Kunstprojekt
Nürnberger Punks: "Die kannten keine Grenzen, das habe ich geliebt!"
6.5.2021, 16:29 UhrSteve, du planst ein Fotobuch über Nürnberger Punks. Wie kam es dazu?
Steve Braun: Ich hatte in Frankfurt/Main eine Ausbildung in einer Werbeagentur gemacht und einen festen Job, aber was willste damit anfangen im Leben? Kohle ist ja nicht alles. Kunst hatte mich schon immer interessiert, jung genug war ich auch noch, also habe ich mich in Nürnberg an der Akademie der Bildenden Künste für ein Kunststudium beworben – und wurde genommen. Damals war Ottmar Hörl noch Professor, bei der Mappenbesprechung fand er mich wohl verrückt genug. An der Akademie habe ich mich dann auch recht schnell eingelebt. Als ich eines Abends durch die Stadt lief – ich wollte eigentlich auf ein Heavy-Metal-Konzert – habe ich mich verlaufen und bin aus Zufall im P31 gelandet ...
... dem kleinen autonomen Kulturzentrum an den Rampen.
Steve Braun: Dort lief gerade ein Punkkonzert, was auch okay war. Ich bin da also reingestiefelt mit meiner Bauernweisheit, hab mich zulaufen lassen, das Konzert genossen und hatte einen Super-Abend. So lernte ich die Nürnberger Punkszene kennen – und war fasziniert von der Art, wie die gefeiert haben. Die kannten keine Grenzen! Und es war ihnen scheißegal, was irgendwer über sie denkt. Das habe ich geliebt, es hat mich an meine Jugend erinnert. Und die konnte ich mit Mitte 20 in Nürnberg nochmal ausleben.
Nürnberger Jugendzentrum P31 sucht vergebens neues Zuhause
Das wolltest du auf Fotos festhalten?
Steve Braun: An der Akademie hatte ich zwischenzeitlich die Fotografie für mich entdeckt, war in die Klasse von Juergen Teller gewechselt – und hab fortan einfach meinen Fotoapparat mitgenommen, wenn ich feiern gegangen bin. Doch da schlug die Paranoia der linken Szene zu. Die kannten mich zwar, wir waren längst Freunde, aber plötzlich hieß es: "Jetzt fotografiert der! Ist der vielleicht doch ein verdeckter Ermittler?" Es hat eine Zeit gebraucht, bis das Misstrauen weg war und die Punks akzeptiert haben, dass ich da jetzt fotografiere und auch noch Sachen, die für sie total normal waren. Doch dann wurde ich schnell zum "Gedächtnis der Szene". Im Rückblick sind die Leute heute mega-happy, dass ich diese Bilder gemacht habe – Fotos, die sie nicht unbedingt immer von der Schokoladenseite zeigen. Verglichen mit dem, was sonst so bei Instagram zu sehen ist, ist das schon eine Anti-Ästhetik.
Ist es nicht mühsam, im Nachtleben ständig Equipment mit sich herumschleppen zu müssen – vor allem, wenn man mitfeiern will?
Steve Braun: Deshalb habe ich schnell umgestellt. Wenn du dir ältere Bilder von mir anschaust, dann sind da Sachen mit Mittelformatkamera dabei, technisch perfekt inszeniert. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass da ja ständig Bier drüber läuft – und bin auf Point-and-Shoot-Kameras umgestiegen. Bei denen muss man nicht groß nachdenken, sondern nur den richtigen Winkel finden und abdrücken.
Du hast ausschließlich analog fotografiert?
Steve Braun: Ja. Später habe ich angefangen, auch noch mit meiner VHS-Kamera zu filmen, aber VHS hat ja ebenfalls ein analoges Trägermedium: Magnetband. Ich wollte eine gewisse Authentizität haben, die bringt ein analoges Bild einfach besser rüber. Außerdem liebe ich die Ästhetik von analogen Fotografien.
Jetzt zeigt dein Buch eine kleine Subkulturszene aus einer kleinen deutschen Stadt und auch das nur über einen Zeitraum von nicht einmal fünf Jahren. Wo ist da der Mehrwert für jemanden, der nicht dabei war?
Steve Braun: Es ist tatsächlich eine Art Familienalbum geworden. Viele der Protagonisten tauchen immer wieder auf, trotzdem ist der Einblick authentischer als üblich. Die Leute haben sich mir komplett geöffnet, ich hatte das Privileg, sie in allen denkbaren Situationen kennenzulernen. Wenn du normalerweise als Fotograf irgendwo hingehst – und das kenne ich ja von vielen anderen journalistischen oder dokumentarischen Geschichten – dann hast du immer die Außensicht. Ich aber war Teil der Szene, war mittendrin. Das sind meine Freunde, ich hab erlebt, was die erlebt haben. Es ist etwas Anderes, wenn du den Leuten beim Schnorren zusiehst und nebenher ein paar Bilder machst oder ob du da selbst sitzt und mit bettelst und von der Polizei mit verhaftet wirst. Es war genauso mein Leben, ich konnte mich da nicht einfach in den Elfenbeinturm zurückziehen. Jeder, der sich nur im Ansatz für Punk und Subkultur interessiert, wird in dem Buch etwas finden.
Hier geht es zu allen aktuellen Polizeimeldungen.
Wenn man die Fotos so ansieht, dann geht es schon viel ums Saufen.
Steve Braun: Saufen, feiern – Rausch im Allgemeinen. Zwischendrin finden sich aber auch andere Momente: Bilder von Demos, von Punks mit ihren Kindern. Oder das Foto, wo mir Schrabbel ein Ultraschall-Foto von seinem ungeborenen Baby zeigt. Das sind nicht nur Trinker, du hast da schon eine bunte Mischung.
Was ist aus den Protagonisten auf deinen Fotos geworden?
Steve Braun: Die einen sind in der Sozialen Arbeit gelandet und helfen inzwischen anderen Leuten von der Straße weg, andere haben ebenfalls ein Studium angefangen. Manche sind arbeitslos und machen trotzdem ihr Ding. Wieder andere scheitern krass, aber auch das muss ihnen ja gestattet sein. Es ist ja nicht so, dass dir am Ende deines Lebens irgendwer auf die Schulter klopft und dich belohnt, weil du ein tolles Leben geführt hast (lacht). Außerdem muss man wahrlich kein Punk sein, um eine Trinkerkarriere hinzulegen. Im Punk hingegen gibt es auch die Straight-Edge-Bewegung, die trinkt garnix und nimmt überhaupt keine Drogen.
Jetzt hast du an der Akademie fertig studiert und bist nach Berlin gegangen. Scheiß Klischee, sag ich da nur ...
Steve Braun: Eigentlich wollte ich nach Hamburg, hab’ dann aber in Berlin eine bezahlbare Butze gefunden – mitten in Corona-Zeiten. Und das passt mir gerade super so. Mal ehrlich: Was hätte ich denn nach meinem Studium in Nürnberg gesollt? Wenn es nach den Leuten gegangen wäre und der unglaublich lebendigen Subkulturszene, die ich so nie in Nürnberg erwartet hätte, wäre ich sofort geblieben.
Wo hakt es in Nürnberg?
Steve Braun: Im Kulturbereich hast du eine gläserne Decke. Selbst wenn du richtig gut bist und den Kunstgeschmack der Leute triffst, was auf meine Arbeiten leider nicht zutrifft . . . (lacht), kommt schnell der Punkt, an dem du in Nürnberg nicht mehr weiterkommst. Es gibt drei, vier Institutionen, wo du als Künstler ausstellen kannst – und das sind gute Institutionen! Aber wenn du die abgearbeitet hast, dann geht es halt nicht weiter. Die Ateliersituation ist ein Problem, überhaupt Räumlichkeiten, nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Ausstellen. Die Galerien, die es gibt, wie die Galerie Sima oder das Galeriehaus Nord, die kann ich nur hofieren. Gute Läden, supercoole Leute! Aber wo willst du danach hin? Würde es in der Stadt mehr Möglichkeiten geben, ich wäre nie aus Nürnberg weggegangen. Aber irgendwann muss man halt auch mal gucken, wo man bleibt ...
Die Buchpräsentation ist aktuell auf Freitag, 23. Juli 2021, im Galeriehaus Nord (KUNO), Wurzelbauerstraße 29, terminiert.
Crowdfunding-Kampagne auf www.startnext.com/v-mann
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen