Treuchtlinger IGM "köchelt auf Sparflamme weiter"
25.10.2018, 06:04 UhrDr. Peter Löw war einer der Befürworter der ersten Stunde, in erster Linie aus medizinischen Gründen. „Aus ärztlicher Sicht hat das IGM den großen Vorteil der Langfristigkeit“, sagt er. „In meiner Praxis kann ich Menschen mit Übergewicht zum Beispiel gar nicht so lange beraten und coachen , wie das im IGM mit Selbstreflexion, Risiko- und Ressourcenbewertung möglich ist. Auch die Krankenkassen sehen hier meist nur fünf- oder sechsmal Physiotherapie oder Gymnastik vor. Das IGM ist dagegen durch seine Eigenverantwortlichkeit und Gruppendynamik viel nachhaltiger.“
So waren die Erfolge des Programms in Studien laut Löw signifikant. Das liege allerdings auch daran, dass die Probanden die Kosten dort nicht selbst tragen mussten. Denn die sind mit hohen zwei- oder sogar dreistelligen Euro-Beträgen nicht gering. „Dazu ist kaum jemand als Selbstzahler bereit“, ist sich Löw bewusst.
Hier liegt seiner Meinung nach das Hauptproblem: Ziel des IGM-Konzepts sei es, mit den Erfolgen irgendwann auch die Krankenkassen zu überzeugen, die Lebensstilkurse zumindest teilweise zu bezahlen. In Bad Kötzting, einem der anderen fünf (von ursprünglich acht) verbliebenen IGM-Standorten, sei zu diesem Zweck die AOK mit im Boot und finanziere die Studien vor Ort. Eine generelle Anerkennung des IGM als Kassenleistung zeichne sich aber höchstens langfristig ab. Und in Treuchtlingen, das anfangs alle Zulassungsstudien mit Bravour bestanden habe, reiche das Geld im Stadtsäckel nach Ablauf der 200.000 Euro schweren staatlichen Anschubfinanzierung nun eben nicht, um das Programm so lange auf eigene Kosten in vollem Umfang fortzuführen.
Nur als Kassenleistung etablierbar
Dafür bräuchte es laut Löw wohl einen gewerblichen Träger mit geschulten Gesundheitstrainern (für deren Ausbildung die Treuchtlinger Hochschule sogar einen eigenen Studiengang hätte). Der ist aber nicht in Sicht. Und so hofft der Mediziner nun „darauf, dass sich das IGM noch ein paar Jahre halten kann, bis es zur Kassenleistung wird“. Auch dann müsste die Stadt aber „wieder Geld in die Hand nehmen, um das Konzept professionell aufzustellen“.
Das ist auch das Vorgehen, das der Stadtrat im Sommer beschlossen hat. Laut Bürgermeister Werner Baum wird das IGM zum Jahreswechsel wieder von der Altmühltherme übernommen und dem Bereich Altmühlvital angegliedert, wo es schon vor dem Umzug in die Räume der Hochschule und dem Wechsel von Hermann Wißmüller von der Badleitung zum IGM-Chef beheimatet war. Wißmüller selbst ist ab Januar in Altersteilzeit, seine Assistentin Christiane Fuhrmann nicht mehr beim IGM angestellt. Ihre Aufgaben übernimmt bereits jetzt und offiziell ab 1. Januar Carina Geiger, eine junge Gesundheitsmanagerin sowie Bewegungs- und Ernährungstrainerin der Therme.
Sie soll das IGM laut Baum „auf Sparflamme weiter köcheln lassen“. Durch den Personalwechsel und die Rückkehr ins Bad fielen Miete und Lohnkosten weg, und auch das begleitete Lebensstiltraining werde es vorerst nicht mehr geben. „Es kann keiner von uns als Stadt erwarten, dass wir das finanzieren und dann rote Zahlen schreiben“, so Baum.
Die gewohnten Vorträge und Abendveranstaltungen werden dem Rathauschef zufolge aber fortgeführt. „Wir werden die Arbeitszeit von Frau Geiger nicht spitz rechnen und das IGM möglichst wirtschaftlich weiter laufen lassen, bis es vielleicht irgendwann über die Krankenkassen abrechenbar ist“, so Baum.
Das sieht Badleiter Ulrich Schumann auch gar nicht negativ. Er habe sich dieses Jahr im Rahmen einer kleinen Projektgruppe nochmals intensiv mit dem Thema IGM beschäftigt und könne nur bestätigen, dass „das Gesundheits- und Lebensstilprogramm sehr hochwertig und qualitätsvoll ist“. Das habe im Stadtrat seines Wissens auch niemand in Zweifel gezogen. Lediglich das Missverhältnis zwischen den jährlichen Kosten im niedrigen sechsstelligen und den Einnahmen im vierstelligen Bereich sei immer wieder kritisiert worden. „Diese Ausgaben lassen sich derzeit und auch perspektivisch für die nächsten Jahre nicht erwirtschaften“, so Schumann.
Dabei weiß auch der Badchef, dass „Qualität ihren Preis hat“. Ein solches hochpreisiges Programm brauche jedoch ideale Rahmenbedingungen, um auf dem Markt zu bestehen. „Die haben wir in Treuchtlingen nur sehr bedingt“, bedauert Schumann. So fehle der Stadt im Unterschied zu den anderen IGM-Teilnehmern der „Bad“-Titel. Vor allem mangele es aber an hochwertigen Übernachtungsmöglichkeiten, während die anderen Kurstädte mit dem IGM gerade ihre leerstehenden Betten füllen wollten.
Schumann unterstreicht deshalb ebenfalls, dass „wir die Unterstützung der Kassen als Kostenträger brauchen“. Ein wirtschaftlicher Betrieb des IGM mit Privatzahlern sei nicht möglich, und die Stadt habe „mit einem deutlich sechsstelligen Defizit auch nicht so weitermachen können“. Man werde nun „das Programm vorhalten, bis die Kostenträger dessen Wertigkeit erkannt haben, und dann wieder voll einsteigen“.
Schnittmengen nutzen
Neben dem Aspekt der Gesundheitsförderung sieht der Badleiter im IGM aber auch Schnittpunkte zur Vermarktung der Therme. „Alternative Gesundheitsprogramme zur Belebung und als Alleinstellungsmerkmal von Kurorten waren mit eines der ursprünglichen Ziele.“ So gehöre zum IGM nicht nur das Lebensstilprogramm, sondern auch das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM). In diesem Bereich seien Therme und Altmühlvital schon viele Jahre lang aktiv, etwa mit Rückenschulungen, Nordic Walking, Aquacycling und Badbesuchen für ganze Belegschaften.
Auf diese Weise hat auch ein IGM „auf Sparflamme“ laut Schumann „einen Mehrwert für die Therme und kann als Zugang zu potenziellen Kunden dienen“. Firmen biete es zudem die Möglichkeit, Mitarbeitern in Form von Kurs- und Fitnessgutscheinen steuerfreie Zuwendungen in Höhe von bis zu 500 Euro pro Jahr zukommen zu lassen – die dann wiederum Anreiz zur Teilnahme am Lebensstilprogramm sein könnten. „Wir müssen eben schauen, was der Markt hergibt“, so Schumann.
Warum das vorher niemand so klar gesagt habe? „Bei der Finanzierung wissen wir erst jetzt, dass die Krankenkassen das IGM in den nächsten Jahren nicht bezahlen werden“, erklärt der Badchef. „Die Frage ist also, wie lange wir in dieser Geschwindigkeit der Karotte nachlaufen wollen.“ Durch das abgespeckte Weiterführen des IGM schreibe die Stadt das ausgegebene Geld dagegen zumindest nicht ab und bleibe am Ball. Die Bausteine für eine spätere Wiederaufwertung des Programms habe man bei der Modernisierung der Therme bereits berücksichtigt – etwa mit einem Seminarraum, einem Untersuchungszimmer und einer kleinen Lehrküche für die Ernährungsberatung.
Zum Thema
Individuell und ganzheitlich
Das Individuelle Gesundheits-Management (IGM) ist eine Entwicklung des Kompetenzzentrums für Komplementärmedizin und Naturheilkunde des Klinikums rechts der Isar in München unter der Leitung von Professor Dieter Melchart. Das ganzheitliche Konzept zur Gesundheitsförderung und Prävention verbindet körperliche Faktoren wie Bewegung und Ernährung mit seelischen Aspekten wie Stress und Lebenszufriedenheit und leitet daraus eine individuelle Therapiestrategie ab. Dabei kombiniert es die Verbesserung des Lebensstils mit schulmedizinischen und naturheilkundlichen Behandlungen. Mehr dazu unter www.igm-campus.de.
Kommentar
Pragmatischer Weg ist kein Schaden
Ist das Individuelle Gesundheitsmanagement (IGM) in Treuchtlingen mit dem Wegfall des hauptamtlich besetzten Prophylaxezentrums in der Hochschule und der Fortführung „auf Sparflamme“ durch die Altmühltherme gescheitert? War es je sinnvoll? Und war die Entwicklung abzusehen? Schwierige Fragen, die letztlich nicht weiterführen und nur eines suchen: einen Schuldigen.
Ja, die Ansiedlung des IGM vor drei Jahren war nicht allein eine idealistische Entscheidung, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. In den Hinterköpfen der Befürworter, allen voran des Stadtrats und der Badleitung, ging es von Beginn an insbesondere darum, mehr Besucher in die defizitäre Therme und das Kur- und Wellnesszentrum zu holen. Das ist legitim und wäre eine Win-win-Situation.
Dass das ambitionierte Lebensstilprogramm nun auf Eis gelegt wird, liegt an der klammen Kasse der Stadt, die es nicht erlaubt, nach Ablauf der Förderung größere Geldbeträge nachzuschießen. Dass hier ein längerer Atem nötig gewesen wäre, war freilich durchaus abzusehen.
Andererseits hat Treuchtlingen nach wie vor einen Fuß in der Tür, falls die Krankenkassen es sich irgendwann mit der Bezuschussung des IGM anders überlegen. Und so lange das „Spar-IGM“ weiterläuft und auch nur ein paar Gäste mehr ins Bad lockt, ist das kein Schaden. Unter dem Strich hat die Stadt Mut zum Experiment bewiesen und aus dem Ergebnis, das mit der anfänglichen Euphorie nun nicht mithalten kann, immerhin das Beste gemacht.
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