Künstler in der Pandemie: Wenn Geldverdienen bestraft wird
22.4.2021, 14:13 UhrSein letztes – ausverkauftes – Konzert hat Stefan Grasse am 9. März 2020 gegeben. Für das weitere Jahr waren 80 Auftritte fest gebucht. Die allermeisten mussten wegen der Pandemie abgesagt werden. Wenn, dann spielt der Nürnberger Gitarrist derzeit auf Friedhöfen – bei Covid-19- Beerdigungen. "Das ist eine sehr traurige Sache, wenn sich dort nur wenige Angehörige versammeln und sich nicht einmal umarmen dürfen", erzählt Grasse von den Erfahrungen eines Musikers in Corona-Zeiten.
Wie kann man als freischaffender Künstler in seinem Beruf noch Geld verdienen, wenn einem fast alle Auftritts- und Ausstellungsmöglichkeiten verwehrt bleiben? Und was passiert, wenn man in der Folge sein Leben mit kunstfernen Jobs finanzieren muss? Man könnte, so die gefürchtete Konsequenz, aus der Künstlersozialkasse (KSK) fallen, die die Hälfte der Beiträge für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung übernimmt. Für viele der bundesweit fast 200000 KSK-Versicherten ist das existenziell.
Der Deutsche Kulturrat, Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hat deshalb kürzlich Alarm geschlagen und die Bundesregierung aufgefordert, eine schnelle Lösung zu finden. Kein gesellschaftlicher Bereich in Deutschland leide länger unter dem Lockdown als die Kultur, so Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Viele Betroffene würden aber nicht aufgeben, sondern ihr ökonomisches Schicksal selbst in die Hand nehmen. "Doch statt dass sie für ihre Eigeninitiative gelobt werden, verlieren sie unter Umständen ihre Kranken- und Pflegeversicherung durch die Künstlersozialkasse", mahnte Zimmermann.
"Ich bin nicht arbeitslos"
Stefan Grasse möchte das auf jeden Fall vermeiden. Noch kommt er dank der – nach langen Anlaufschwierigkeiten – ausbezahlten Coronahilfen für Kulturschaffende sowie durch CD-Verkäufe und ein Stipendium finanziell über die Runden. Den von der Politik empfohlenen Weg in Hartz IV würde er jedoch auch dann nicht gehen, wenn das Geld nicht mehr reicht. "Das sehe ich nicht ein. Ich bin nicht arbeitslos, sondern arbeite richtig hart", betont Grasse, der in den vergangenen Monaten zwei CDs aufgenommen, komponiert und 800 Seiten Notenblätter als PDF-Download aufbereitet hat.
Warum Künstler aus Nürnberg weggehen - oder bleiben
Der Schauspieler Helwig Arenz hangelt sich seit Beginn der Pandemie mit dem Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld durch, das ihm noch aus vorherigen Stückverträgen zur Verfügung steht. Coronahilfen bekam er deshalb nur ein Mal. Jetzt ist das Geld so gut wie aufgebraucht, die "Antigone"-Inszenierung am Gostner Hoftheater, in der er mitspielt, liegt auf Eis. Die Alternativen, wenn der Lockdown andauert: Hartz IV oder der Wechsel in andere Brotjobs, was in beiden Fällen mit dem (zumindest vorübergehenden) Verlust der KSK-Mitgliedschaft verbunden wäre. "Das wäre eine Katastrophe. Ich verdränge das total", sagt Arenz. "Damit würde meine Selbstständigkeit als Schauspieler vernichtet."
Der Deutsche Kulturrat und die Allianz der Freien Künste fordern daher ein Aussetzen der Obergrenze für Einkünfte aus nicht-künstlerischer Tätigkeit: Die hat der Gesetzgeber bei 5400 Euro jährlich bzw. 450 Euro im Monat festgezurrt. Wer darüber liegt, muss sich freiwillig versichern und die Beiträge dann komplett selbst zahlen. Bislang will das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales auch nicht von dieser Regelung abrücken.
Der Grund ist die befürchtete Benachteiligung von anderen Soloselbstständigen. Allianz-Sprecher Stephan Behrmann kennt die Argumentation des Gesetzgebers: "Der würde sagen, wenn sich die in der KSK versicherte Opernsängerin während des Lockdowns draußen hinstellt und Blumen verkauft, muss sie nur die Hälfte der Versicherungsbeiträge bezahlen, der hauptberufliche Blumenverkäufer aber den vollen Satz. Das ist ungerecht." Nicht berücksichtigt werde dabei allerdings, so Behrmann, dass die Kulturschaffenden seit über einem Jahr unverschuldet an der Ausübung ihres Berufs gehindert werden.
Deshalb werden viele Künstler keine Grundrente erhalten
Und folglich auch nicht jene 3900 Euro Betriebseinkünfte erzielen können, die pro Jahr notwendig sind, um überhaupt in die KSK zu kommen. Dass die Künstler nun nicht reihenweise aus der Versicherung rausfallen, hat zwei Gründe. Der wichtigste: "Die Jahre 2020 und 2021 werden bei der Überprüfung nicht betrachtet", so KSK-Sprecherin Monika Heinzelmann. Für 2021 wurde das erst im März durch das Sozialschutzpaket III festgelegt. Der zweite Grund: Die einkommenssteuerpflichten Corona-Hilfen werden als künstlerische Einnahmen gerechnet, so dass viele die 3900-Euro-Mindestgrenze trotzdem erreichen.
Auch der Nürnberger Musiker Jan Bratenstein (The Black Elephant Band) ist dadurch bislang glimpflich durch die Corona-Krise gekommen. "Ich hatte Glück, dass ich alle Hilfen bekommen habe, aber ich kenne viele, bei denen das nicht so war und erlebe täglich die Ängste und Frustrationen." Wenn es im Herbst nicht wieder losgehe, werde es auch für ihn eng. Den Lockdown findet er richtig, "aber seelisch nagt das alles wahnsinnig an uns".
Bratenstein ist zugleich ein eindrückliches Beispiel, wie groß die Einbrüche für die freie Kulturszene sind. 169 (!) Konzertauftritte hatte er 2019 mit seinen drei Bandprojekten. Seit März 2020 ist alles quasi auf Null zurückgefahren.
Wie Kulturschaffende sich durch die Pandemie retten
Die Einkünfte, die über Verbleib oder Nicht-Verbleib in der KSK entscheiden, machen deutlich, von wie wenig Geld freischaffende Künstler oft leben. Auch Ute Belting vom Paul-Klinger-Künstlersozialwerk in München betont, dass viele Künstler ohnehin am Existenzminimum leben. Wie Stephan Behrmann vermutet sie, dass die Dunkelziffer derer, die ihre Zuverdienste nicht in voller Höhe angeben, um ihren Versicherungsschutz nicht zu riskieren, schon immer sehr hoch war – und jetzt, wo die Not besonders groß ist, noch zugenommen hat.
Wie ein Brennglas
Belting rät allen Betroffenen, sich unabhängige Hilfe zu holen und – um sich Luft zu verschaffen – auch Hartz IV nicht zu scheuen. "Kein Künstler gefährdet dadurch seine Selbstständigkeit. Weil man nicht arbeitssuchend ist, muss man sich auch nicht in andere Jobs vermitteln lassen", betont sie.
Kleine Schritte gegen die Ateliernot
Sowohl das Paul-Klinger-Werk wie die Allianz der Freien Künste treten zugleich für eine dauerhafte Lösung des Problems ein, die die KSK-Zulassung allein davon abhängig macht, dass das Einkommen aus der künstlerischen Arbeit höher liegt als der Nebenverdienst – egal wie hoch die Einkünfte jeweils sind. Um bei der Politik ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass dringend Handlungsbedarf besteht, bereiten die Allianz und der Deutsche Kulturrat jetzt ein Expertenhearing mit Arbeitsminister Hubertus Heil vor. "Die Corona-Krise ist wie ein Brennglas", sagt Behrmann, "das die Defizite in der sozialen Absicherung von Künstlern offenlegt."
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen