Seelische Krisen in Zeiten von Corona: Wer hilft?

3.4.2020, 10:58 Uhr
Beim Krisendienst Mittelfranken kann jeder anrufen, der während der Corona-Krise mit psychischen Problemen zu kämpfen hat.

© Angelika Warmuth, dpa Beim Krisendienst Mittelfranken kann jeder anrufen, der während der Corona-Krise mit psychischen Problemen zu kämpfen hat.

Herr Bohnert, mit welchen Sorgen rufen die Menschen gerade bei Ihnen an?
Ralf Bohnert: Jeder Zweite ruft tatsächlich vorrangig wegen Corona an, bei 90 Prozent der Anrufe spielt die Pandemie zumindest eine Rolle: „Jetzt ist mein Leben sowieso schon so schwierig, und nun auch noch das.“ So oder so ähnlich drücken sich die Anrufer aus.

Wovor haben die Menschen denn am meisten Angst? Vor Ansteckung?
Bohnert: Es gibt verschiedene Gruppen. Die Menschen, die eh schon psychische Probleme haben, sind oft verzweifelt und überfordert mit der Situation. Dann sind da die Alleinlebenden. Sie sind nun besonders einsam und wir wissen ja, dass Vereinzelung auf die Dauer krank macht. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Bei der dritten Gruppe ist das Gegenteil das Problem: Familien, die nun pausenlos zusammenhocken. Wo es vielleicht eh Streitpotenzial und ungelöste Konflikte gibt und die nun natürlich zunehmen, weil es keine Ausweichmöglichkeiten gibt. Es gibt Menschen, die vor allem um ihre berufliche Existenz bangen. Was wir außerdem erwarten ist, dass sich bald auch Trauernde bei uns melden, die einen Angehörigen wegen Corona verloren haben.

Warum setzt diese Pandemie den Menschen psychisch so zu?
Bohnert: Das Schlimmste ist, dass wir so etwas noch nie erlebt haben. Wir können also auf keinerlei Strategien zurückgreifen, die uns in einem ähnlichen Fall schon mal geholfen haben. Und wir wissen nicht, wie lange es noch dauert. Viele sind deshalb völlig orientierungslos und verunsichert, sie fühlen sich ohnmächtig und handlungsunfähig. Es entsteht ein Grübelkreislauf, aus dem man kaum herauskommt.

Wie kann man es trotzdem schaffen? Haben Sie Tipps?
Bohnert: Jeder ist anders, deshalb gibt es nicht den einen Königsweg, der für alle funktioniert. Generell ist es aber wichtig, im Tun zu bleiben, sich als handlungsfähig wahrzunehmen. Das hilft gegen die Ohnmacht. Es hilft, den Tag zu strukturieren und zu planen, sich abzulenken und positive Aktivitäten einzubauen. Aber ruhig auch mal was Neues ausprobieren, kreativ werden. Dann würde ich auch dringend davon abraten, sich den ganzen Tag mit Corona zu beschäftigen. Morgens Zeitung lesen, abends im Fernsehen informieren. Den Rest des Tages nichts. So kommt es nicht zu den ewigen Grübelschleifen.

Welche Tipps geben Sie einsamen Menschen?
Bohnert: Da würde ich raten, eingeschlafene Kontakte wieder aufleben zu lassen, sofern es möglich ist. Wir fragen die Anrufer dann am Telefon meist: „Was befürchten Sie denn, was passiert, wenn Sie sich nach einem halben Jahr Funkstille wieder melden?“

Und konfliktreichen Familien?
Bohnert: Ich empfehle für diese Zeit einen Waffenstillstand, was schwelende Konflikte angeht. Sie sollten natürlich nicht dauerhaft totgeschwiegen werden, aber man kann sich darauf einigen, dass man sich darum kümmert, wenn die Krise überstanden ist. Im Moment sollte das Wir-Gefühl im Vordergrund stehen. Und wenn es zu sehr kriselt, lieber mal allein rausgehen und eine Auszeit nehmen. Gerade für Kinder sind Rituale und so viel Normalität wie möglich wichtig. Dabei darf man aber in Absprache mit dem Partner den Rahmen auch ruhig ein wenig dehnen und muss nicht an allen Regeln zwanghaft festhalten. Auf gar keinen Fall sollten sich Eltern zu viel Stress machen. Das ist für alle wichtig: Nehmen Sie Rücksicht auf sich selbst und setzen Sie sich nicht unter Druck.

Rufen auch Leute an, die sich Sorgen um andere machen?
Bohnert: Ja, unabhängig von Corona rufen manchmal auch Leute an, die sich Sorgen um einen Angehörigen machen und die darum bitten, dass wir ihm Hilfe anbieten. Wir schlagen dann vor, ihm unsere Nummer zu geben. Wenn er sich dann nicht meldet, rufen wir an. Oft ist da eine große Erleichterung zu spüren.

Was können Gründe sein, nicht bei Ihnen anzurufen, obwohl man Hilfe braucht?
Bohnert: Für manche ist das Telefonat eine Hemmschwelle. Deshalb sind wir froh, dass wir seit einem Jahr auch Online-Beratung anbieten können. Die rein schriftliche Kommunikation macht unseren Beratern die Arbeit allerdings nicht leichter, weil dabei vieles verloren geht, gerade was Emotionen angeht.

Wer darf denn bei Ihnen anrufen oder Ihnen schreiben?
Bohnert: Alle, die Hilfe bei psychischen Problemen oder in Lebenskrisen brauchen. Niemand muss Angst haben, dass sein Problem zu klein oder unwichtig wäre. Wir alle erleben Krisen ganz unterschiedlich. Generell hat eine Krise immer ganz viel mit Chaos zu tun. Wir helfen dabei zu sortieren und Ordnung zu schaffen: Was ist wichtig, was nicht? Ganz wichtig: Wir nehmen uns für jeden so viel Zeit wie nötig und schauen nicht auf die Uhr. Jeder ist willkommen!

Alle Infos und Kontaktadressen

Der Krisendienst ist für ganz Mittelfranken zuständig und täglich zwischen 9 und 24 Uhr erreichbar unter 4 24 85 5-0, per E-Mail oder per Chat. Für letztere Optionen ist eine Registrierung bei krisendienst-mittelfranken.de nötig.

Telefonische Hilfe bietet auch die Ehe- und Partnerschafts-, Familien- und Lebensberatungsstelle der Katholischen Kirche unter 80 81 60 oder per E-Mail an efl.nuernberg@bistum-eichstaett.de an.

Die Hotline für ehrenamtliche Hilfsangebote, Ältere und Hilfesuchende, die die Stadt eingerichtet hat, ist von Montag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr unter 2 31 23 44 oder per E-Mail an engagiert@stadt.nuernberg.de zu erreichen. Bisher sind bei der Hotline sehr viel mehr Ehrenamtliche registriert, als Meldungen von Hilfesuchenden eintreffen. „Deshalb ist es besonders wichtig, die Telefonnummer der Hilfshotline insbesondere an ältere Hilfsbedürftige weiterzugeben“, heißt es in einer Mitteilung der Stadt.

Der Pflegestützpunkt Nürnberg berät in allen Pflege-Fragen unter 5 39 89 53, info@pflegestuetzpunkt.de am Montag, Dienstag und Donnerstag von 8.30 bis 15.30 Uhr, Freitag von 8.30 bis 12.30 Uhr.

Fragen zu Corona beantwortet weiterhin das Bürgertelefon von Montag bis Sonntag von 8.30 bis 16 Uhr unter 64 37 58 88.


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