Lederfreies Interieur
Abgeledert: Autos sollen vegan werden
6.11.2021, 13:28 Uhr
Jahrzehntelang ist es ein Statussymbol gewesen: Wer es sich leisten konnte, stattete sein Auto mit feinem Leder aus. Das aber war, bevor die Fahrzeuge begannen, elektrisch zu fahren – und eine vegetarische beziehungsweise vegane Lebensweise immer weitere Verbreitung fand. Laut Meinungsforschungsinstitut Statista ordnen sich deutschlandweit rund 7,5 Millionen Menschen als Vegetarier ein.
Der Elektro- und der Vegan-Trend treffen sich auf einer Öko-Ebene. Denn es sind gerade die Käufer der neuen Elektromobile, die besonderen Wert auf Nachhaltigkeit legen. Tierfleisch kommt vielen nicht auf den Teller und Tierhaut nicht ins Auto. Wenn DS, die Luxusmarke aus dem Stellantis-Konzern, damit wirbt, im Topmodell DS9 nur mückenstichfreies Leder von bayerischen Hochland-Rindern zu verarbeiten, erfasst besagte Klientel das Grausen.
Tierwohl im Blick
Anderen Herstellern ist das innere Tierwohl-Label jener Kundschaft, die für die schöne, schicke – und oft auch teure - neue Elektrowelt begeistert werden soll, aber sehr bewusst. BMW bezieht die Sitze seines neuen elektrischen Luxus-SUVs iX zwar noch mit Leder, bietet aber „für jede Ausstattungsvariante selbstverständlich eine Alternative“ an, wie Projektleiter Johann Kistler betont. Cupra verbannt Leder nahezu komplett aus seinem Stromer Born, nur am Lenkrad darf es vorläufig noch bleiben. „Unsere Kunden sind jung“, sagt Francesca Sangalli, die den Bereich „Color and Trim“ leitet, „für sie ist Leder kein Code für Sportlichkeit mehr“.
Volvo hat mit der Selbstbeschränkung seiner Modelle auf 180 km/h bereits ungewöhnliche Wege befahren, die Elektriker XC40 Recharge und C40 Recharge präsentieren sich nun auch komplett abgeledert. „Als fortschrittlicher Automobilhersteller müssen wir uns mit allen Bereichen der Nachhaltigkeit befassen, nicht nur mit den CO2-Emissionen“, erklärt Stuart Templar, bei Volvo der Mann für Resourcenschonung. Eine verantwortungsvolle Beschaffung, auch unter Achtung des Tierschutzes, sei ein „wichtiger Teil dieser Arbeit“.
Recycelte PET-Flaschen
Auf Jute oder gar Plastik muss freilich kein Fahrgast der hippen neuen Stromer Platz nehmen. Die Alternativen zu Leder sind allesamt Hightech-Materialien und als solche mindestens ebenso renommierfähig. Nicht nur Cupra verwendet Dinamica, einen Microfaserstoff, der ursprünglich – da rutschfest – für den Motorsport entwickelt wurde und ähnliche Eigenschaften wie Alcantara besitzt, aber aus Recyclingmaterial gewonnen wird. Wie im Cupra Born ist auch im Fiat 500E Seaqual zu finden, das vorher als Meeresplastik in den Wellen geschwappt ist. Und Volvo hat Nordico entwickelt, ein Material, das unter anderem auf recycelten PET-Flaschen und Korken aus der Weinindustrie basiert.
Andere Lösungsansätze führen hin zu einem lederähnlichen Stoff aus Ananasblättern, den dessen spanische Erfinderin Carmen Hijosa "Piñatex" getauft hat. Oder zum Bio-Leder aus Pilzgeflecht des kalifornischen Start-ups MycoWorks; das Material ist vom Luxuslabel Hermès bereits zu einer Tasche verarbeitet worden.
Auch Wolle soll weichen
Der nächste Schritt führt hin zum Auto mit komplett veganer Innenausstattung. Was das bedeutet, definiert die Tierschutzorganisation Peta dahingehend, dass sämtliche Oberflächen von den Sitzen über den Schaltknauf bis hin zur Innenverkleidung aus Stoff oder Kunstleder gefertigt sein müssen und tierische Materialien wie Leder und Wolle überhaupt nicht zum Einsatz gelangen dürfen. Vorerst beteuert etwa Volvo, nur Lieferanten zu dulden, die für eine verantwortungsvolle Beschaffung zertifiziert worden sind. Tierischen Ursprungs sind aber auch Restprodukte, die sich in Kunst-, Kleb- und Schmierstoffen finden beziehungsweise (als Prozesschemikalie) bei deren Herstellung verwendet werden. So man die Sache mit dem veganen Auto Ernst nimmt, müssten auch sie ersetzt werden.
Auf einer Liste im Internet (Stand Januar 2021) nennt Peta Fahrzeuge mit veganer Innenausstattung. Um darauf Erwähnung zu finden, sind freilich weder ein hoher Preis noch Elektroantrieb vonnöten. Das beweist der Dacia Duster – der zwar nicht auf tierische Materialien setzt, dafür aber umso mehr auf kostengünstigen Kunststoff.
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