Wasser-Retter in der Region befürchten mehr Ertrinkende

10.7.2020, 18:51 Uhr

Wie Laufen, Sprechen und Lesen zu lernen, war auch die Schwimmschule über viele Jahrzehnte hinweg normal. Selbst kleine Orte bauten Bäder. Fast jedes Kind profitierte davon. Noch Ende der 80er Jahre war klar, dass rund 90 Prozent der Deutschen sich sicher im Wasser bewegen können.

Lothar Schnelle von der Nürnberger Wasserwacht gehört dieser Generation an. Das Schwimmen hat dem 54-Jährigen, der heute für das Rote Kreuz Rettungsschwimmer ausbildet, Bootsführer ist und Einsätze der Wasserrettung leitet, seine Mutter beigebracht – als Knirps mit sechs Jahren. Segen oder Fluch? Denn die Folge war, dass er beim Schwimmunterricht in der vierten Klasse an der Nürnberger Paniersschule schon eine Wasserratte war – "ich musste daher meist am Beckenrand sitzen".

Heute sitzen viele junge Menschen nicht mal mehr am Beckenrand. Nach Angaben des Roten Kreuzes sind in Bayern rund 15 Prozent aller Kinder zwischen fünf und 17 Jahren Nichtschwimmer. Was einen Wasserretter wie Schnelle nicht sonderlich erstaunt, "weil Schwimmbäder fehlen und weil man in den meisten ,Spaßbädern’ nicht schwimmen können muss".

Diesen Sommer wird es noch schwieriger sein, für ausreichende Sicherheit im Wasser zu sorgen. Aufgrund der langen Schließzeiten wegen der Corona-Pandemie hat ein ganzer Jahrgang den Schwimmunterricht verpasst. Nachholbedarf ist da. Weshalb die Wasserwacht gestern in München mit der Kampagne "Bayern schwimmt" begann, bei der Grundschülern virtuell das Brustschwimmen, Kraulen oder Tauchen vermittelt werden soll.

Zu spät ist es überdies auch in späteren Jahren nie: "Richtig schwimmen lernen kann man bis ins hohe Alter", weiß Schnelle. Neben der Wasserwacht und bietet unter anderem die Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) Erwachsenenschwimmkurse an .

Ein DLRG-Sprecher machte gestern darauf aufmerksam, dass in Bayern heuer schon zwölf Menschen ertrunken sind – "und jede Woche werden es mehr". Nürnberg blieb bisher verschont, doch erst Ende Juni ist ein Vater mit seiner vierjährigen Tochter im Trebgaster Badesee in Oberfranken ertrunken. Kamen vergangenes Jahr im Freistaat 95 Menschen im Wasser ums Leben, rechnet man bei der DLRG in dieser Saison mit deutlich mehr traurigen Schlagzeilen. Denn viele Menschen werden den Urlaub in der Region verbringen.

Der menschliche Körper hält es nur wenige Minuten unter Wasser aus. "Nach drei bis fünf Minuten kann es bereits zu Hirnschädigungen kommen, das ist aber sehr abhängig von der Wassertemperatur und dem Sauerstoffverbrauch im Körper", weiß Schnelle: "Pauschal lässt sich das nicht sagen."

Wird man vor dem Ertrinken bewusstlos oder kann man noch um Hilfe rufen? Dem Rettungsexperten zufolge wird zwischen "Badetod" und "Ertrinkungstod" unterschieden. Während der erstgenannte lautlos vor sich geht und zum Beispiel einen Herzinfarkt zur Ursache haben kann, also keine Chance auf einen Hilferuf besteht, passiert der "Ertrinkungstod" in drei Phasen: "In der Abwehrphase ist es noch möglich, um Hilfe rufen, in der Krampfphase krampfen alle Muskeln, auch die Stimmritze, in der Lähmungsphase geht man unter."

Wer einen Notfall im Wasser bemerkt, dem rät Schnelle dazu, dem Hilfesuchenden zunächst schwimmfähige Gegenstände zuzuwerfen: "Wenn alles nichts hilft, dann anschwimmen – mit etwas Auftriebsfähigem wie einer Luftmatratze. In jedem Fall kann man immer den Notruf an die 112 absetzen."

Das Schwimmabzeichen "Seepferdchen" reicht nicht aus, um guten Gewissens ins Wasser zu springen. Die Wasserwacht empfiehlt mindestens das Schwimmabzeichen in Bronze. Und was, wenn einen dennoch im Wasser die Kräfte verlassen? "Auf den Rücken legen, versuchen auszuruhen, Luft holen und mit Armen über Kreuz über den Kopf winken, um auf die Notsituation aufmerksam zu machen", empfiehlt der Retter. Der sich übrigens jederzeit über neue Kollegen freut: "Es gibt immer weniger Ehrenamtliche, Nachwuchs wird benötigt. Die Ausbildung ist nicht schwer."

Schnelle selbst hat die lange Schließzeit der Bäder aufgrund der Corona-Pandemie nur "sehr schwer" überstanden. "Wir durften am 23. Juni das erste Mal wieder im Langwasserbad – unter erschwerten Bedingungen – trainieren", erzählt der Wasserwachtler. "Das war traumhaft! Alles andere war kein Ersatz."

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