Wie das Bockbier Mittelfranken erobert
18.10.2015, 19:50 UhrNZ: Herr Raupach – bitte erklären Sie uns Mittelfranken doch einmal die Oberfränkische 5. Jahreszeit, die nun beginnt: Die Zeit der Bockbieranstiche. Warum sind die jetzt, wo kommen sie historisch betrachtet her und welche Rolle nehmen sie heute im gesellschaftlichen Leben ein?
Markus Raupach: Historisch betrachtet hat der Klerus immer wieder zu den unterschiedlichsten Zeiten das Fasten angeordnet. Wurden zum Beispiel die Vorräte knapp, gab es eine Fastenzeit. Waren die klösterlichen Teiche zu voll, durfte kein Fleisch mehr gegessen werden, damit der Fisch verkauft werden konnte usw. Außerdem gab es zwei lange Fastenzeiten mit biblischen Hintergrund: Die Adventsfastenzeit mit Beginn nach St. Martin am 11. November und die österliche Fastenzeit von Aschermittwoch bis Karsamstag.
Nach dem klassischen Grundsatz „Liquidum non frangit ieiunium – Flüssiges bricht das Fasten nicht“ durfte dennoch immer Bier getrunken werden, weswegen zu dieser Zeit besonders kräftige und nahrhafte Biere gebraut wurden, dem Charakter nach Bockbiere. Der Name Bockbier selbst allerdings stammt von der norddeutschen Stadt Einbeck, die im 16. Jahrhundert sehr bekannt für ihr starkes Bier war.
NZ: Wie kam der Begriff dann in den Süden?
Raupach: Die Wittelsbacher holten sich 1614 den dortigen Braumeister, und seitdem gibt es in Bayern „Ainpöckisch“ Bier, das im Volksmund zu Bockbier wurde. Heute gehört ein gutes Bock- oder sogar Doppelbockbier zum guten Ton einer fränkischen Brauerei. Hier können die Brauer experimentieren und ihre Kunst zeigen. Viele bieten mindestens zwei Bockbiere (Advent und Ostern), manche sogar ganzjährige Böcke an.
NZ: Wie erklären Sei sich, dass es über die Jahre bei einem relativ oberfränkischen Phänomen geblieben ist?
Raupach: Das liegt hauptsächlich an zwei Dingen. Da ist erstens die schlichte Vielzahl an Brauereien in Oberfranken und die enge Verbundenheit, die die jeweiligen Bewohner mit ihrer Brauerei und ihrem Bier haben. Die Brauerei ist das Zentrum des sozialen Lebens. Vereine, Familienfeiern, Veranstaltungen, all das findet in der Brauerei statt. Da liegt es natürlich nahe, dass sich ein Brauch, der vieles und viele verbindet, dort besonders gut hält.
Auf der anderen Seite sind die Bockbieranstiche ein Phänomen in den Gebieten Oberfrankens, die früher zum Herrschaftsbereich katholischer Herren gehört haben, allem voran dem Bamberger Fürstbistum. Hier gehörten die Fastenzeiten und ihr Bier zum ganz normalen Alltag.
NZ: So langsam und allmählich diffundiert der Bockbieranstich ja aber nun doch ins protestantisch geprägte Mittelfranken hinunter – wie kommt das? Und haben sie einen lokalen Favoriten?
Raupach: Das ist natürlich eine sehr erfreuliche Tatsache, allerdings gab es historisch gesehen Mittelfranken früher ja gar nicht, und viele heute mittelfränkische Gebiete gehörten beispielsweise zum Bistum Eichstätt oder zum Deutschordensstaat mit seinem Zentrum in Ellingen. Die dortigen Brauereien haben deshalb auch schon eine lange, teils jetzt wieder erweckte fränkische Bockbiertradition.
Deswegen auch meine ersten drei Tipps für dieses Jahr: Der Winterbock der Schlossbrauerei in Ellingen, der Alligator von Hofmühl in Eichstätt und der Weizenbock von Gutmann aus Titting. Die beiden letztgenannten sind eigentlich fränkische Brauereien und wurden in den 1970ern nach Oberbayern zwangsumgesiedelt. Aber natürlich gibt es auch spannende Bockbiere im nördlichen Mittelfranken, zum Beispiel bei der Löwenbräu in Adelsdorf/Neuhaus oder beim Brauhaus Döbler in Bad Windsheim.
Kitzmann mit seinem Weizenbock und Tucher mit dem Bajuvator sind immer ein guter Tipp, wenn Sie nur ein begrenztes Sortiment im Getränkemarkt finden. Als letzten möchte ich noch Georg Tscheuschner erwähnen, der in Gunzenhausen das stärkste Bier der Welt einbraut, ein Eisbock mit 57,7 Prozent namens „Schorschbock“.
NZ: Wohin muss man gehen um diesen Herbst einen möglichst urtümlichen Bockbieranstich zu erleben?
Raupach: Da müsste ich schon wieder eine lange Liste aufzählen. In Bamberg finde ich den Anstich im Spezial sehr schön, weil sich das Geschehen komplett im Brauereihof abspielt und die ganze Familie am werkeln ist. Ähnlich familiär geht es beim Zehendner in Mönchsambach zu. Die backen sogar noch ihr eigenes Brot.
Wer sich weiter nach Norden traut, findet bei der Brauerei Haberstumpf in Trebgast mit Braumeister-Papa und Braumeister-Tochter eine absolute Traumkulisse. Hier sollten Sie besser eine Übernachtung einplanen, es wird sicher ein langer und intensiverer Abend.
NZ: Stellt Bockbier einen Biersomelier vor eine besondere Herauisforderung, oder ist sofort klar, was man da auf der Zunge hat?
Raupach: Wir Sommeliers fangen ja beim Verkosten sowieso mit den Augen an. Und da erkennt man ein Bockbier sofort. Durch den höheren Alkoholgehalt „klebt“ es am Glas, und dadurch weiß ich gleich, was Sache ist. Außerdem haben klassische Bockbiere auch besondere Aromen: Dörrobst und Rosinen beim Dunklen Bock, Honignoten beim Hellen Bock und ganz intensive Bananenaromen beim Weizenbock. Das kann auch jeder „normale“ Biertrinker leicht feststellen.
An dieser Stelle möchte ich auch gerne noch einen Tipp geben: Trinken Sie das Bockbier nicht zu kalt –bei etwa zwölf Grad - und aus einem schönen Verkostungsglas – etwa ein Weinglas. Das bringt die Aromen am Besten zur Geltung.
NZ: Haben sie einen Tipp für den Tag nach dem Bockbieranstich?
Raupach: Am besten schon am Tag des Anstiches immer gut Wasser trinken, auch nachts, bevor man dann ins Bett geht, und am nächsten Morgen wieder. Das hilft sehr gut gegen die üblichen Nebenwirkungen. Eine gute Grundlage schadet natürlich auch nicht, da haben wir Franken ja viel zu bieten. Versuchen Sie auf jeden Fall, morgens gleich einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen, das bringt die Lebensgeister wieder in Fahrt.
Alle Termine finden Sie übrigens bei Bierland Oberfranken unter www.bockbieranstiche.de.
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