"Manchmal geht es nur um die Frage, wo man im Nirgendwo am besten kackt"

22.4.2021, 18:15 Uhr
Wurde 1982 in Peking geboren und arbeitet seit ihrem Studium in den USA als Filmemacherin: Chloé Zhao geht mit "Nomadland" als Favoritin ins Rennen um die Oscars, die am Sonntag vergeben werden.

© Richard Shotwell, dpa Wurde 1982 in Peking geboren und arbeitet seit ihrem Studium in den USA als Filmemacherin: Chloé Zhao geht mit "Nomadland" als Favoritin ins Rennen um die Oscars, die am Sonntag vergeben werden.

Miss Zhao, „Nomadland“ war zuerst nicht Ihre Idee, sondern die Ihrer Hauptdarstellerin und Produzentin Frances McDormand, nicht wahr?
Chloé Zhao: Das stimmt. Sie hatte sich mit ihrem Partner die Rechte an dem Sachbuch „Nomadland: Surviving America in the 21st Century“ gesichert. Nachdem sie beim Festival in Toronto meinen Film „The Rider“ gesehen hatte, schrieb sie mir eine Mail. Ich sah nur ihren Namen und den Titel des Buches und dachte mir, ohne Näheres darüber zu wissen: Wenn sich mit jemandem ein solches Projekt umsetzen lässt, dann mit ihr.

Es geht im Buch und nun in Ihrem Film um modernde Nomaden, Menschen ohne festen Wohnsitz, die mit ihren Wohnwagen oder Kleinlastern durch die USA ziehen. Waren Sie mit dieser Welt vertraut?
Zhao: Interessanterweise war ich selbst gerade dabei, mir so einen kleinen Laster auszubauen, als „Nomadland“ meinen Weg kreuzte. Einfach weil ich bei meinen ersten beiden Filmen so häufig in meinem kleinen Subaru geschlafen hatte, dass ich fürs nächste Mal besser vorbereitet sein wollte. Und natürlich wusste ich, dass es Menschen gibt, die in ihren Fahrzeugen leben. Aber die Ausmaße waren mir nicht klar, und ich wusste nicht, dass es diese Gemeinschaft unter den Nomaden gibt. Von dieser faszinierenden Welt erfuhr ich erst durch das Buch.


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Auch Ihre beiden vorherigen Kinofilme spielten in sehr speziellen Milieus. Wonach suchen Sie aus, wohin Sie sich mit Ihren Geschichte begeben wollen?
Zhao: Tatsächlich ist für mich die jeweilige Welt stets das wichtigste Kriterium. Das ist eine ganz egoistische Entscheidung, die ich da treffe, denn ich entscheide lediglich danach, von welchem Setting ich glaube, dass es mich die nächsten zwei Jahre interessieren wird. Das gilt für reale Szenarios übrigens genauso wie für fiktive. Erst an zweiter Stelle kommen für mich die Figuren, in die ich mich auf die eine oder andere Weise verlieben muss. Und danach erst geht es mir um eine tatsächliche Geschichte.



Sie haben oft gesagt, dass Sie Ihre Filme nicht als politische Statements verstehen. Aber kann ein Film überhaupt apolitisch sein, wenn er – wie „Nomadland“ – von weißen, nicht mehr ganz jungen und vor allem eher mittellosen Menschen in jenem Teil der USA erzählt, der oft „Trump Country“ genannt wurde?
Zhao: Das ist natürlich ein interessanter Punkt. Es hängt vermutlich von der Perspektive ab, ob und wie man das Gezeigte politisch einordnet. Schon bei meinem ersten Film „Songs My Brothers Taught Me“, der in einem Reservat des Lakota-Stammes spielt, habe ich das erlebt. Mich haben damals vor allem die Erfahrungen der jungen Menschen interessiert, doch natürlich erzählten sich dann andere Dinge mit – und es liegt am Ende bei dem oder der Zuschauer*in, was wie wahrgenommen wird. Was ich aber auf jeden Fall nach gut acht Jahren, die ich in „Trump Country“ verbracht habe, sagen kann: Konkrete Politik steht bei den Menschen dort selten oben auf der Tagesordnung.


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Tatsächlich?
Zhao: Wenn die größte Sorge gerade ist, wann der nächste Tornado droht, oder wie man sich vor einem Buschbrand schützen kann, dann ist es nicht so wichtig, für wen der Nachbar bei der Präsidentschaftswahl gestimmt hat. Der Versuch zu überleben, stiftet viel mehr Gemeinschaftssinn in diesen Gegenden. Und tatsächlich geht es mir bei meinen Filmen auch darum, zu zeigen, dass uns als Menschen letztlich viel mehr verbindet als trennt. Und sei es nur bei der Frage, wie und wo man mitten im Nirgendwo am besten in einen Eimer kackt.

Genähert haben Sie sich auch dieser Welt der Nomaden nicht bloß von außen, sondern durch das Zusammenleben...
Zhao: Stimmt, wir sind oft über Wochen mit ihnen mitgezogen, haben selbst in unseren Wagen gewohnt und das Leben mit ihnen geteilt. Auch Frances wollte unbedingt so arbeiten, dass sie sich komplett in diese Welt einfügte. Das bedeutete auch, dass sie für eine Weile als Aushilfe auf einem Campingplatz anheuerte. Ich weiß noch, wie sie einmal mit ihrem Putzzeug aus den Waschräumen kam und ein Mann mit Handtuch um die Hüften sie fragte, ob sie nicht Frances McDormand sei. Aber sie war in diesem Moment einfach die Camp-Mitarbeiterin, die selbst im Wohnwagen lebte.


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