Treuchtlingen im Zweiten Weltkrieg: dunkel und fleischarm

Benjamin Huck

Treuchtlinger Kurier

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1.9.2019, 05:56 Uhr
Treuchtlingen im Zweiten Weltkrieg: dunkel und fleischarm

© Foto: TK-Archiv

"Polen will den Krieg!" steht in großen Buchstaben auf der Titelseite des Treuchtlinger Kuriers am 1. September 1939. Wie alle Zeitungen unter dem NS-Regime ist auch der TK gleichgeschaltet worden und wird als "Amtliches Organ der NSDAP" – also der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei bezeichnet. Zu dem Zeitpunkt, als die ersten Leser diese Freitagsausgabe in ihren Briefkästen haben, hat die Deutsche Wehrmacht Polen bereits überfallen – es sollte der Beginn des Zweiten Weltkriegs sein, der in den kommenden fünfeinhalb Jahren weltweit über 60 Millionen Menschen das Leben kosten sollte.

Die Samstagsausgabe vom 2. September strotzt aus heutiger Sichtweise von Kriegspropaganda. So habe die Wehrmacht den "aktiven Schutz des Reiches" übernommen und zum Gegenangriff angetreten. Zuvor hatte die SS die Legende verbreiten lassen, der Rundfunksender Gleiwitz sei von polnischen Freischärlern angegriffen worden. In Wirklichkeit standen hohe Mitarbeiter der SS selbst hinter dem Angriff, um einen Vorwand zum Einmarsch nach Polen zu liefern.

Die Zeitung ist an diesem Samstag voller Abdrucke von Reden Adolf Hitlers sowie seiner Schergen. Außerdem werden die Tagesbefehle an Heer und Luftwaffe gedruckt, um die Truppen anzustacheln. Die nächsten Tage werden in den überregionalen Meldungen dominiert von weiteren Kriegsaufrufen gegen europäische Länder, mit denen wir heute friedlich zusammenleben.

Und was passierte in Treuchtlingen und Umgebung? Zunächst mussten die Menschen auf das Pappenheimer Volksfest verzichten, das infolge der "angespannten politischen Lage" nicht abgehalten wurde. Ein Bericht über Rosen und Lilien, die in den Vorgärten der Altmühlstadt für eine Farbenpracht sorgen, geht darin über, dass Gott gedankt werden müsse, dass er den "Führer" zur rechten Stunde gesandt hat.

Bezugsscheine für Lebensmittel

Für Lebensmittel wurde indessen eine Bezugsscheinpflicht in Kraft gesetzt, Lebensmittel, Benzin und Kleidung war nur noch in begrenzten Mengen zu bekommen. In den Gaststätten der Stadt wurden zwei fleischlose Tage eingeführt und die Speisekarte vereinfacht. Wobei die "Beschränkung des Speisezettels" nicht die Größe der Portionen begrenzt, sondern nur die "bisher oft unnötige Fülle der Auswahl." Der Appell scheint nicht gefruchtet zu haben, wenige Tage später wird beklagt, dass der Fleischverbrauch in den Gaststätten zu hoch sei.

Treuchtlingen im Zweiten Weltkrieg: dunkel und fleischarm

© Foto: TK-Archiv

Für die Schüler wurden die Sommerferien, die am 2. September enden sollten, "bis auf weiteres" verlängert, damit sie noch mehr Zeit haben, auf den Feldern bei der Ernte zu helfen. Die Einberufung männlicher Lehrkräfte ins Heer "bedingen auch besondere Maßnahmen", heißt es, die Eltern bittet man um Verständnis. Bald wurden auch die Schüler der oberen Klasse zum Dienst einberufen. Außerdem konnten Verlobte ohne Aufgebot heiraten, wenn ein Verlobter zum Wehrdienst einberufen wurde.

Nachts wurden die Straßen verdunkelt zur Vorbeugung möglicher Bombenangriffe aus der Luft. Kein Licht sollte von den Häusern auf die Straße fallen und auch Kraftfahrzeuge mussten mit Schutzklappen über den Scheinwerfern fahren, was die Sicht natürlich einschränkt. "Wir Fußgänger wollen ihm daher keine unnötige Gefahrenquelle bieten: Wir wollen uns abends nicht auf der Straße aufhalten", heißt es in einer Meldung.

Andere Möglichkeiten, als sich über die gleichgeschalteten deutschen Medien zu informieren, hatte die Bevölkerung vor Ort nicht. Denn das "Abhören ausländischer Sender" war verboten, wie es in einer Verordnung des Ministerrats für Reichsverteidigung heißt. "Jedes Wort, das der Gegner herübersendet, ist selbstverständlich verlogen und dazu bestimmt, dem deutschen Volke Schaden zuzufügen", heißt es. Den Schaden fügt das NS-Regime dem deutschen Volk dann selbst zu: das Abhören wird mit Zuchthaus bestraft, wer solche Nachrichten gar verbreitet, wird "in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft".

Was in den Jahren danach passiert, ist nicht mehr so detailliert überliefert. Der Treuchtlinger Kurier erschien nur unregelmäßig, einige Bände sind verschollen. So hatte vor zwei Jahren Werner Baum Senior den Zeitungsband mit den Monaten April bis Juni 1942 entdeckt und vor dem Altpapiercontainer gerettet. Dort wollte sie jemand aus dem Umfeld des ehemaligen Treuchtlinger Bürgermeisters Andreas Güntner eigentlich entsorgen.

Archive "gesäubert"

Es ist überliefert, dass die Nazis in den letzten Kriegstagen, als die amerikanische Armee immer näher rückte, auch in Treuchtlingen die Archive "säuberten". Davon war zunächst das städtische Archiv betroffen. So fehlen hier bis heute praktisch alle Bände des Zeitungsarchivs aus der Nazizeit. Es ist davon auszugehen, dass sie vernichtet wurden. Und auch das TK-Archiv ist deutlich ausgedünnt. Die örtlichen NS-Protagonisten ahnten wohl, dass sie für ihre Machenschaften zur Rechenschaft gezogen würden und entfernten Beweismaterial. 1944 wurde die Zeitung nach der Ausrufung des "totalen Kriegs" dann komplett eingestellt.

Auch das Treuchtlinger Heimatbuch, dass die Geschichte der Stadt wiedergibt, berichtet über den Zweiten Weltkrieg selbst kaum. Ein großes Vorratslager der Wehrmacht wurde 1944 von Fliegerangriffen heimgesuchten Köln nach Treuchtlingen verlegt, dazu wurden zahlreiche Gebäude beschlagnahmt, unter anderem die Lambertuskirche, die Turnhalle und der Schäffkeller vor Wettelsheim. Die Lambertuskirche soll bis an die Decke mit Bekleidung vollgestapelt gewesen sein, heißt es im Heimatbuch.

Das Ende des Kriegs führte dann auch in Treuchtlingen selbst zu großem Leid. Die US-Luftwaffe wollte die Infrastruktur und Nachschubadern der deutschen Kriegsmaschinerie zerstören. Bei dem Bombenhagel auf die Altmühlstadt am 23. Februar 1945 ließen rund 600 Menschen ihr Leben, die Stadt und der Bahnhof wurden dabei schwer beschädigt.

Dieser Tag war Zeitzeugen zufolge ein zwar eiskalter, aber überaus sonniger Freitag. Die Altmühlstadt war bislang von den Unbilden des Krieges weitgehend verschont geblieben. Fast alle Gleise in Treuchtlingen waren mit Zügen vollgestellt, und im Bahnhof herrschte reges Treiben.

Bomben über der Stadt

Kurz danach wurde bekannt, dass ein Fronturlauberzug in Treuchtlingen eintreffen und hier aufgelöst werden sollte. Die örtlichen Bahnerer hatten bereits böse Vorahnungen, denn ein unbekanntes Flugzeug hatte kurz zuvor über der Stadt mit Kondensstreifen einen Achter in den Himmel gezeichnet. Dies wurde von der Eisenbahn-Flugzentrale für belanglos gehalten. Später jedoch sollte sich herausstellen, dass dies ein Zeichen für einen bevorstehenden Fliegerangriff gewesen war. Nur kurz nach dem Eintreffen der Züge wurde akute "Luftgefahr" gemeldet. Minuten zuvor waren noch zwei Tiefflieger über die Bahnanlage gerast.

Treuchtlingen im Zweiten Weltkrieg: dunkel und fleischarm

© Foto: TK-Archiv

Genau um 11.15 Uhr nahm das Grauen seinen Lauf. In drei Wellen luden die amerikanischen Bomber über der Eisenbahnerstadt ihre todbringende Last ab – zumeist Spreng- und Brandbomben. Bei der ersten Welle aus insgesamt zwölf Flugzeugen wurde zunächst die Kästleinsmühle vollkommen zerstört. Hauptangriffsziel war jedoch der Bahnhof. Die zweite Angriffswelle traf genau das Bahnhofsviertel. Besonders das Areal um die städtischen Werke herum wurde in eine Kraterlandschaft verwandelt. Der dritten Angriffswelle fiel vor allem der Bereich zwischen Bahnhof und Gasthof "Zur Krone" zum Opfer.

Die Menschen, die sich im Bahnhof aufhielten, eilten in die Keller, zumeist aber in die vermeintlich rettenden Bahnunterführungen. Dieser Unterschlupf wurde jedoch für viele durch einen Volltreffer zu einer einstürzenden Todesfalle, aus der es kein Entrinnen mehr gab, hunderte Menschen starben.

Insgesamt 150 Bomben warfen die Amerikaner auf die Stadt, allein im Bahnhofsbereich wurden 130 Bombentrichter gezählt. Die Bilanz: 487 Tote bei etwa 5000 Einwohnern sowie eine große Zahl Schwer- und Leichtverletzter. Viele davon erlagen später noch ihren Verletzungen. Ein Drittel der Treuchtlinger Häuser wurde vollkommen zerstört oder zumindest unbewohnbar.

Nach dem für Treuchtlingen sehr "schwarzen Freitag" im Februar machten sich mehrere Trupps aus Soldaten, Kriegsgefangenen (darunter viele Russen), Arbeitsdienst und Volkssturm daran, die zerstörten Bahnanlagen zumindest provisorisch wieder in Gang zu setzen. Die Arbeiten gestalteten sich jedoch wegen der vielen weiteren Fliegeralarme als schwierig.

Ein weiterer schwerer Angriff am 8. April hinterließ die Kleinstadt in Trümmern. Neben dem schon schwer beeinträchtigten Bereich um den Bahnhof herum wurde auch das Krankenhaus zur Hälfte zerstört.

Die Bergung der Toten dauerte noch im darauffolgenden Jahr an. Die insgesamt rund 600 Bombenopfer fanden auf der Kriegsgräberstätte am Nagelberg ihre letzte Ruhestätte. Der Wiederaufbau der Stadt ging in der Folgezeit sehr mühselig voran, da es an Material und vor allem an Arbeitern fehlte.

Ende April 1945 rückte die Front aus dem Westen näher, die Wehrmacht erteilte einem Sprengmeister den Befehl, zwei Altmühlbrücken auf eine Sprengung vorzubereiten. Ein Bewohner Treuchtlingens bekam das mit und gab zu bedenken, dass unter einer der Brücken auch die eine für die Wasserversorgung nötige Leitung verlegt war und deshalb die Brücke nicht gesprengt werden solle.

Die Mahnung war zwecklos, ein Feldwebel entzündete die Lunte der Brücke und machte sich auf den Weg zur zweiten Brücke. Der Bürger soll mit einem Messer die Sprengspur durchschnitten haben und in Deckung gerannt sein, währenddessen explodierte die andere Brücke.

Den Amerikanern waren die Überhänge letztlich ziemlich egal. Mit ihren Fahrzeugen konnten sie die Altmühl an einer seichten Stelle einfach überqueren. Die Wehrmacht zog sich zurück, ohne weitere Kampfhandlung erfolgte der Einmarsch der Amerikaner. Der nicht detonierte Sprengstoff unter der Altmühlbrücke wurde entfernt und außerhalb kontrolliert gesprengt. Der Zweite Weltkrieg war in Treuchtlingen vorbei.

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