Das sollten Sie lesen!
Das sollten Sie lesen! Unsere Buchtipps im Juni
10 Bilder 27.5.2021, 18:06 UhrStacheliger Nieselregen ist ein bezeichnendes Wort für die Gefühlswetterlagen im neuen Kriminalroman von Friedrich Ani: Das kalte Grauen illusionsloser Münchner Vorstadtexistenzen hat in "Letzte Ehre" präzise geschilderte Auftritte: Eine 17-Jährige ist verschwunden. Die Freundin der Komissarin Fariza Nasri liegt schwer misshandelt in der Wohnung. Wie schwarze Magneten ziehen Opfer und Täter einander unglücklich an in diesem Buch, das von Missbrauch erzählt. Einen starken, menschlichen Auftritt verschafft Ani seiner Komissarin Nasri selbst: 58 Jahre alt, nicht Mutter, nicht Gattin, nicht Geliebte, unter "der Bürde des Gewichts" leidend blickt sie jeden Morgen im Spiegel auf eine Frau, "der ich nicht traue". Aufwühlend macht Ani das Leben von nebenan zu Literatur, die den Namen verdient. (Suhrkamp, 22 Euro) Christian Mückl © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid
"Das Herz", eines der schmerzensreichen Gemälde von Frida Kahlo, hing im Wohnzimmer der Familie. Was Marc Petitjean aber nicht wusste: Sein Vater Michel besaß das Bild, weil er mit der mexikanischen Malerin eine Liebesaffäre hatte, damals in Paris, im Frühjahr 1939. Es wusste auch sonst keiner, das macht diese Recherche doppelt spannend. Sie ist ebenso ein Roman, denn von der zwar kurzen, aber leidenschaftlichen Beziehung in den freizügigen Surrealisten-Kreisen, wo Kahlo als Künstlerin entdeckt wurde, gibt es kaum Zeugnisse. Eine schöne, erotische, melancholische Enthüllung! (Schirmer/Graf, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Schirmer/Graf/Montage: Sabine Schmid
Wie ist das, wenn man sein gewohntes Leben hinter sich lässt, um anderswo einen Neuanfang zu wagen? Wie sind die frischen Eindrücke und Beziehungen mit den Erinnerungen und Gewohnheiten in Einklang zu bringen? Die namenlose Frau in Judith Hermanns Roman "Daheim" hat sich dafür entschieden, ihren Mann zu verlassen und in den Norden ans Meer zu ziehen. Dort knüpft sie eine vorsichtige Freundschaft, wagt sogar eine neue Liebesbeziehung. Wird sie Wurzeln schlagen und bleiben oder weiterziehen? Sie hat die Wahl. Hermann erzählt ruhig und mit klarer Poesie von den Punkten, an denen sich Wege gabeln und man entscheiden muss, welche Richtung man einschlagen will. Ein unaufgeregtes Buch, das trotzdem fesselt. (S. Fischer, 21 Euro) Birgit Nüchterlein © S.Fischer/Montage: Sabine Schmid
"Margherita und der Mond", das neue Buch des italienischen Erfolgsautors Andrea de Carlo, hätte auch "Margherita und die Männer" heißen können - denn um die geht es in dieser unterhaltsamen Ferienlektüre. Margherita begleitet ihren Vater - einen Familien-Despoten - zu einer Kochsendung nach Mailand. Der ehemalige Spitzenkoch will die Gelegenheit nutzen, um seinen Ruf nach diversen Pleiten aufzupolieren. Eine Blamage, aber so lernt die 40-jährige Margherita einen Mann kennen, der das genaue Gegenteil ist: ein Magier aus Frankreich, der alle Gedanken Margheritas lesen kann. Ist er der richtige? Bis zum Ende wird viel gekocht und viel gezweifelt. Aber es lohnt sich. (Diogenes, 22 Euro) Christian Ebinger © Diogenes/Montage: Sabine Schmid
Und wie autobiografisch ist jetzt das Ganze? Schriftsteller mögen diese Frage nicht so gern, oft geht sie am Ziel vorbei, bitte erst mal die Literatur wirken zu lassen. Genau über dieses Spannungsfeld Autor–Publikum hat die Deutsch-Französin Sylvie Schenk einen raffinierten Kurzroman geschrieben. "Roman d’amour" ist ein Roman im Roman über einen Roman – so weit, so klar? Darin interviewt eine Journalistin eine Schriftstellerin über ihre Neuerscheinung, die dramatisch verlaufende Liebesgeschichte einer Frau mit einem verheirateten Mann. Bald geht es ans Eingemachte, verschwimmen Figuren mit Erinnerungen und, ja, auch Sylvie Schenks Leben… Eine Erzählung übers Lieben, noch viel mehr aber übers Schreiben. (Hanser, 18 Euro) Isabel Lauer © Hanser/Montage: Sabine Schmid
"Eine kurze Geschichte vom Töten" - der Untertitel von Christoph Ransmayrs neuem Roman "Der Fallmeister" ist irritierend und führt doch ins Zentrum des Romans. Ein Langboot stürzt gleich zu Beginn der um 200 Jahre in die Zukunft verlegten Handlung im Wildwasser des Weißen Flusses den Großen Fall hinab. Fünf Menschen sterben. Der Schleusenwärter, Fallmeister genannt, hat offenkundig einen tragischen Fehler begangen. Sein Sohn indes hält ihn für einen Mörder. Er glaubt, der Fallmeister habe das Boot mit voller Absicht in die Katastrophe schlittern lassen. Das Buch reicht vielleicht nicht an Werke wie "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" oder "Der fliegende Berg", ist aber dennoch lesenswert (S. Fischer, 22 Euro). Marco Puschner © S. Fischer/Montage: Sabine Schmid
Irgendwann bekommt Juan Gabriel Vasquez den Literaturnobelpreis. Hoffen wir zumindest, denn alles, was der Kolumbianer schreibt, ist sowohl vom Stoff als auch stilistisch auf allerhöchstem Niveau. Es geht da viel um die blutige Geschichte seiner Heimat und die Auslöschung aller guten Geister, von Freiheit und Fortschritt, doch oft indirekt, raffiniert gespiegelt und an autobiografischen Anekdoten aufgezogen. In "Lieder für die Feuersbrunst" erzählt er zum Beispiel von seiner Zeit in Paris, als er Statist bei Roman Polanski war... Ist Kunst nicht eine einzige Täuschung? (Schöffling, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Schöffling/Montage: Sabine Schmid
Kann, darf man in ein paar Zeilen einen 1000-seitigen Roman würdigen? Wenn er so gut ist wie Joyce Carol Oates nun wiederveröffentlichtes Buch "Blond" über das Leben der Marilyn Monroe, dann nimmt man sich selbst gerne zurück und spricht ganz einfach eine wärmste Empfehlung aus und wünscht viel Zeit für diese großartige und monumentale biografische Erzählung. Das Leben des Superstars von klein auf, der moralische Moloch Hollywood, das Begehren der Männer und die Zerrissenheit einer Frau, die missverstanden und ausgenützt wurde, der einsame Tod: Oates hat einen gnadenlosen, durchaus feministischen Blick auf die Wirklichkeit und eine tiefe Sympathie für die Ikone (ecco Verlag, 26 Euro). Bernd Noack © Ecco Verlag/Montage: Sabine Schmid
Oberschicht und Unterwelt gehen im Karst eine geheimnisvolle Verbindung ein. Und Jan Röhnert ist ein leidenschaftlicher Liebhaber dieses Gesteins, der sich gerne in der wilden Landschaften der Steinbrüche seiner Heimat Thüringen, aber auch in Rilkes Küstenkarst bei Triest oder dem französischen Zentralmassiv herumtreibt. In Judith Schalanskys erlesener Buch-Serie der "Naturkunden" kommt man durch Röhnerts Buch "Vom Gehen im Karst" (Naturkunden, 28,80 Euro) einer Landschaft auf die Schliche, die schon Eisenbahnen verschluckt hat und dank ihren Höhlen Flüchtenden ein Tor in die Freiheit war. Gehen lehrt hier Sehen. Christian Mückl © Verlag Matthes & Seitz/Montage: Sabine Schmid
Scheitern kann tragisch, aber auch sehr komisch sein. Ohne Schadenfreude indes setzt sich die belgische Autorin Charlotte van den Broeck in "Wagnisse" mit den Sehnsüchten, der Hybris und den verunglückten Arbeiten von dreizehn Architekten auseinander, die bauten – und als Bankrotteure in ihrem Metier zweifelhaften Ruhm erlangten. Sehr persönlich ist Broecks Spuren- und Trümmersuche in Vergangenheit und Gegenwart, und sie findet Schiefes, Bröckelndes, Nutzloses. Ein bisschen rehabilitieren aber will sie die genialen Hoch- und Breitbaumeister natürlich auch, von denen einige unter ihren einstürzenden Neubauten gar begraben wurden (Rowohlt, 26 Euro). Bernd Noack © Rowohlt/Montage: Sabine Schmid