Tourismusprofessor prophezeit: "Nur mit mehr Gelassenheit bekommt Reisen wieder Sinn"

Matthias Niese

Magazin am Wochenende / gute reise

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26.9.2020, 07:09 Uhr
Harald Pechlaner, Professor für Tourismusgeographie an der Katholischen Universität Eichstätt, im Urlaub am Meer.

© privat, NN Harald Pechlaner, Professor für Tourismusgeographie an der Katholischen Universität Eichstätt, im Urlaub am Meer.

Wo hat der Tourismus-Professor in diesem verrückten Jahr seine Ferien verbracht?
Ich habe mich im August ein paar Tage auf eine Alm in meiner Südtiroler Heimat zurückgezogen, unerreichbar für Telefonanrufe oder E-Mails. Das war eine komplette Reduktion auf Raum und Zeit, ich war in der Natur, nur auf mich bezogen. Dann war ich noch ein paar Tage am Meer in Ligurien. Die Kurzfristigkeit auch meiner Reiseentscheidungen ist so typisch für die Zeit, in der Corona unser Verhalten verändert hat. Ich wollte aber auch ein Zeichen setzen, dass Reisen weiterhin möglich ist.

Was war für Sie als Reise-Experte die dramatischste Erfahrung in 2020?
Dass in so kurzer Zeit so viele Grenzen schlossen, was ja undenkbar geworden war. Selbst innerhalb Deutschlands gab es Barrieren, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern wiesen Reisende ab. Das hat an den Grundfesten des Tourismus gerüttelt und auch viele Unternehmen wie Reiseveranstalter, die vor allem vom Auslandstourismus leben, ins Mark getroffen.

Die Touristiker haben besonders laut gejammert, dass keine Urlauber mehr kommen. Viele Einheimische fanden das gar nicht so schlimm.
Schon vor Corona haben die Menschen in besonders überlaufenen Städten und Regionen eine Neuausrichtung des Tourismus gefordert. Nun kamen etwa in Amsterdam, Venedig oder Barcelona überhaupt keine Touristen mehr. Die Einwohner haben gesagt: „Wir hatten es lange nicht so schön hier.“ Sie fordern nun erst recht einen anderen Tourismus. Overtourism heißt ja, dass die Einwohner unzufrieden sind und protestieren. Mancherorts war es aber schon ein Overcrowding, eine Überfüllung. Es waren einfach zu viele Touristen zur selben Zeit am selben Ort.

Wir haben nun dauernd von „Urlaub daheim“ gehört. Hat Deutschland profitiert oder waren es nur die ewig gleichen Orte an der Küste und in den Bergen?
Klar waren die klassischen Hotspots wie die deutschen Strände und die Berge sehr gefragt bis überfüllt. Es haben aber auch Regionen profitiert, die viele Urlauber vorher nie auf dem Schirm hatten. Nehmen Sie das Altmühltal. Das ist im Deutschland-Tourismus kein Hotspot, plötzlich fuhren aber Münchner nicht wie sonst immer nach Süden, sondern mal nach Norden. Frankfurter entdeckten Unter- und Oberfranken. Sie alle haben erlebt, dass man auch Spaß im Urlaub haben kann, wenn man mal nicht ins Ausland fährt. Als wir ab 16. Juni aber wieder über die Grenzen durften, ebbte das etwas ab. Es bleibt also spannend, ob die unbekannteren Destinationen genug tun, um das Jahr zu nutzen und nachhaltig mehr Besucher zu bekommen.

Am Brombachsee soll ein großer Center Parc entstehen, die Ferienanlage würde das Fränkische Seenland touristisch stark aufwerten. Der Investor ist vom starken Widerstand bei manchen Einheimischen überrascht.
Hier zeigt sich ganz deutlich, dass man heute bei der Planung solcher Projekte die Einwohner mitnehmen muss, denn nur wenn die Lebensqualität der Einheimischen stimmt, kann die Erlebnisqualität der Gäste stimmen – das genau ist die wichtigste Erkenntnis aus der Overtourism-Debatte.

Der welche Taten folgen sollten?
Die Investoren brauchen ein gutes Dialogmanagement, sie müssen sich mit der Bevölkerung intensiv auseinandersetzen, um sie ins Boot zu holen – ganz egal, ob es vor Ort schon lange intensiven Tourismus mit der entsprechenden Infrastruktur gibt oder ob man erst am Beginn steht. Die Menschen wollen mitreden und sie melden sich ja auch prompt zu Wort. Ihre Einwände sollte man ernst nehmen und in die Planungen einbeziehen. Dieser Trend zeigt sich ja schon lange auch bei Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen. Wer will das heute noch bei sich haben? Hier hat sich die Welt durch Corona noch viel mehr verändert.

Das Virus hat der Reisebranche auch einen deutlichen Modernisierungsschub gebracht. Wo hat sich da am meisten getan?
Vor allem bei der Buchbarkeit von Übernachtungen und dem Lenken der Besucherströme, da ist unglaublich viel passiert. Es gibt viel mehr intelligente digitale Angebote, die von immer mehr Nutzern auch endlich angenommen werden.

Zum Beispiel?
Wenn eine Buchungs-App etwa in ihrer Maske auch Sicherheits- und Gesundheitsaspekte abfragt. Oder Sie in touristisch gut besuchten Orten Zeitfenster zugewiesen bekommen, die Ihnen etwa im Freizeitpark oder Museum ohne Warteschlange direkten Eintritt verschaffen, um Spitzenzeiten auszugleichen.

Sicherheit, Overtourism und Nachhaltigkeit waren die großen Themen der letzten Jahre im Tourismus. Über welches große Thema wird die Reisebranche nach Corona reden?
Das versucht im Oktober etwa der Veranstalter der weltgrößten Reisemesse ITB in Berlin auf dem hybriden Event „We love travel“ auszuloten. Die Experten sind dort sowohl digital als auch physisch präsent, auch das ein Symbol der neuen Zeit. Klar, dass wir dort die von Corona verursachte substanzielle Krise im Tourismus besprechen. Es wird viel um Nachhaltigkeit und bewusstes Reisen gehen. Und ein großes Thema wird sein, was ich Resilienz (die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen, Anm. d. Red.) oder Resilienter Gast nenne.

Was zeichnet den aus?
Der Resiliente Gast verändert die Nachfrage und somit das Angebot und schafft neue Wertschöpfungsketten. Er wünscht sich ein krisenfestes und zukunftsorientiertes Urlaubsziel. Er reist bewusster, stellt kritische Fragen, auch an sich selbst. Er hinterfragt also sein Reiseverhalten: Muss ich auch künftig drei- bis viermal pro Jahr wegfahren oder bleibe ich stattdessen nicht lieber mal länger an einem Ziel? Muss ich unbedingt einen klimaschädlichen Flug buchen? Die Klimakrise schlägt sich vermutlich noch mehr im Entscheidungsverhalten der Menschen nieder. Wenn die Gesellschaft solche Werte mehr schätzt, werden sie auch beim Reisen zum Lifestyle erhoben.

All das haucht dem Reisen also neuen Sinn ein?
Genau. Wenn die Menschen nicht mehr hetzen, um so viel wie möglich zu erleben, ist das für viele ein neues Erlebnis. Im Urlaub können wir lernen, wie man herunterkommt. Etwa auf der Alm, wo man entrückt ist und Distanz und Gelassenheit bekommt. Beides braucht die Gesellschaft, um eine Krise wie derzeit bewältigen zu können, Angst ist da ein schlechter Ratgeber. Corona hat das deutlich gezeigt und nebenbei den Trend zur Entschleunigung beim Reisen verstärkt. Und das ist doch auch schön.

Gestatten Sie uns nach diesem ermutigenden Schlusswort doch noch einen kurzen Ausblick, denn die Wintersaison steht bevor. Werden die, die das noch wollen, einen unbeschwerten Skiurlaub planen können?
Die alpinen Winterziele sitzen gemeinsam in einem Boot und müssen klar in die Märkte kommunizieren, dass drei Dinge gut zusammenpassen werden: Sicherheit, Gesundheit und Spaß am Skilaufen. Da ist zwar noch viel zu tun, aber wenn die Konzepte überzeugen, wird das funktionieren.

(Après-Ski in Österreich, wie man ihn kannte, findet kommenden Winter wegen der Corona-Krise nicht mehr statt – so eine aktuelle Entscheidung, d. Red.)

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