Wenn die Lehrerin der Mama ähnlich sieht
4.4.2020, 12:04 UhrIn Krisenzeiten braucht man Struktur, sagen die Experten. Also stehen wir am Morgen weiter auf, als wäre die Welt noch in den Fugen. Das klingt konsequenter als wir wirklich sind. Im Grunde haben wir keine Wahl, unser eineinhalbjähriger Nachwuchs zeigt sich von internationalen Krisen seit jeher unbeeindruckt. Er steht auf, wenn er wach ist. Corona hin, Corona her.
Im Grunde zählen er und die Klopapierproduzenten zu den wenigen Gewinnern der Krise. Indem das Virus in der Welt draußen für Ruhe gesorgt hat, hat es zugleich in der Welt von Vincent drinnen für Belebung gesorgt. Immer gibt es jemanden, der ihm den Ball unterm Schrank vorholt oder mit ihm über Luftballons stolpert. Das findet er gut.
Klassenzimmer Küche
Seine drei Schwestern (1 x Gym, 1 x Grundschule, 1 x Kiga) sind jetzt dauerhaft daheim. Da man in Krisenzeiten – wir erinnern uns – Struktur braucht, schicken wir sie weiter in die Schule. Nur, dass die nun am selben Ort wie das Frühstück stattfindet, man vom Klassenzimmer die Küche sehen kann und die neue Lehrerin ihrer Mutter ähnlich sieht. Wobei: Die hat kürzere Haare. Oder sollte man schreiben "hatte"?
Egal, nachdem sich der Schulweg unter den gegebenen Umständen erheblich verkürzt hat, fehlt den Kindern nicht nur Bewegung, sie haben jetzt auch Zeit. Deshalb beginnt der Tag im Home-School-Office mit dem BR-Tele-Gym. Wie drei Mädels in Schlafanzügen versuchen, den neonfarben verpackten Pferdeschwanzträgerinnen des BR Verrenkungen nachzumachen, ist ein Bild für Götter. Und: die perfekte Kulisse für die zweite Tasse Kaffee des Morgens. Inzwischen sind wir zum Fitness-Programm des Basketballvereins Alba Berlin gewechselt. Die Osteoporose-Vorsorge des Tele-Gym schien uns noch nicht akut zu sein.
Während die Schule oben in Schwung kommt, muss Papa zur Arbeit. Das bedeutet im Moment: Treppe runter. Schon ist man im Homeoffice. Das Handy hat hier kaum Empfang und es braucht daher verbindliche Absprachen über die einzige Telefonleitung des Hauses. Eine der größten Herausforderungen im Homeoffice besteht darin, nicht hart zu verwahrlosen. Die Versuchung, die erste Schippe Arbeit noch vor der Morgendusche wegzuschaufeln, ist zu groß. Also verlegt man sich vom Frühstückstisch gleich in den Keller. Während man Whatsapp, Facebook, Mails und das neue digitale Tagblatt-Büro auf Slack im Auge behält, fängt das Telefonieren und Schreiben an.
Ehe man sich versieht, plaudert man mit einem Bundestagsabgeordneten, dem Generalvikariat des Bischofs oder dem Landesamt für Denkmalpflege und hat noch nicht mal richtig Hosen an. Die passende Duschpause am Vormittag zu finden, ist auch nach zwei Wochen eine der größten Homeoffice-Herausforderungen. Zwischendurch muss man ja immer wieder auch in den familiären Restbetrieb eingreifen, der nun beängstigend nah am Arbeitsplatz stattfindet. Da beschweren sich dann die Schüler über die neue Lehrerin und die neue Lehrerin über die Schüler. Beide Seiten haben sich damit abgefunden, dass das Thema beim nächsten Elternabend zu Hause besprochen wird.
Digitale Lernplattformen
Mittwoch wechselt die Zuständigkeit. Meine Frau tauscht die heimische Schulfront mit der Corona-Front in der Apotheke, und ich muss aus meinem Homeoffice-Schützengraben ans Tageslicht, um mit den Kindern ihre Hausaufgaben zu erledigen. Das sind nicht wenige und zudem immer wieder kreative. Über die digitale Lernplattform Mebis gehen regelmäßig neue Arbeitsaufträge ein.
Eine Stadtführung in Weißenburg auf Englisch soll entwickelt, aufgenommen und an die Lehrerin geschickt werden. In Geografie sollen anhand von Präsentationen Flyer erstellt werden, die einmal für die Ausweisung eines Nationalparks werben und einmal dagegen sind. "Ist doch klar, ein Nationalpark ist cool", antwortet die älteste Tochter frohgemut am Anfang der Hausaufgabe. "Boah, ich habe keine Ahnung, was da besser ist", schnaubt sie am Ende. Die Einsicht, dass es mit klaren Antworten im Leben nicht immer einfach ist, war in dem Fall wohl erwünschter Lernfortschritt.
So sehr es wichtig und richtig ist, in diesen Zeiten zu Hause zu bleiben, einkaufen muss man. Und das ist zu einer diffizilen Angelegenheit geworden. Seit der Hamsterkäufer es an Verabscheuungswürdigkeit mit Voldemort, Saruman und Jürgen Klinsmann aufnehmen kann, hat man es als Einkäufer für eine sechsköpfige Familie schwer. Unser Wagen ist immer voll, wenn wir einkaufen gehen. Auch wenn gerade keine Seuche den Erdball verheert.
Unglücklicherweise gibt es keine gesellschaftlich akzeptierte Art, der Existenz seiner Kinder beim Einkaufen Ausdruck zu verleihen. Mitnehmen soll man sie nicht und ein T-Shirt mit ihren Konterfeis fehlt in meinem Kleiderschrank. Ich sorge nun dafür, dass das Windelpaket stets weit oben im Einkaufswagen liegt. Das verschont einen vor den Hamster-Beschimpfungen der intelligenteren Menschen. Für den Rest habe ich ein paar lose Rollen Klopapier dabei, die ich bei gezischten Beleidigungen weit in die Tiefe des Supermarkts schleudere. Schon sind die Kritiker weg . . .
Natürlich versuchen auch wir, die lokale Geschäftswelt zu unterstützen und uns Sachen liefern zu lassen. Die Bilanz ist durchwachsen. Auf die Antwort des Getränkeservice, der liefern wollte, warten wir bis heute. Auch der Baumarkt im Notbetrieb reagierte erst, als man anrief, dann aber sehr nett. Man konnte mit dem Herrn am anderen Ende der Leitung live durch den ganzen verwaisten Baumarkt spazieren. Wem also sehr langweilig ist, der kann sich einige Produkte überlegen, die sich an maximal entfernten Ecken des . . . Na ja, auf den Rest kommen Sie von selbst.
Tadellos funktioniert die literarische Versorgung. Hier liefert mitunter der gut gelaunte Chef persönlich. Die Bücher liegen in einer Tüte vor der Tür, samt Rechnung zum Überweisen. Völlig kontaktlos. Sieht man von dem anschließenden Anruf ab, wo denn im Nachbardorf eine bestimmte Adresse zu finden sei. Ansonsten ist ein Weißenburger Metzger in unserem Auftrag unterwegs, zuletzt gab es Currywurst to go in Weckgläsern zum Mitnehmen von einer Bar, und mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, dass eine lokale Gärtnerei auch Pflanzen ausliefert.
Sozialkontakt via Skype
Sollte die Lage noch länger so bleiben, machen wir uns weniger Sorgen um die Versorgung mit Nahrungsmitteln als um das Datenvolumen. Denn: Inzwischen wird geskypt, was das Zeug hält. Die eine Tochter verabredet sich mit der Freundin zum Schachspielen, die andere zockt ein Würfelspiel mit der Oma, und selbst das Vorlesen aus einem Buch haben wir via Skype erfolgreich erprobt. Gerade wird in unserem Hause ein Puppentheaterstück produziert, dessen Ausstrahlung via Stream fest geplant ist. Die digitale Kompetenz in unserem Hause und in jenen der nahen Verwandtschaft ist seit Corona geradezu explodiert.
Selbst ein kompletter Stammtisch lässt sich digitalisieren, wie ich seit vergangenem Mittwoch weiß. Zu acht trafen wir uns auf Jitsi Meet zu einer dreistündigen Videokonferenz, die keinerlei ernsthaften Nutzen hatte, aber vielleicht gerade deshalb so erfrischend war. Lockeres Geplauder ist außerhalb der Familie zu einem raren Gut geworden. Im Übrigen entwickelte sich das Treffen auch zu einem spontanen Rettungsschirm für die lokale Brauereiwelt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Genauso wie unsere Teilnahme am Rudelmusizieren, das den Zweck hatte, diesem vermaledeiten Virus ein bisschen positive Energie entgegenzusetzen. An einem Sonntag um 18 Uhr schmetterten wir Freude schöner Götterfunken auf der heimischen Terrasse, unterstützt von einem zweiläufigen Blockflötengewitter. Am Ende fühlten wir uns gut, und ein Nachbar applaudierte. Das ist es doch, worum es gerade geht: kleine Zeichen, dass der ganze Mist auch irgendwann wieder vorbeigehen wird. In diesem Sinne: Bleiben Sie daheim und bei Trost. Und denken Sie an die goldene Homeoffice-Regel: keine Jogginghosen zum Mittagessen.
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