Juristin kritisiert "Nacht-und-Nebel-Aktion"
Viele Bayern verlieren 2G-Status über Nacht: "Das ist das Gegenteil von Rechtsstaat"
20.1.2022, 13:25 UhrMit einem Handstreich, einem Mausklick, verloren irgendwann am 15. Januar womöglich Hunderttausende Deutsche einen Teil ihrer Grundrechte. Wer nur eine Dosis des Vakzins von Johnson&Johnson gespritzt bekommen hat, gilt seit einigen Tagen nicht mehr als vollständig geimpft. Still und ohne Vorwarnung hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die "Anforderungen für den vollständigen Impfschutz" geändert - und damit auch in Bayern vielen Menschen den 2G-Status aberkannt. Sie dürfen nicht mehr ins Restaurant oder zum Friseur und können an vielen Teilen des gesellschaftlichen Lebens nicht mehr teilnehmen.
Jessica Hamed hält das für rechtswidrig. Sie ist Fachanwältin für Strafrecht und seit März 2020 mit dutzenden Corona-Verfahren beschäftigt. "Im Prinzip ist eine Reihe von Menschen von heute auf morgen nahezu rechtlos gestellt", sagt die Juristin. Dass eine Behörde im Alleingang darüber entscheidet, wem Grundrechte gewährt werden und wem nicht, sieht sie kritisch. "Das ist Aufgabe des Parlaments oder aber wenigstens einer gewählten Regierung."
Wissenschaftlich gut begründbar ist die Anpassung. Die Ständige Impfkommission etwa hält den Schutz durch Janssen, wie das Vakzin heißt, gerade auf Dauer für "ungenügend". Sogenannte Durchbrüche, also symptomatische Erkrankungen, häuften sich in den letzten Monaten. Experten sind sich einig: Nur mit einer Auffrischung wirkt der Impfstoff von Johnson&Johnson weiter verlässlich.
Nicht einmal ein neues Parkverbot gilt von heute auf morgen
Hamed aber sieht eine ganze Reihe von juristischen Problemen - besonders, dass es keine Übergangsfrist für Betroffene gibt. Einfach mit dem Vakzin von Johnson&Johnson-Geimpfte wurden über Nacht eiskalt von der Neuregelung überrascht. "Das ist das Gegenteil von Rechtsstaat", sagt Hamed. "Ich muss mich darauf verlassen können, dass wenn ich mich heute entscheide, etwas zu machen, dass das auch in fünf Tagen noch geht." In Deutschland könne man nicht einmal ein Parkverbot von einem Tag auf den anderen einführen. "Da gibt es einen Vertrauensschutz."
Das Argument, dass die Situation in der Pandemie dynamisch sei, lässt Hamed nicht mehr gelten. "Wir sind in diesem Zustand seit fast zwei Jahren", sagt sie. "Da kann man keinem erklären, dass man das nicht mit einer Vorlaufzeit hätte sauber kommunizieren können. Diese Nacht-und-Nebel-Aktion konterkariert alles, was der Rechtsstaat bedeutet." Die Rechtsanwältin hätte eine Übergangsfrist von mindestens drei, besser aber vier Wochen für angemessen gehalten. "Nur so haben die Betroffenen überhaupt die Chance, rechtzeitig einen Impftermin zu bekommen."
CovPass-App zeigt vollständige Impfung an? Das gilt wirklich
Überhaupt ist die Praxis, die Entscheidung an das PEI und das Robert-Koch-Institut auszulagern, auf juristisch dünnem Eis gebaut. "Wir kennen den Mechanismus bei der Definition von Virusvarianten- und Hochrisikogebieten", sagt Hamed. "Aber da ist der Eingriff deutlich niedrigschwelliger. Wenn der Pauschalurlaub nicht stattfindet, ist das ärgerlich - aber in der Regel bleibt man nicht auf den Kosten sitzen und ist zudem nicht in seinem gesamten gesellschaftlichen Leben betroffen." Dazu kommen Sicherheitsprobleme. "Die Webseite, auf der das definiert wird, könnte theoretisch auch gehackt werden."
Noch werden Janssen-Geimpfte, die nur eine Dosis erhalten haben, etwa in der CovPass-App als vollständig geimpft angezeigt. Erst Anfang Februar soll ein Update kommen. Das rettet aber keinen der Betroffenen an der Restauranttür, erklärt Hamed. "Das hat keine Rechtswirkung und ist einfach nur eine Dokumentation." Weist ein Betreiber einen Kunden ab, handelt der korrekt. "Die Rechtslage und das, was in der App steht, können sich unterscheiden."
Hamed: "Das ist schon sehr grotesk"
Das betrifft auch Millionen Genesene. Auch deren Status wurde still und heimlich auf drei Monate verkürzt - ohne Übergangsfrist, ohne Vorwarnung. Das Robert-Koch-Institut begründet das auf seiner Homepage aktuell mit drei Quellen. "Zwei davon stammen aus England", sagt Hamed, also aus einem Land, das wegen geringerer Krankheitslast bei Omikron alle Corona-Maßnahmen aufheben will. "Das ist schon sehr grotesk." Die Anwältin ist in Kontakt mit mehreren Betroffenen, bei denen aktuell der Klageweg geprüft werde. Sowohl bei der Verkürzung des Genesenenstatuses als auch bei Johnson&Johnson droht juristischer Gegenwind.
In jedem Fall, sagt Hamed, sei das Vorgehen der Behörden eine "Kommunikationskatastrophe". Es gab keine Pressemitteilung, keine offizielle Verlautbarung, keine Hinweise auf die drastische Grundrechtseinschränkung. "Twitter-Nutzer haben das zuerst auf der Homepage entdeckt und thematisiert", erklärt sie. "Da werden einfach Regeln geändert - und niemand bekommt es mit."