"Manchmal geht es nur um die Frage, wo man im Nirgendwo am besten kackt"
22.4.2021, 18:15 UhrMiss Zhao, „Nomadland“ war zuerst nicht Ihre Idee, sondern die Ihrer Hauptdarstellerin und Produzentin Frances McDormand, nicht wahr?
Chloé Zhao: Das stimmt. Sie hatte sich mit ihrem Partner die Rechte an dem Sachbuch „Nomadland: Surviving America in the 21st Century“ gesichert. Nachdem sie beim Festival in Toronto meinen Film „The Rider“ gesehen hatte, schrieb sie mir eine Mail. Ich sah nur ihren Namen und den Titel des Buches und dachte mir, ohne Näheres darüber zu wissen: Wenn sich mit jemandem ein solches Projekt umsetzen lässt, dann mit ihr.
Es geht im Buch und nun in Ihrem Film um modernde Nomaden, Menschen ohne festen Wohnsitz, die mit ihren Wohnwagen oder Kleinlastern durch die USA ziehen. Waren Sie mit dieser Welt vertraut?
Zhao: Interessanterweise war ich selbst gerade dabei, mir so einen kleinen Laster auszubauen, als „Nomadland“ meinen Weg kreuzte. Einfach weil ich bei meinen ersten beiden Filmen so häufig in meinem kleinen Subaru geschlafen hatte, dass ich fürs nächste Mal besser vorbereitet sein wollte. Und natürlich wusste ich, dass es Menschen gibt, die in ihren Fahrzeugen leben. Aber die Ausmaße waren mir nicht klar, und ich wusste nicht, dass es diese Gemeinschaft unter den Nomaden gibt. Von dieser faszinierenden Welt erfuhr ich erst durch das Buch.
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Auch Ihre beiden vorherigen Kinofilme spielten in sehr speziellen Milieus. Wonach suchen Sie aus, wohin Sie sich mit Ihren Geschichte begeben wollen?
Zhao: Tatsächlich ist für mich die jeweilige Welt stets das wichtigste Kriterium. Das ist eine ganz egoistische Entscheidung, die ich da treffe, denn ich entscheide lediglich danach, von welchem Setting ich glaube, dass es mich die nächsten zwei Jahre interessieren wird. Das gilt für reale Szenarios übrigens genauso wie für fiktive. Erst an zweiter Stelle kommen für mich die Figuren, in die ich mich auf die eine oder andere Weise verlieben muss. Und danach erst geht es mir um eine tatsächliche Geschichte.
Sie haben oft gesagt, dass Sie Ihre Filme nicht als politische Statements verstehen. Aber kann ein Film überhaupt apolitisch sein, wenn er – wie „Nomadland“ – von weißen, nicht mehr ganz jungen und vor allem eher mittellosen Menschen in jenem Teil der USA erzählt, der oft „Trump Country“ genannt wurde?
Zhao: Das ist natürlich ein interessanter Punkt. Es hängt vermutlich von der Perspektive ab, ob und wie man das Gezeigte politisch einordnet. Schon bei meinem ersten Film „Songs My Brothers Taught Me“, der in einem Reservat des Lakota-Stammes spielt, habe ich das erlebt. Mich haben damals vor allem die Erfahrungen der jungen Menschen interessiert, doch natürlich erzählten sich dann andere Dinge mit – und es liegt am Ende bei dem oder der Zuschauer*in, was wie wahrgenommen wird. Was ich aber auf jeden Fall nach gut acht Jahren, die ich in „Trump Country“ verbracht habe, sagen kann: Konkrete Politik steht bei den Menschen dort selten oben auf der Tagesordnung.
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Tatsächlich?
Zhao: Wenn die größte Sorge gerade ist, wann der nächste Tornado droht, oder wie man sich vor einem Buschbrand schützen kann, dann ist es nicht so wichtig, für wen der Nachbar bei der Präsidentschaftswahl gestimmt hat. Der Versuch zu überleben, stiftet viel mehr Gemeinschaftssinn in diesen Gegenden. Und tatsächlich geht es mir bei meinen Filmen auch darum, zu zeigen, dass uns als Menschen letztlich viel mehr verbindet als trennt. Und sei es nur bei der Frage, wie und wo man mitten im Nirgendwo am besten in einen Eimer kackt.
Genähert haben Sie sich auch dieser Welt der Nomaden nicht bloß von außen, sondern durch das Zusammenleben...
Zhao: Stimmt, wir sind oft über Wochen mit ihnen mitgezogen, haben selbst in unseren Wagen gewohnt und das Leben mit ihnen geteilt. Auch Frances wollte unbedingt so arbeiten, dass sie sich komplett in diese Welt einfügte. Das bedeutete auch, dass sie für eine Weile als Aushilfe auf einem Campingplatz anheuerte. Ich weiß noch, wie sie einmal mit ihrem Putzzeug aus den Waschräumen kam und ein Mann mit Handtuch um die Hüften sie fragte, ob sie nicht Frances McDormand sei. Aber sie war in diesem Moment einfach die Camp-Mitarbeiterin, die selbst im Wohnwagen lebte.
War von Anfang an klar, dass Sie McDormand größtenteils mit den Menschen vor Ort statt mit professionellen Schauspieler*innen umgeben würden?
Zhao: Ich arbeite immer gerne mit Laien, und als ich zur Vorbereitung all die Menschen traf, von denen Jessica Bruder in ihrem Buch erzählte, wusste ich, dass ich mir gar keine besseren Figuren würde ausdenken können. Nicht zuletzt weil Frances selbst dann eine enorme Präsenz an den Tag legt, wenn sie bloß dasitzt und zuhört. Das Zusammenspiel zwischen ihr und den echten Nomaden funktionierte ganz hervorragend.
Sie selbst sind in Peking geboren, heute leben Sie in den USA. Fühlen auch Sie sich als eine Art Nomadin?
Zhao: Um mich so zu bezeichnen, bin ich eigentlich nicht genug herumgekommen. Ich habe nur in drei Ländern gelebt, erst in China, dann in Großbritannien und schließlich kam ich in die USA. Verglichen mit anderen Menschen ist das nichts. Aber gerade als Geschichtenerzählerin stehe ich nicht gerne auf der Stelle. Mich hat es immer schon in die Ferne gezogen, ich wollte wissen, wie es hinter dem Horizont aussieht.
Autoscheinwerfer zum Applaus
„Nomadland“ hat in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen und seither etliche Preise abgeräumt. Ist es nicht bedauerlich, dass Sie all die Festivals und Feiern nur virtuell erleben konnten?
Zhao: Natürlich ist es schade, aber ich hatte trotzdem wunderbare Erlebnisse mit diesem Film. Zu einer Open Air-Premiere im Autokino des Rose Bowl-Stadions in Pasadena etwa reisten nicht nur Gäste aus Hollywood an, sondern auch viele der Nomad*innen. Die Menschen, die in „Nomadland“ zu sehen sind, standen da auf der Bühne, das Publikum hupte und blendete die Scheinwerfer zum Applaus auf, während um uns herum eine Pandemie und nicht weit entfernt die kalifornischen Brände tobten. Das war einer der unvergesslichsten Momente meines Lebens.
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