Malerei-Ausstellungen
Gerhard Mayer und Sophia Süßmilch zeigen in Nürnberg ihre künstlerischen Positionen
25.02.2023, 18:55 Uhr
Die Pandemie ist vorbei, das Leben in die Kunstwelt zurückgekehrt. Statt in geisterhafter Leere finden Vernissagen nun wieder vor vollem Haus statt. So auch im Defet-Haus, Nürnbergs Anlaufstelle für zeitgenössische Kunst und einstmals Fabrikgebäude des gleichnamigen Pinselherstellers. Von "gefühlt 500" Leuten spricht Petra Weigle vom "Institut für moderne Kunst", das hier seinen Sitz hat und mit der Eröffnung von Sophia Süßmilchs Ausstellung "Das ABC der klugen Entscheidung" für einen Teil dieses Auflaufs am vergangenen Samstag verantwortlich ist.
Der Grund für den anderen Teil des Besucherzustroms ist eine Tür weiter zu finden: in der Galerie von Annette Oechsner, die mit Gerhard Mayer einen einheimischen, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten Künstler ausstellt. "14 von 8 Milliarden" heißt seine Schau. Ölmalerei hier wie dort, doch könnten die Sujets und Ansätze der Künstlerin aus Berlin, aktuelle Trägerin des Marianne-Defet-Malerei-Stipendiums, und ihres Kollegen aus Nürnberg unterschiedlicher kaum sein.
Vor die Linse gelaufen
17 menschliche Antlitze blicken einem beim Rundgang durch die Oechsner Galerie entgegen. Es sind Personen aus Gerhard Mayers näherem Umfeld – darunter seine Ehefrau und die Galeristin Annette Oechsner – sowie Fremde, die dem Künstler gewissermaßen "vor die Linse gelaufen" sind. Von Weitem betrachtet wirken diese Gesichter fast fotorealistisch: vital und eingefroren zugleich, lebensecht und doch ein wenig defragmentiert. Eine Dynamik geht von diesen Porträts aus, die das Auge zunächst nicht deuten kann. Je näher man ihnen kommt, desto mehr nimmt die Bewegtheit zu, steigert sich, bis sie plötzlich in ein Gewirr von sich überlagernden, farbsatt ausgemalten Ellipsen übergeht.
Völlig verschwunden ist nun das Gesicht, das eben noch so konkret erschien; was bleibt, ist die Illusion. "Elliptical Painting" nennt Mayer jene Maltechnik, deren Prinzipien er aus früheren ebenso filigranen wie monumentalen Tuschezeichnungen abgeleitet hat. Auch im kleinen Format arbeitet er mit entsprechend geformten Schablonen, überträgt die kosmischen Gesetze der Ellipse auf seine Kunst und schafft mithilfe einer mathematisch gestützten Wirkungsberechnung eine eigenwillige Balance aus Konkretheit und Abstraktion.
Die im Defet-Haus ausgestellte Serie ist einerseits ein innovativer Beitrag zur jahrtausendealten Geschichte der Porträtmalerei und der künstlerischen Faszination fürs menschliche Gesicht. Und andererseits eine Art Etüde im Sehen und Betrachten, die vom Rezipienten ebenso große Kunstfertigkeit verlangt, wie vom Künstler selbst.
ABC der klugen Entscheidung

Begibt man sich in die benachbarten Räumlichkeiten des "Instituts für moderne Kunst", meint man in Sophia Süßmilchs Ausstellung in einer anderen Welt gelandet zu sein. Mittel- bis großformatig hat sie während ihres Stipendium-Aufenthaltes in Nürnberg seit September letzten Jahres einen Zyklus von 25 Ölgemälden geschaffen, den man idealerweise mit der begleitenden Ausstellungsbroschüre in der Hand durchwandert: Beim Spaziergang durchs "ABC der klugen Entscheidung" geben nicht nur die an die weiße Wand gekritzelten Titel Hilfestellung, sondern auch die Zweizeiler, die Süßmilch den einzelnen Arbeiten sprachspielend und wortwitzelnd an die Seite gestellt hat. Gewissermaßen auf leerer Leinwand, also ohne ausgemalten Hintergrund, rückt die Künstlerin, meist mit pastosem Farbauftrag Figuren, Objekte, Formen und Linien an die vorderste Kante ihrer imaginären Bühne – wie Schauspieler, die dank leerer Kulisse ungeteilte Aufmerksamkeit genießen.
In seiner Darstellung und Expressivität erinnert das Ganze oft an Straßenkunst, aber auch an die künstlich geschaffene Archaik eines Picasso oder Matisse, teilweise sogar an Naive Malerei. In ihrer mal plakativen, mal lakonischen Buntheit und Fröhlichkeit beim Aufgreifen der Themen – Politisches, Privates, Allgemeines, aber auch Höchstpersönliches inmitten einer verrückt gewordenen Welt – geben Süßmilchs Arbeiten tatsächlich eine Art Lebenshilfe und beweisen wieder einmal den konkreten, fast therapeutischen Anspruch von Kunst.
Defet-Haus, Gustav-Adolf-Straße 33; Gerhard-Mayer bis 1. April 2023 (Mi bis Fr 13 bis 18, Sa 11 bis 15 Uhr); Sophia Süßmilch bis 2. April 2023 (Sa und So 14 bis 18 Uhr).
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