondern auch Teil der Produktion. Mithelfen auf dem Hof ist ausdrücklich gefordert.

Auch bei Reiner Wiedmann können die Ernteteiler mit anpacken. Sie können, müssen aber nicht. Was aber auf jeden Fall nötig ist, ist die Mitbestimmung. Als alle Ernteteiler an Bord waren, rief Landwirt Wiedmann zu einem Mitgliedertreffen. Man muss sich das vorstellen wie die Jahresversammlung eines Vereins. Wiedmann schlug vor, was man im ersten Jahr der Solawi alles anbauen könnte.

Solidarische Landwirtschaft: Ernte und Risiko werden geteilt

© Foto: Robert Gerner

Dann wurde darüber abgestimmt: Tomaten? Ja. Gurken? Ja. Lauch? Ja. Zwiebeln? Ja. Kohlrabi? Ja. Exotisches Gemüse? Nein. Mangold, Kopfsalat, Eisbergsalat? Ja. Rote Beete? Ja. "Es war ganz demokratisch", erinnert sich Wiedmann. "Wenn wir 50 Prozent plus eine Stimme hatten, dann wurde das gemacht." Ernteteiler sind also nicht nur Konsumenten, sondern schon in gewisser Weise Teil des gesamten Prozesses.

Für seine Solawi sieht der Landwirt aus Leidenschaft noch Wachstumspotenzial. Auf dem Dollinger-Hof in Offenbau ist die Solawi so groß, dass die Dollingers längst Depots im ganzen Großraum eingerichtet haben, die jede Woche beliefert werden.

"Ich will das ganze klein halten"

So weit will Reiner Wiedmann nicht gehen. "Bei spätestens 60 oder 70 Ernteteilern wird bei mir Schluss sein", erklärt er. Würde er noch größer, müsste er zusätzliche Leute einstellen und viel mehr koordinieren als bisher. "Ich bin aber eher der Praktiker, der selbst gerne in der Erde herumwühlt. Das soll auch so bleiben. Ich will das ganze klein und übersichtlich halten."

Deshalb wird die Solawi auch immer nur eines von einer ganzen Reihe von Standbeinen des Holzhobelhofs sein. Wiedmanns Frau Annette zum Beispiel organisiert Kindergeburtstage auf dem Hof, auf dem es Dinge wie einen kleinen Streichelzoo gibt. Sie empfängt, wenn die Corona-Krise vorüber ist, Schulklassen oder Gruppen aus dem Kindergarten.

Mobile Legegesellschaft

Dann produziert Wiedmann selbstverständlich noch für den eigenen Hofladen. Gut vermarkten lassen sich auch die Eier seiner knapp 500 Legehennen, die in zwei fahrbaren Hühnerställen untergebracht sind. Eine mobile Legegesellschaft gewissermaßen.

Wiedmann, der im Zweitberuf auch ausgebildeter Schreiner ist, hätte als konventionell wirtschaftender Bauer kaum eine Überlebenschance. Dafür reichen die 18 Hektar, die zum Hof gehören, nicht aus. Die Getreideproduktion zum Beispiel hat er weitgehend eingestellt. Stattdessen kümmert er sich lieber um sechs Hektar Blühflächen, die er angelegt hat.

Das letzte Puzzleteil

Die Solawi, sagt er, sei das vielleicht letzte Puzzleteil gewesen. "So, wie der Hof jetzt aufgestellt ist, kommt er meiner Idealvorstellung ziemlich nahe." Es war ein weiter Weg, seitdem er nach dem überraschenden Tod seines Vaters 2009 die Landwirtschaft übernommen hat.

Und: Bei der Solawi geht es Wiedmann nicht nur um wirtschaftliche Dinge. Geld ist schön und gut. "Ich finde es aber vor allem spannend, mit welchen Leuten ich da zusammenkomme. Mich interessiert, was die sonst so machen."

In Corona-Zeiten war es natürlich nicht immer ganz einfach mit der direkten Kontaktpflege. Mit zunehmenden Lockerungen laufen sich die Ernteteiler aber jetzt nicht mehr nur am Ernte-Ausgabetag jeden Mittwoch über den Weg. Schon am heutigen Samstag dürfte es – bei allen gebotenen Abstandsregeln – zu einem weiteren größeren Treffen kommen. Reiner Wiedmann hat nämlich um 10 Uhr eingeladen: zum gemeinsamen Unkrautjäten. Claudia Thomas, das hat sie versprochen, wird sich wieder auf ihr Fahrrad schwingen.

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