Verbindung zum Oktoberfest-Attentat? Erlanger Mord wirft Fragen auf
17.12.2020, 21:34 UhrDenn einerseits geschah hier der erste gezielte antisemitisch motivierte Mordanschlag in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Andererseits sind Verbindungen zu einem weiteren rätselhaften Verbrechen unübersehbar: dem Oktoberfestattentat mit 13 Toten knapp zwei Monate vorher.
In jahrzehntelangen Recherchen hat der Münchner Journalist und Publizist Ulrich Chaussy mögliche Zusammenhänge aufgedeckt und Hintergründe offengelegt. In seinem neuestes Buch „Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen“ beleuchtet er weitere Spuren, die beide Male in die gleiche rechtsextreme Szene führen. Die Einzeltäter-These im Erlanger wie auch im Münchner Fall ist so stark in Frage gestellt.
Kommentar: Fatale Ermittlungsfehler nach dem Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke
Der Doppelmord
In der Erlanger Ebrardstraße 20 fallen am 19. Dezember 1980, einem Freitag, zwischen 18.40 Uhr und 19 Uhr acht Schüsse. Doch niemand in der Nachbarschaft bemerkt davon etwas. Shlomo Lewin muss, so rekonstruiert es die Polizei später, seinem Mörder ahnungslos die Tür geöffnet haben, der ihn mit drei Schüssen aus einer kleinen Maschinenpistole der Marke Beretta niederstreckt und ihn dann mit einem Kopfschuss tötet.
Dann ereilt Frida Poeschke, die aus dem Wohnzimmer heraustreten wollte, das gleiche Schicksal, auch sie stirbt nach vier Schüssen, der letzte wurde in ihren Kopf gefeuert. Die Patronenhülsen des Kalibers 9 mm findet die Polizei neben den Opfern. Und noch etwas lag da: Eine blaue Damenbrille, hergestellt in einer Brillenfabrik in Heroldsberg. Ebenso entdeckte man ein Blechstück, Reste eines selbstgebauten Schalldämpfers, der bei den Schüssen zerbarst.
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Die Opfer
Frida Poeschke war die Witwe des früheren Erlanger SPD-Oberbürgermeisters und mittelfränkischen Bezirkstagspräsidenten Michael Poeschke, eine evangelische Christin. Sie hatte 1964 Shlomo Lewin kennengelernt, den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg (IKG), als der Verleger von Frankfurt nach Erlangen gezogen war.
Lewin, in Jerusalem geboren und in Deutschland aufgewachsen, setzte sich zusammen mit seiner Lebensgefährtin für die Verständigungen der Religionen ein und führte ab 1975 die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken. 1976 erhielt er das Verdienstkreuz 1. Klasse für seine Verdienste um das jüdische Leben in Deutschland.
Die Ermittlungen
Fünf Monate lang ermittelte die Polizei in die falsche Richtung. Sie suchte nach Motiven innerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde, denn es war bekannt, dass Lewin und sein Vorgänger im Amt, Arno Hamburger (der auch sein Nachfolger war), Streitigkeiten hatten. Zudem spielte die Presse eine „unrühmliche Rolle“, wie Autor Ulrich Chaussy in seinem Buch notiert.
Die Nürnberger Nachrichten schrieben ohne Angabe von Belegen, Lewin sei ein „Ex-Adjutant“ des israelischen Generals und Politikers Mosche Dajan gewesen, die Nürnberger Zeitung streute das Gerücht, er habe sich als Mitarbeiter des Geheimdienstes Mossad verdingt, und israelische Zeitungen titulierten ihn als „Hochstapler“ und „Intriganten“. Nichts davon ließ sich nachweisen. Der „posthume Rufmord an Shlomo Lewin“ habe möglicherweise auch Folgen für das Handeln der Ermittler gehabt, schreibt Chaussy.
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Der mutmaßliche Täter
Erst Monate nach dem Doppelmord kommt man dem Täter auf die Spur, als die Polizei endlich beim Brillenfabrikanten in Heroldsberg die Herkunft der am Tatort gefundenen Damenbrille erfragte. Erich Schubert erinnerte sich, das Gestell Franziska Birkmann geschenkt zu haben. Sie wohnte zusammen mit ihrem Lebensgefährten Karl-Heinz Hoffmann in Heroldsberg, ehe das Paar nach Schloss Ermreuth im Landkreis Forchheim umzog.
Dort richtete Hoffmann die Zentrale seiner nach ihm benannten rechtsradikalen Wehrsportgruppe (WSG) ein. Zu Hoffmanns Anhängern gehörte Gundolf Köhler, der Mann, den die Münchner Ermittler als Alleinverantwortlichen für das Oktoberfestattentat mit 13 Toten ansahen und der bei der Bombenexplosion selbst ums Leben kam.
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Auch Uwe Behrendt war Mitglied der WSG, die zu seltsamen Leibesertüchtigungen mit verschweißten Waffen (um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen) durch fränkische Wälder streifte. Er wohnte bis zum Doppelmord bei seinem „Chef“ im Schloss und gilt als der mutmaßliche Schütze auf Lewin und Poeschke.
Die Waffe stammte aus Hoffmanns Besitz, sie war verschweißt gewesen, ehe sie „scharf“ gemacht wurde. Behrendt floh in den Libanon, wo Hoffmann seine Wehrsportgruppe von der PLO trainieren ließ, weil der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum die WSG im Januar 1980 verboten hatte. Die bayerische Staatsregierung unter Franz-Josef Strauß (CSU) hatte dagegen stets beteuert, von Hoffmann und seiner Truppe gehe keine Gefahr aus.
Behrendt (29) starb 1981 im Lager Bir Hassan nahe Beirut auf ungeklärte Weise. Es hieß, er habe Selbstmord begangen. Karl-Heinz Hoffmann wurde 1986, nach einem spektakulären Prozess mit 185 Verhandlungstagen, vom Vorwurf freigesprochen, er habe den Mord an Lewin und Poeschke in Auftrag gegeben. Da sich keine Beweise fanden, glaubte das Landgericht Nürnberg-Fürth an die Einzeltäter-These eines fanatischen Kopfes.
WSG-Mitglieder hatten jedoch der Polizei berichtet, Hoffmann habe sie bei der Aufnahme in die Gruppe gefragt, ob sie einen älteren Juden töten könnten. Und er habe wissen wollen, ob jemand aus einer Spraydose einen Schalldämpfer bauen könne. Niemand habe sich gemeldet. Reste eines solchen Schalldämpfers lagen dann in Erlangen neben den Leichen.
Mögliche Motive für die Morde
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Shlomo Lewin war im August 1977 der Hauptredner einer Kundgebung auf dem Nürnberger Hauptmarkt gewesen und hatte vor Karl-Heinz Hoffmann, seiner Truppe und den Gefahren von Rechts eindringlich gewarnt. Zu diesem Zeitpunkt sollte in der Stadt ein „Auschwitz-Kongress“ führender Rechtsradikaler Deutschlands stattfinden.
Oktoberfest-Attentat vor 40 Jahren: Diese Fragen bleiben
Das Landeskriminalamt hatte in einem Vermerk festgehalten, dass auch Hoffmann an der Vorbereitung der Veranstaltung beteiligt gewesen war. Lewin habe sich bei seiner Rede als ein „wacher Mahner“ präsentiert und mit seinen Worten auch bürgerliche Kreise erreicht, sagt Chaussy.
Karl-Heinz Hoffmann, seine Lebensgefährtin, ihr Untermieter Uwe Behrendt – das war genau der Personenkreis, mit dem sich Chaussy seit 37 Jahren auch im Fall des Attentats auf dem Münchner Oktoberfest beschäftigt hatte. So war etwa ein Mitglied von Hoffmanns WSG zum Zeitpunkt des Bombenanschlags in München anwesend, wie ein Nürnberger Polizist mitteilte. Doch die Sache wurde – wie andere Spuren auch – nicht weiter verfolgt. Viele Fragen sind noch offen.