Treuchtlingen: Keine Autistin, sondern eine Freundin

Micha Schneider

Springer-Redaktion

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31.5.2019, 05:53 Uhr
Treuchtlingen: Keine Autistin, sondern eine Freundin

© Micha Schneider

Es wuselt ganz schön im Fuchsbau-Kindergarten. Mädchen und Buben springen zwischen bunten Sitzblöcken umher, spielen unter einem Zeltdach und fahren mit dem Dreirad im Kreis. Phil und Sandy geben auf der blauen Fahrbahnmarkierung richtig Gas. Das einzige, was die beiden dabei auf den ersten Blick unterscheidet, sind Farbe und Form ihrer Dreiräder – das von Phil ist orange, Sandy hat sich ein rotes geschnappt.

Doch es gibt noch einen unsichtbaren Unterschied: Sandy gehört zur Gruppe der Kinder mit besonderem Förderungsbedarf, die im Fuchsbau ganz selbstverständlich mitspielen. Sie hat eine Autismus-Spektrum-Störung, eine tiefgreifende Entwicklungsveränderung.

Durch die alltägliche Begegnung mit Behinderungen sollen die Kinder in der Tagesstätte voneinander lernen und in ihrer Sozialkompetenz gestärkt werden. "Die Selbstverständlichkeit, mit anderen Kindern ganz normal zu spielen, ist das Herausragende an diesem integrativen Konzept", sagt Heike Glöckl, Leiterin des Kinderhauses. 2012 wurde die integrative Einrichtung eröffnet, und 2014 kam eine integrative Krippe dazu.

Die Fläche fast verdoppelt

Jetzt gibt es weitere Neuerungen in der Bahnhofstraße 14. Weil Kommunen verpflichtet sind, eine Mindestanzahl an Hortplätzen zur Verfügung zu stellen, gibt es im Fuchsbau künftig eine zweite Kindergartengruppe mit zusätzlich 15 Plätzen sowie eine weitere Hortgruppe mit zehn Plätzen. Dafür wurde die Inneneinrichtung nochmals ausgebaut.

Im September 2018 hatte das Ingenieurbüro Messingschlager und Hasselmeier mit den Planungen begonnen, Fördergelder gab es vom Freistaat, und auch die Stadt Treuchtlingen investierte in das Projekt. Am 1. Mai wurden die neuen Räume nun eröffnet. Neu sind auch das Bistro, die Gastroküche und der 230 Quadratmeter großer Indoor-Spielplatz, in dem sich Phil, Sandy und die anderen Kinder austoben können.

Insgesamt wurde die Fläche um 580 Quadratmeter erweitert. Mit Hausaufgabenraum, Bastelzimmer, Gruppenräumen oder der Lernwerkstatt haben die Kinder nun also rund 1200 Quadratmeter Platz zur Verfügung. "Das Kinderhaus ist jetzt vollendet", sagt Heike Glöckl. Hortplätze sind allerdings noch einige frei – von den zehn sind erst fünf belegt.

Behinderung ist Normalität

Drei der zehn Plätze sind Kindern mit erhöhtem Förderungsbedarf vorbehalten, bislang ist aber erst ein "Förderkind" angemeldet. Gibt es also noch Vorbehalte gegen das integrative Konzept? Natürlich gebe es Eltern, die das kritisch sehen, erklärt Glöckl. Doch wenn man erst einmal in Kontakt gekommen sei, sinke die Hemmschwelle. Im Fuchsbau gebe es genaue Förderpläne, um gemeinsame Ziele mit den Kindern zu entwickeln. Die Elternarbeit sei dabei ganz entscheidend, so die Leiterin.

Der Mehrwert, den die Kinder ihr zufolge haben, ist, dass sie von Beginn an tolerant gegenüber Menschen mit Behinderung aufwachsen, dass dies von Anfang an "normal" ist. "Das sind ja grundlegende Lebensthemen, mit denen man früher oder später in Berührung kommt", ergänzt Birgit Winter, Pressesprecherin des Vereins für Menschen mit Körperbehinderung aus Nürnberg, der Träger der Tagesstätte ist.

Grundsätzlich würden die Ängste in der Gesellschaft auch weniger, findet Glöckl. Die Eltern, die ihre Kinder in den Fuchsbau schicken, würden das ganz bewusst machen. Gerade für Familien, die gleichzeitig Kinder im Kindergarten- und im Krippenalter haben, sei die Einrichtung zudem sehr praktisch. Zudem ist der Betreuungsschlüssel höher als in regulären Kindergärten. Doch natürlich gibt es auch Herausforderungen. "Man stößt schon bisweilen an Grenzen", sagt Heike Glöckl. Für die Förderkinder müsse man mehr Zeit einplanen, es gehe etwas langsamer. Rücksichtnahme sei deshalb sehr wichtig.

Kein Kind ist gleich

Die Einrichtung besuchen Kinder mit sehr unterschiedlichem Förderungsbedarf: Entwicklungsverzögerte, Kinder mit Trisomie-21, Mädchen und Jungen mit Down-Syndrom oder Autismus. "Und auch nicht jeder Autist ist gleich. Jeder Mensch ist unterschiedlich. Es gibt da keine vorgefertigten Schemata", sagt Urda Vontz, die Leiterin der Frühförderung, mit der in Treuchtlingen einst alles begann. Ein Kind im Rollstuhl gab es im Fuchsbau zum Beispiel noch nicht, das könne aber schon morgen kommen. "Das erfordert Flexibiltät", ergänzt Birgit Winter.

Problematisch ist auch das Thema Fahrdienst. In Einrichtungen, die ausschließlich Kinder mit Förderungsbedarf besuchen, ist er kostenlos. "Wir dagegen sind froh, dass wir vormittags einen Fahrdienst anbieten können", erklärt Winter. Nachmittags sei das aus Kostengründen aktuell nicht möglich, der Trägerverein sei deshalb für Spenden dankbar.

Phil und Sandy kümmert das herzlich wenig. Sie rasen nach dem kurzen Foto-Schnappschus auf ihren Dreirädern weiter. Die Behinderung seiner Freundin ist Phil dabei offensichtlich ziemlich egal.

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