"Die Chemie stimmt": Tatort-Kommissarin Dagmar Manzel kommt gern nach Franken
24.3.2021, 10:00 UhrMan möchte es ihr ja wünschen: Dass Franken inzwischen so etwas wie eine zweite Heimat für sie ist. Die Antwort auf die Frage aber ist eindeutig und kommt spitz wie aus einer Spielzeugpistole geschossen: "Ick bin Berliner und bleibe Berliner." Sagt Dagmar Manzel, die als prominent importierte Kommissarin dem hiesigen "Tatort" eine Beliebtheit verschafft hat, die weit über die Region hinaus geht.Und die ja bereits seit 2014 jedes Jahr vier Wochen nach Franken kommt: bisher nach Nürnberg, Bamberg und Bayreuth. Aber eben um zu arbeiten.
"Wo ist Mike?", Fall Nummer sieben mit ihr als patente, in sich ruhende Paula Ringelhahn – den Namen hat sie selbst gewählt, und hat er nicht etwas wunderbar Kindliches? –, wird im Mai ausgestrahlt. Da gibt's dann, bei aller Zurückhaltung, die die Rolle auszeichnet, sogar ein Techtelmechtel mit Sylvester Groth, wie Manzel verrät. Und Fall Nummer acht – der wird gerade gedreht. "Ich mach das wirklich wahnsinnig gerne. Und weil es nur einmal pro Jahr ist, haben wir auch die Zeit, alles gründlich vorzubereiten und über die Drehbücher zu sprechen", sagt sie. Das ist ihr sehr wichtig.
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Auch dass es um Fälle geht und nicht (wie so oft) um die Ermittler – die man eben nur über die Fälle kennenlernt. Ohne kranke Eltern also, missratene Kinder oder einen anderen Haufen psychischer Probleme.
Die Chemie stimmt
"Ach, ich freu mich jedes Mal darauf herzukommen", sagt sie. Das liegt nicht zuletzt an Kollegen wie dem jungen Fabian Hinrichs (der lange an der Berliner Volksbühne spielte) und ortsansässigen Kräften wie Matthias Egersdörfer. "Wir sind ein gutes Team, finde ich – eine Truppe, bei der die Chemie stimmt." Sie mag es eben fair und ohne Revierkämpfe: "Wenn ich wo Ellenbogen spüre, bin ich so schnell weg wie Schmidts Katze!" Da lacht sie.
Es liegt aber auch an den Einheimischen, dass sie jetzt – bis Ende März – wieder genüsslich in Nürnberg weilt. Wie dem Taxifahrer, der ihr beim zweiten Treffen doch tatsächlich gleich einen Kasten Bier schenkte. "Grüner, die kleinen Fläschchen – das mag ich ganz besonders. Ich bin ja Biertrinkerin, und da ist Franken natürlich attraktiv..."
Dass Dagmar Manzel sonst in Brandenburg, nördlich von Berlin lebt, muss kein Entzugsgrund sein: "Da trinke ich auch meine Grünerla!", sagt sie verschmitzt und kichert leise unter den blonden Fransen. Gut, dass auch in Corona-Zeiten eine gewisse Grundversorgung funktioniert.
Im "Hotel Prinzregent" an der Wöhrder Wiese, wo sie logiert und sich ausgesprochen wohl fühlt, wie sie betont ("Ich genieße die Stille hier, gleich geh' ich eine Runde laufen"), gibt es zum mittäglichen Gespräch aber doch lieber Kaffee.
Heute hat sie ja drehfrei, da kann man ohne Druck plaudern. Auch über Dinge, die ihr persönlich am Herzen liegen. So wie ihre intimen Liederabende ("Sehnsucht"), denn sie singt ja auch gerne und mit der Freude der Spätberufenen. Oder die stets ausverkauften Arbeiten an der Komischen Oper mit Barrie Kosky, der die freche Berliner Operette der 20er Jahre mit ihr neu und genialisch zum Leben erweckt hat.
Und dann sind da ihre eigenen, literarisch ausgerichteten Projekte, die für sie in Zeiten geschlossener Theater ein wichtiger Ausgleich sind: zum Beispiel die dänische Autorin Tove Ditlevsen und ihre bei uns noch kaum bekannten Bücher. Drei davon erschienen soeben auf Deutsch, sie gehören – so schmal sie sind – zu ihren wichtigsten.
"Kindheit", "Jugend" und "Abhängigkeit" nennt sich die Trilogie, mit der die in ihrer Heimat überaus populäre Ditlevsen (1917–1976) bereits Ende der 60er Jahre ein Musterbeispiel autofiktionalen Schreibens vorlegte: eine Mischung aus Autobiografie also und Roman. Alle drei hat Dagmar Manzel nun als Hörbücher eingesprochen.
"Ich habe den ersten Satz gelesen und war sofort überzeugt. Das war letztes Jahr, als es mit Corona anfing und ich die Chance hatte, daheim zu arbeiten." Weil der Audio Verlag so glücklich war über ihr letztes Hörbuch zu Olga Tokarczuk, der polnischen Nobelpreisträgerin, hat man ihr auch die Ditlevsen-Bände angeboten.
"Das war eine echte Entdeckung", schwärmt Manzel. Und verhehlt nicht, wie emotional sie die Erinnerungen der Autorin an ihre erbärmliche Kinderzeit im Kopenhagen der 20er und 30er Jahre gefordert, ja mitgenommen haben – trist, wie sie nun mal sind.
"Aber dann die Schärfe und Lakonie dieser Sicht auf das eigene Leben – unfassbar! Man merkt, wie die Sprache zum Schutzschild wird, um das alles auszuhalten. Die Hassliebe zur Mutter, das proletarische Milieu, die Armut und Not..."
Ohne Zahnbürste und richtiges Bett
Nicht mal ein richtiges Bett hatte Tove im engen Mietshaus, nicht mal eine Zahnbürste. Der Vater war Heizer und oft arbeitslos, ein verzweifelter Sozialist, meist auf dem Sofa. Als sie Diphtherie bekommt und ins Krankenhaus muss, stellen die Ärzte fest, dass Tove unterernährt ist. Die Nachbarn sind keine Hilfe: Sie saufen nur, schreien und schlagen sich. Fräulein Ketty nebenan geht anschaffen, damit es reicht.
"Das kann man gar nicht eins-zu- eins sprechen, da muss man eine Distanz reinbringen", meint Manzel und tupft sich die Augenwinkel. Bis zu zehn Mal las sie die Texte vorher, um den richtigen Zugang und Tonfall zu finden. "So klar und hart ist das erzählt, ohne sich zu schonen. Das hat für mich eine ungeheure Kraft, einen Sog."
Tove Ditlevsen schreibt schlicht und unsentimental, strikt aus kindlicher Sicht; aber immer wieder mit Bildern, die so poetisch sind wie die traurigen Märchen von Andersen. "Die Kindheit ist lang und schmal wie ein Sarg", heißt es an einer Stelle, "sie winselt wie ein kleines Tier, das man in den Keller gesperrt und vergessen hat."
Das Mädchen leidet an Einsamkeit und Kälte, hat als Bohnenstange wenig Freunde, spielt das Dummchen. In sich aber hört sie Wörter, schöne Wörter, die sich mit Macht zu Sätzen bilden und hinauswollen. Tove will Dichterin werden, das weiß sie bald. Und dann sagt der Vater, den sie doch eigentlich liebt, den einen, vernichtenden Satz: Frauen werden keine Dichter.
In "Jugend" beweist sie ihm das Gegenteil. Aus dem heimlich geführten Poesiealbum wird ein Tagebuch, das sich mit ersten Versen füllt, noch ganz romantisch. Der Bruder findet es – und lacht sie aus. Aber Tove gibt nicht auf. Ein Gedicht wird veröffentlicht, ein Glück – und den viel älteren Herausgeber der Zeitschrift nimmt sie gleich als Mann.
Nicht die beste Wahl, wie der dritte Band zeigt. Zur ehelichen Misere, zu Scheidung, neuen Männern, Kindern und Krisen, kommt dann auch noch "Abhängigkeit" – von Schmerzmitteln – und der völlige Rückzug in sich selbst. Die Sucht nach Spritzen und Pillen beherrscht sie völlig.
Ditlevsen wurde, und das sehr früh, zur erfolgreichen Schriftstellerin – und sah sich am Ende doch als gescheitert an. Wie in ihrem allerletzten Roman vorab beschrieben, nahm sie sich, mit 58 Jahren, das Leben.
Genau und komisch
Und doch ist die Lektüre ihrer Werke kein Leidensweg – immer wieder überrascht sie mit Komik, mit beißend genauen Beobachtungen ihrer Umgebung (die Vermieterin, die Hitler anhimmelt) oder dem fast schon sketchhaften Versuch, als Schauspielerin in einem Amateurtheater mitzumachen. Prompt bläst ihr, kostümiert als alte Frau, ein Luftzug die graue Perücke herunter...
Dagmar Manzel gibt dem Ganzen einen bedächtigen, dezent Wärme schaffenden Klang, der einen daran erinnert, wie wunderbar sie – man höre die CD "Menschenskind" – die anrührenden Lieder von Friedrich Hollaender singen kann: "Wenn ick mal tot bin" zum Beispiel, die Klage eines armen Mädchens, so naiv und auch wieder nicht, umwerfend allemal. Berlin wie bei Zille: Träume aus dem Hinterhof, in den immerhin der Mond scheint.
Das ist auch der Nährboden, aus dem die gebürtige Berlinerin (und für lange Jahre eine der Primadonnen am Deutschen Theater) immer wieder ihre Anregungen saugt. Und sogar Bühnenmaterial. Sie sammelt richtiggehend Sprüche und Redewendungen, wie man sie so nur in der deutschen Hauptstadt zu hören kriegt: "Ick hau dir an die Wand, bis de auf der andern Seite als Relief erscheinst!"
Ein Satz, den sie – zudem mit Affenzahn gesprochen – dann gleich in die Operette "Die Perlen der Cleopatra" einbauen kann, wenn diese wieder gespielt wird. Ein Dauerbrenner an der Komischen Oper, in dem Dagmar Manzel der ägyptischen Herrscherin nicht nur einen Hauch urbaner Frivolität verleiht: "Det muss ne echte Schlunze sein." Mit Katze Ingeborg – einer Handpuppe – wird feste und ausführlich berlinert ("Die Leute lieben das...") und am Ende gibt's Dosenbier mit Marc Anton.
Beim Dialekt hält sie sich im "Tatort" dagegen lieber zurück. "Und auf Fränkisch, da sag ich jarnischt!" Besser so – dafür gibt es ja auch einen waschechten Egersdörfer!
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