Unterwerk Grönhart versorgt die Bahn mit Strom

27.8.2018, 06:05 Uhr
Unterwerk Grönhart versorgt die Bahn mit Strom

© Rudi Beringer/Limes-Luftbild

Seit im Winter 2005 im Münsterland 82 Strommas­ten aufgrund Wind und Schnee wie Streichhölzer umknickten, erschaudern Energieversorger bei einem Wort: Thomasstahl. Der bis in die 1960-er Jahre übliche Standard-Werkstoff erweist sich heute als Problemfall, denn er wird über die Jahre immer spröder und bricht im schlimmsten Fall. Deutschlandweit werden deswegen seit Jahren alte Strommasten saniert oder gegen neue ersetzt. Auch die DB Energie, die das 16,7-Hertz-Bahnstromnetz betreibt, ist davon betroffen und lässt deswegen aktuell die 110-kV-Bahnstromleitung von Grönhart nach Nürnberg sanieren.

Die 1938 errichtete Fernleitung stellte eine Erweiterung des bereits 1934 im Zuge der Elektrifizierung der Strecke Augsburg – Nürnberg errichteten Unterwerks Grönhart dar. Dies war zwar nicht die erste elektrische Zugverbindung Deutschlands, aber technikgeschichtlich durchaus eine Bedeutsame.

Elektrischer Bahnbetrieb hatte in Deutschland seine Anfänge dort, wo aufgrund vorhandener Ressourcen Strom einfach erzeugt werden konnte. Neben Mitteldeutschland (Braunkohle) war dies vor allem auch in Südbayern (Wasserkraft) der Fall. Schon bald reifte der Gedanke, diese  Regionen zu verbinden, was allerdings durch den Ersten Weltkrieg und die nachfolgende Weltwirtschaftskrise verhindert wurde.

Erst als in der Weimarer Republik Programme zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes aufgelegt wurden und man hierbei der Elektrifzierung der Reichsbahn eine besondere Bedeutung beimaß, kam wieder Bewegung in die Sache. Erfreut war die Reichsbahn ob der ihr aufgezwungenen Aufgabe allerdings nicht. Sowohl Verkehrsminister Theodor von Guérard als auch der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, Julius Dorpmüller, äußerten sich mehrfach kritisch über die aus ihrer Sicht unnötigen Elektrisierungen und vor allem die Kosten dieser Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ebenfalls nicht begeistert zeigte sich die Reichswehr, welche dem elektrischen Zugbetrieb aufgrund seiner Anfälligkeit für Feindeinwirkung nach wie vor sehr skeptisch gegenüber stand.

Propaganda am Werk

Als sich 1933 die Elektrifizierung der Strecke von Augsburg nach Stuttgart dem Ende neigte und die Elektrofirmen AEG, BBC sowie die Siemens-Schuckert-Werke vehement um Folgeaufträge baten, gaben Reichs- und Landespolitik sowie die Reichsbahn am 3. Mai grünes Licht für die Strecke von Augsburg nach Nürnberg. In der zeitgenössischen Berichterstattung wurde man in der Folge nicht Müde zu betonen, dass dieses Projekt nur aufgrund der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 und seinen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen umgesetzt werden konnte. Die Tatsache, dass in den Vorjahren bereits andere Strecken unter den selben wirtschaftlichen Bedingungen elektrifiziert werden konnten, wurde dabei geschickt ignoriert.

Die Planungen fielen im Vergleich zu anderen Strecken zwar tatsächlich sehr viel umfangreicher aus, der Grund war allerdings der Wunsch der Reichsbahn, aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten die Geschwindigkeit der Züge auf bis zu 150 Kilometer in der Stunde deutlich zu erhöhen. In diesem Zusammenhang kam gar die Idee nach einer neuen Bahntrasse von Treuchtlingen nach Donauwörth auf, die zu 45 Prozent in einem Tunnel verlaufen sollte. Die politisch gewollte breite Unterstützung der Volkswirtschaft führte zu mehreren Varianten derselben Bauteile, was den Planungsaufwand zusätzlich in die Höhe trieb. Oberleitungsmasten wurden etwa sowohl herkömmlich mit Schutz- und Decklack als auch verzinkt sowie als neuartige Betonmasten ausgeführt, ebenso gab es Versuche mit „Heimersatzstoffen“, um Import-Metalle wie Kupfer einzusparen.

Zur Jahresmitte 1933 nahmen schließlich die Arbeiter die Schaufeln in die Hand und begannen in den 15 Bauabschnitten mit den Erdarbeiten. Hauptsächlich wurden Weichenstraßen in Bahnhöfen optimiert, Brücken zur Durchführung eines Fahrdrahtes umgebaut und die Leit- und Siche­rungstechnik auf die künftigen Geschwindigkeiten vorbereitet.

Nachdem Anfangs hauptsächlich Arbeitslose aus der Region über den Reichsarbeitsdienst Lohn und Brot fanden, brachten ab dem Herbst auch Sonderzüge Arbeiter aus anderen Bezirken zu den Baustellen entlang der Strecke, auf der mittlerweile auch die Elektrofirmen mit der Montage der Oberleitung begonnen hatten. Zwischenzeitlich durchgeführte Versuchsfahrten auf der Strecke München – Ulm zeigten allerdings Kontaktprobleme zwischen der damals üblichen „Einheitsfahrleitung 1931“ und dem Stromabnehmer der Lok bei hohen Geschwindigkeiten, die maßgeblich durch den Wärmeausdehnungskoeffizienten des Metalls bedingt waren: Je nach Temperatur war der Fahrdraht zu locker oder zu straff.

Für die Strecke Augsburg – Nürnberg musste deswegen eine neue Oberleitung entwickelt werden. In den Schubladen der Hersteller gab es hierzu zwar bereits diverse Ansätze, jedoch fehlte die Zeit zur eingehenden betrieblichen Erprobung dieser Vorschläge. Die Reichsbahn beauftragte daher die Firmen mit der Umsetzung ihrer Ideen auf Versuchsabschnitten, wobei der grundsätzliche Aufbau der Einheitsfahrleitung möglichst beibehalten werden sollte.

Neue Technik ausprobiert

Der Durchbruch war aber der „angelenkte Rohrseitenhalter“, der den Fahrdraht nunmehr in seiner Position hält aber bei Vorbeistreifen des Stromabnehmers elastisch nachgibt. Die dabei entstandene Oberleitung bildete im Nachkriegsdeutschland die Basis für die nur minimal abgeänderte Regelfahrleitung 160 der Bundesbahn, welche in ihren Ausführungen bis heute den Standard im elektrischen Schienennetz Deutschlands darstellt.

Bei der Eröffnungsfahrt am 15. Mai 1935 stoppte der Zug auch am damals noch vorhandenen Haltepunkt Grönhart, wo die Prominenz von Bahn, Industrie und Politik das dortige Unterwerk besichtigte. Insbesondere die Vertreter der NSDAP träumten dabei bereits vom elektrischen Zugbetrieb auf der Achse Berlin-Rom, denn die Fortführung des Fahrdrahtes über den Frankenwald Richtung Leipzig war bereits in der Diskussion.

Den Standort Grönhart hatte maßgeblich das Militär mitbestimmt, sollte er doch weit außerhalb Treuchtlingens liegen. Ein Anschlussgleis zweigte von der Hauptstrecke Treuchtlingen – Weißenburg ab und führte direkt durch das mit einem Deckenkran ausgerüs­tete Werkstattgebäude in die Anlage. Neben dem als Freiluftanlage ausgeführten elektrischen Bereich befand sich ein eckförmiges Betriebsgebäude mit ständig besetzter Schaltwarte, Büros und Garagen für Feuerwehrkarren sowie einer Werkstatt und fünf Wohnungen für das Personal.

In einem Nebengebäude sorgten Kompressoren für ausreichend Druckluft, mit der die schweren Schalter gesteuert wurden. Hauptbestandteil bildeten zwei 5-Megavoltampere-Umspanner von AEG, die ihre Energie über eine 110-kV-Fernleitung aus bereits bestehenden Wasserkraftwerken an der Isar bei Landshut bezogen und 15 kV an die Oberleitung abgaben.

Der Speisebezirk des Unterwerks reichte damals von Donauwörth, wo der Übergang zum südlichen Unterwerk Augsburg erfolgte, bis nach Nürnberg. Obwohl man dort Haupt- und Rangierbahnhof im Störungsfall separat schalten konnte, wirkte sich das Fehlen einer eigenen Einspeisung in der Noris sehr nachteilig aus, immerhin musste die gesamte dort benötigte Energie ab Grönhart über die Oberleitung übertragen werden.

Erst im Zuge der weiteren Elektrifizierung der Strecke von Nürnberg nach Leipzig wurde 1939 in Gebersdorf ein Bahnstromumformer in Betrieb genommen der diesen Nachteil behob. Mit der zeitgleich weitergeführten 110-kV-Fernleitung von Grönhart über Nürnberg nach Halle realisierte man auch die lange gewünschte Verbindung der Süddeutschen Wasserkraftwerke mit dem Mitteldeutschen Kohlekraftwerk Muldenstein. Bei Bedarf konnte damit erstmals Kohlestrom nach Süddeutschland transportiert werden, während billige Wasserkraft den Weg nach Norden nahm.

Die weiteren Elektrifizierung im Nachkriegsdeutschland, insbesondere der Strecke von Treuchtlingen nach Ingolstadt und Würzburg in den frühen 1960ern, sorgten für einige Umbauten und Erweiterungen des Unterwerks. In die teilweise neu trassierte Fernleitung aus Landshut wurden die neuen Wasserkraftwerke bei Neuburg/Donau einbezogen, eine neue Fernleitung führte über die Unterwerke Oberdachstetten und Markt Bibart zum Pumpspeicherkraftwerk Langenprozelten im Maintal. In den 1970er Jahren wurde schließlich eine Fernsteuerung eingebaut und das Unterwerk von Nürnberg aus bedient, der Wohntrakt wurde in der Folge überflüßig und abgerissen.

Metalldiebe und Vandalen

Nachdem die Anlage trotz aller Umbauten und Modernisierungen in die Jahre kam, hat die Bahn um die Jahrtausendwende ein komplett neues Unterwerk auf der gegenüberliegenden Gleisseite gebaut. Die bisherige Freiluftanlage wurde daraufhin still gelegt und 2003 abgerissen. Geblieben ist lediglich der mittlerweile ungenutzte und leerstehende Gebäudekomplex, der zwischenzeitlich mehrfach von Metalldieben und Vandalen heimgesucht wurde. Interessenten, die das Areal kaufen und nutzen wollten, gab es zwar mehrere, doch die DB Energie hatte bislang offenbar mehr Interesse an einem Verfall statt einem Verkauf.

Auf dem 14 Kilometer langen Fernleitungs-Abschnitt von Grönhart bis Ramsberg erwiesen sich die mittlerweile 80 Jahre alten Strommasten als derart verschlissen, dass nur ein Neubau in Frage kam. Per Autokran wurden die alten Masten mittlerweile wenige Meter versetzt um am bisherigen Standort Fundamente für neue Masten betoniert zu können. Und auch die Leiterseile entsprechen nun dem heutigen Stand der Technik.

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