Gelungenes Festival-Debüt in Bayreuth
13.9.2020, 18:20 Uhr"Wir sind froh, dass wir das Festival überhaupt durchziehen konnten." Man sieht Max Emanuel Cencic die Anstrengungen der letzten zehn Tage an. An fünf Abenden stand der Countertenor und Chef von "Bayreuth Baroque" selbst in sehr anspruchsvollen und vor allem ausgedehnten Partien auf der Bühne. Das neue Musikfest, das ganz bewusst den zeitlichen Anschluss zu den Richard-Wagner-Festspielen auf dem Grünen Hügel suchte, versteht sich dezidiert als Opernfestival.
Aber gerade die beiden Ausgrabungen "Carlo il Calvo" (Karl der Kahle) von Nicola Antonio Porpora und das halbszenisch gezeigte Dramma per musica "Gismondo, Rè di Polonia" (Sigismund, König von Polen) von Leonardo Vinci konnten von ihrer Dramaturgie und ihrem Sujet her nicht untermauern, weshalb sie eine bühnentaugliche Relevanz in unseren Tagen haben sollten.
Zwei Galas in Folge
Keine Frage: Die Musik von Porpora und Vinci ist virtuos, ergeht sich intensiv in barocker Affektenrhetorik, aber sie mag emotional nicht so unmittelbar zu fesseln wie die Musikdramatik der — zugegeben — ausreichend approbierten Kollegen Claudio Monteverdi, Jean Philippe Rameau, Johann Adolf Hasse oder Georg Friedrich Händel. Das zeigte der direkte Vergleich. Denn die beiden US-Stars Joyce DiDonato und Vivica Genaux präsentierten in ihren Solo-Recitals eben die führenden Geister der Epoche vom Ausklang der Renaissance bis zum beginnenden Sturm und Drang, von dem ja auch ein Christoph Willibald Gluck noch sehr prägend erfasst wurde.
Vivica Genaux legte sich zusammen mit der unter Wolfgang Katschner gewohnt subtil begleitenden Berliner "lautten compagney" für Johann Adolf Hasse (1699-1783) ins Zeug. Den gebürtigen Hamburger hat heute kaum noch einer auf dem Schirm. In seiner Glanzzeit zwischen 1730 und 1760 beherrschte er die Opernspielpläne in ganz Europa — noch vor Händel und Gluck. In Italien verlieh man ihm schon in jungen Jahren den Ehrentitel "Il divino Sassone" (der göttliche Sachse), wo doch Händel "nur" auf "il caro Sassone" (der geliebte Sachse) gekommen war.
Hasse, der zu Unrecht Verkannte
Dass man Hasse südlich der Alpen als Sachsen eingemeindete, war fast so etwas wie Weitsicht, denn schließlich wurde er wenig später für 30 Jahre Hofkapellmeister in Dresden. Seine Ehe mit Italiens führender Sopranistin Faustina Bordoni sollte sich auch nicht gerade nachteilig auf Hasses Karriere auswirken.
Sein Einfallsreichtum und seine Klangvariabiltät sind eminent. Darüberhinaus besaß er auch beachtliche sinfonische Qualitäten, die aber hinter seinen 60 Musikdramen, seinen Oratorien und zahlreichen geistlichen Werken verblassen. Mit viel Anmut und Stilempfinden gab Genaux einige Beispiele von Hasses Kunst.
Wie ihre Kollegin Joyce DiDonato gestaltete sie zwei verkürzte Galas, um ein wenig mehr Publikum zu erlauben, im prachtvollen Markgräflichen Opernhaus in die Einheit von Raumarchitektur, Bühnenbau und künstlerischem Willen zur Zeit des Spätbarocks einzutauchen. Aber auch so war es bestürzend, dass solche Weltstars wie übrigens auch der katalanische Meistergambist Jordi Savall in der Stadtkirche ihre großartige Kunstfertigkeit vor Corona-bedingt arg ausgedünnten Reihen präsentieren mussten. Wenn es denn etwas festzuhalten gilt von dieser Premierenausgabe, dann die Tatsache, dass "Bayreuth Baroque" tatsächlich auf Weltniveau mitspielt.
"Wir brauchen Sie"
Joyce DiDonato, die sich am Schluss ihrer Galas direkt an das Publikum wandte (in dem sich u.a. Donna Leon befand), versprach wiederzukommen. "Wir brauchen Sie so sehr, ihre Nähe, ihren Applaus und ihr Mitfühlen", sagte die 51-jährige Sopranistin, die mit sehr viel Piano-Sensibilität einen Bogen von John Dowland bis zu Gluck zog. Ein besonders reizvoller Vergleich: Die nebeneinander gestellten Arien der Cleopatra — einmal von Johann Adolf Hasse, einmal von Händel.
Selbst Jordi Savall, der mit seinen brillanten Mitstreitern Andrew Lawrence-King (auf der barocken Tripelharfe) und Xavier Diaz-Latorre (Theorbe und Gitarre) auftrat, hatte etwas zum Opernthema beizutragen. Das Trio spielte die einleitende Sinfonia aus der allerersten Oper der Musikgeschichte: Emilio de Cavalieris "Rappresentatione di Anima e di Corpa" aus Jahr 1600. Die Drei durchschritten Europa im Sauseschritt, was faktisch derzeit an den Quarantäne-Regeln scheitert. Und spätestens bei Marin Marais‘ im besten Sinn "ver-rückten" Variationen über "Folies d‘Espagne" war der Groll darüber verraucht, dass das neue Festival so viel Bombast in seinen Internet-Auftritt legt. Vielmehr darf es in Hinsicht Erreichbarkeit und Nutzbarkeit des Ticketings, in der Medienarbeit und in seiner Opernwahl noch qualitativ zulegen.
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