22-Jährige fühlte sich allein gelassen

Würzburgerin gründet Selbsthilfegruppe für Angehörige von Corona-Toten

Hans Böller

Redakteur der Nürnberger Nachrichten

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9.8.2021, 05:52 Uhr
Antonia Palmer (links) und Anita Schedel, die Angehörige verloren haben, halten die Kontaktnummer für trauernde Hinterbliebene hoch.

© Gabriele Ingenthron Antonia Palmer (links) und Anita Schedel, die Angehörige verloren haben, halten die Kontaktnummer für trauernde Hinterbliebene hoch.

Ihr Vater, erzählt Antonia Palmer, sei ein fröhlicher, optimistischer Mensch gewesen. "Er hat geschwärmt vom Leben, davon, wie schön das neue Jahr wieder werden wird", erzählt sie. Das war in der Adventszeit, die Palmers freuten sich auf Weihnachten. Am 30. Januar 2021 war Cornelius Palmer tot, gestorben an einer schweren Covid-19-Erkrankung. Der sozial engagierte Unternehmer aus Würzburg, Gründer und Inhaber eines mittelständischen technologischen Betriebs, wurde nur 57 Jahre alt.

"Ein Schock", erzählt seine Tochter Antonia, sei das gewesen, an einen ihrer ersten Gedanken erinnert sie sich genau, es war ein schrecklicher. "Ich habe gedacht, ich könnte ihn beim Besuch zu Weihnachten angesteckt haben." Die Familie hatte sich sehr vorsichtig verhalten und, wie Antonia Palmer erzählt, die Pandemie sehr ernst genommen. Sie war nicht infiziert, der PCR-Test fiel negativ aus, sie ließ sich noch auf Antikörper testen, "ich musste einfach sicher sein, dass ich nicht die Überträgerin war".

Letzte Besuche im Krankenhaus

Aus der Quarantäne heraus schrieb sie einen Brief an ihren Vater, "keinen Abschiedsbrief", wie sie sagt, "es ging ihm schlecht, aber wir waren voller Hoffnung, dass er gesund wird". Später durfte sie ihn zweimal im Krankenhaus besuchen. Am Tag, als er aus dem Koma aufgeweckt werden sollte, "als er ein bisschen über den Berg zu sein schien", wie Antonia Palmer erzählt, zog sich Cornelius Palmer eine Sepsis zu. "Man konnte ihm nicht mehr helfen", sagt die Tochter.



Antonia Palmer ist 22 Jahre alt und Studentin an der Würzburger Universität, wer ihr zuhört, lernt einen reflektierten, offenen und herzlichen Menschen kennen. Sie wirkt, wenn man das so sagen darf, auf beeindruckende Weise gefasst und tapfer. "Aber in meinem Alter hat man wenig Bezug zum Tod", sagt sie, "auch im Freundeskreis nicht."

Gesten von lieben Menschen

Sie hat viel Trost erfahren dürfen, den Brief an den Vater brachte eine Freundin in die Klinik, "liebe Menschen waren für uns da", erzählt sie, mit Worten, Gesten, Aufmerksamkeiten. Während der Quarantäne standen manchmal Blumen vor der Tür, "das gibt Kraft", sagt Antonia Palmer, "aber es ist unheimlich schwer, sich in so eine Lage, in der ich nach dem Tod meines Vaters war, hineinzuversetzen".

Der Schock dieses jähen Todes, die Allgegenwärtigkeit der Corona-Pandemie, manchmal auch die Wut – "die Querdenker-Demonstrationen, die Corona-Leugner, da braucht man viel Geduld", sagt sie. Antonia Palmer suchte einen Halt, sie suchte nach Menschen, denen es ähnlich gehen könnte, nach "Anregungen für die Trauerarbeit", wie sie sagt. Sie fand – "nichts, das hat mich am meisten überrascht, es gab gar nichts, keine einzige Trauergruppe", erzählt sie.

"Es gab nichts"

Antonia Palmer machte sich selbst auf die Suche nach Betroffenen. Die Selbsthilfekoordination Bayern, ein Netzwerk zur landesweiten Unterstützung der Selbsthilfe im Gesundheits- und Sozialbereich, half ihr dabei. Am 5. Mai fand, digital, der erste Austausch statt, Antonia Palmer hatte die erste Selbsthilfegruppe für Angehörige von Opfern der Corona-Pandemie in Deutschland gegründet.



Die Gruppe wuchs schnell, Menschen aller Altersgruppen schlossen sich an. Es geht weniger um konkrete Ratschläge, es geht ums Reden, Zuhören. Trauer, sagt Antonia Palmer, "ist ein sehr individueller Prozess", jeder suche seinen Weg, "einen Weg, das Beste daraus zu machen und gut wieder ins Leben zurückzufinden".

Begegnung ist Heilung

Aus der Initiative der Studentin Antonia Palmer wird nun ein bayernweites Netzwerk, unterstützt von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. "Die Kraft liegt im Austausch, und Heilung liegt in der Begegnung mit Menschen", sagte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bei einem Pressegespräch über die Initiative in Weiden in der Oberpfalz, einer vom Virus wiederholt besonders heimgesuchten Region.

Wie Antonia Palmer war auch Anita Schedel aus Passau dabei, deren Ehemann im April 2020 im Alter von 59 Jahren an Covid-19 verstorben war. Ein Jahr später, während der zentralen Gedenkfeier für die Toten mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin, fand sie berührende Worte. Sie dürfe "Hinterbliebenen, die allein gelassen sind mit ihrer Trauer, eine Stimme geben", sagte Anita Schedel. Sie wird nun in München eine Selbsthilfegruppe gründen. Er sei beeindruckt und überrascht "von der positiven Energie, die da aus dem Leid entstanden ist", sagte Bedford-Strohm.

Akzeptieren, was passiert ist

Ob sie ein besonders starker Mensch ist? "Man stürzt sich in eine Aufgabe und versucht zu akzeptieren, was passiert ist", sagt Antonia Palmer, "aber es ist oft schwierig, über traurige Schicksale zu reden." Manchmal fühle sie sich "überfordert von den vielen Rückmeldungen, dann lasse ich die Mails auch einmal ruhen, um den Kopf frei zu bekommen".

Mehr als 91.000 Menschen sind in Deutschland mit einer Covid-Infektion gestorben. Antonia Palmer ist dankbar darum, den Austausch mit anderen Betroffenen gefunden zu haben.

Menschen, die Hilfe in der Trauer suchen, erhalten unter der zentralen Telefonnummer 0931/20781642 Rat.

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