Horrorfilm

Das Grauen ist überall: Eine kleine Geschichte des Gruselfilms

31.10.2021, 19:56 Uhr
Das Grauen ist überall: Eine kleine Geschichte des Gruselfilms

© imago images/Mary Evans

Mit „Halloween“ fängt alles an. Das sei ihr Lieblingshorrorfilm, erklärt das Teen-Girl Casey dem unbekannten Anrufer am Telefon. Casey erwartet ihren Freund, um im Fernsehen Horror zu gucken und Popcorn zu essen. Nur wenige Einstellungen später ist sie tot. Mit einem Messer im Herzen baumelt sie von einem Baum. So beginnt „Scream“, der Film von Wes Craven aus dem Jahr 1996.

Das Grauen ist überall: Eine kleine Geschichte des Gruselfilms

© Universal Pictures International / Nick Castle

Mit „Halloween“ fing 1978 vieles an. Damals erwachte eine neue Lust am Horror im Kino und setzt sich seither in Wellen fort. John Carpenters gruselige Stalker-Geschichte machte den Zuschauer zum Mittäter, indem die Kamera den Blick des Serienkillers übernahm. Der Zuschauer blickte quasi mit Mörderaugen auf die Opfer. Das Grauen sprang nicht irgendwo von Außerhalb ins Bild – was in der Filmgeschichte ein beliebter Effekt war. Es war mitten im Bild – dauernd. Und es atmete heiser vor sich hin.

1978 war Halloween in Deutschland nahezu unbekannt als Fest der Erpressung von Süßigkeiten im Gespensterkostüm oder als Nacht für Partys in monströser Verkleidung. Ein paar Fans von Horrorstorys hatten bei amerikanischen Autoren wie Robert Bloch oder Ray Bradbury womöglich etwas gelesen, was amerikanisches Brauchtum mit irischen Wurzeln betraf oder gar über den bunten Tag der Toten in Mexiko. Doch erst Michael Myers, der irre Schlitzer der Film-Serie um „Halloween“, die 2021 auf zwölf Produktionen angewachsen ist und im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll, machte die Geister-Nacht hier bekannt.

Regisseur John Carpenter hatte Myers mit einem Requisit ausgestattet, das dem Kinopublikum mit einer Vorliebe für Schock-Effekte nicht fremd war. Der Killer attackierte seine Opfer mit einem riesigen Schlachtermesser. Mit so einem Instrument war im Jahr 1960 eine gewisse Marion Crane auf der Kinoleinwand abgeschlachtet worden – in Schwarzweiß und unter der Dusche. Die Szene aus Alfred Hitchcocks Thriller „Psycho“ war seither ikonisch und galt als eine der grausamsten in der Filmgeschichte.

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„Psycho“ und „Halloween“ waren Blockbuster. Die Menschen geben offensichtlich gern Geld aus, um sich zu fürchten. Das hat das Show-Geschäft früh erkannt.

Und es begriff schnell, wovor sich Menschen am liebsten gruseln: vor dem Fremden, dem Unbekannten, vor dem, was wir unheimlich nennen. Vor missgestalteten Kreaturen zum Beispiel.

Schon im alten Rom hielten sich Aristokraten solche armen Wesen zum schaudernden Vergnügen. Im Mittelalter gab es dann die ersten Freak-Shows auf Jahrmärkten fürs Volk. Und unsterbliche Filme zu dem Thema wurden auch gedreht, sei es Tod Brownings „Freaks“ (1932) oder „Elephant Man“ von David Lynch (1980).

Das Grauen ist überall: Eine kleine Geschichte des Gruselfilms

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Unsere Volksmärchen wimmeln von „Freaks“. Riesen und Zwerge sind dort reichlich vertreten, ebenso verkrüppelte Frauen, die schnell zu Hexen werden.

Besonders prominent bekanntlich in „Hänsel und Gretel“, einer Geschichte über viele animalische Urängste: Ausgesetzt werden, sich Verlaufen in unbekannten Wäldern, von Hexen missbraucht werden. Das Kino ist voll von solchen Motiven.

Steinzeitliche Instinkte

„The Blair Witch Project“ (1999) bindet die Desorientierung und den Hexenwahn zusammen. Natur ist Bedrohung. Dort heulen Werwölfe. Fischwesen hausen in Flüssen („Der Schrecken vom Amazonas“, 1954). Wahnsinnige gehen auf Menschenjagd („Die Insel der verlorenen Seelen“, 1933). Man nennt es Atavismus, wenn die steinzeitlichen Instinkte über uns kommen. Im Kino setzen wir uns ihnen absichtsvoll aus.

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© imago images/Hollywood Photo Archive

Wahrscheinlich hat man sich an den Feuerstellen der Steinzeit auch schon Gruselgeschichten erzählt. Am heimischen Feuer war es hell. Außerhalb des Flammenkreises war es unheimlich. Dort herrschten Wesen, die es donnern, blitzen und stürmen ließen. Dort war das Böse in Gestalt von Raubtieren, Schlangen und plötzlichen Abgründen. Der Horror war dort. Und den will man mit den jeweils aktuellen Medien immer noch heraufbeschwören. Aus reinem Vergnügen, weil man so aufgeklärt ist, oder als Mutprobe. inwieweit man dem Atavismus weiterhin erliegt.

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