Porträt über Nürnberger Streetart-Künstler: Charakterzeichner mit Sprühdose

4.7.2020, 06:00 Uhr

Unverkennbar ist es Paul Kuhn, der von der Wand in diesem kleinen Atelier in der Nürnberger Südstadt grinst, als wäre das Leben die knuffigste Sache auf der Welt. Falte für Falte, dieser vom Leben wissende Blick und dieses Lächeln, mit dem der Kuhn alles sagen könnte zwischen "Ja, mei!" und "Ich weiß". Sprühstoß um Sprühstoß, Kontur um Kontur ist das sprechende Antlitz dieses talentierten Spitzbuben auf dieses überlebensgroße Paketpapier gebannt, regelrecht essenziell, mit gefühlten Ecken und Kanten.


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Auf diesem Porträt ist der Kuhn ganz bei sich, hier auf der unruhigen Sandsteinwand. "Das war eine Auftragsarbeit", sagt der Mann, der dem Kuhn hier fast zu Füßen sitzt. "Aber mit einem Großen des deutschen Jazz liegt man nie verkehrt", findet Pablo Fontagnier, der Kuhn mit menschenkennendem Blick und talentierter Hand sowie mit Skizze und Sprühkopf überdimensioniert hat.

Der Wahlnürnberger — der Hombre, wie sie ihn landläufig beim Künstlernamen nennen —, hat einen Blick für die Finessen der Natur, die unsere Gesichter designen. Er ist einer der wenigen anerkannten professionellen Graffiti-Künstler, die in In- und Ausland zu den führenden Charakter-Malern der Szene gehören.

Ein guter Mix

Auf Instagram folgen ihm 114.000 Leute aus aller Welt — für den Künstler die beste Art und Weise, sich der globalen Gemeinde zu präsentieren. Und Kunden anzulocken. Denn auch, wenn die breite Masse immer noch damit hadert: Graffiti lässt sich längst authentisch als Indiz für Stil und jungen Geschmack verkaufen, weil die Szene-Leute von damals die Marketing-Chefs von heute sind.

Manchmal muss man seine Kunst und damit auch ein Stück weit seine Seele an Konzerne verkaufen, weiß der Hombre. "Vor allem, wenn man als Vater in Verantwortung steht", sagt Fontagnier, dessen Sohn sechs Jahre alt ist und den er, nach Trennung von der Mutter, alle vierzehn Tage über das Wochenende und mittwochs bei sich hat.

"Du brauchst die dicken Fische, um die kleinen Dir sympathischen Fische zu fördern, weil du ihnen was für lau machst." Seit 13 Jahren ist er selbstständig und gesteht, "die ersten sieben, acht Jahre waren schwer".

Ansonsten ist Hombre_SuK (SuK steht für die "Stick up Kids", die Crew der Künstler, die ihn, wie auch die "Crew True Rockin‘ Soul", in der Szene sozialisiert hat) viel unterwegs, teils "Dreiviertel des Sommers" auf irgendwelchen Festivals. Seine Murals (auf Deutsch: Fassadengemälde) sind bereits an Wänden in Berlin, Bilbao, Eindhoven, Jerusalem, Moskau, New York, Shanghai, Warschau und Zürich zu bewundern. Doch auch auf Cover-Artworks von Hip-Hop-Alben sind seine Bilder zu finden .

Pablo Fontagnier designte außerdem die Wand in Restaurationsbetrieb Die Eisdiele oder verewigte sich auf den Foodtrucks. Auf Jeansjacken hat er seine Kunst gebannt sowie Geist und Codizes der HipHop-Kultur im Auftrag des Herstellers Eschenbach 2014 in Brillengestellen manifestiert.

In seiner Freizeit lüftet der Charakter-Spiegler gerne seinen Kopf. "Wir alle haben gelernt, sehr fleißig zu sein und dabei vergessen, wie es ist, einfach nichts zu tun." Handy in der Hand — beim Joggen, beim Auto fahren und zur Planung der Rettung des Planets. "Ich hänge gerne einfach nur im Café mit Kopfhörern ab und beobachte." Denn pures "Nichtstun ist in diesem Zeitoptimierungs-Gulasch heutzutage Leistungssport", ermutigt er zum aktiven Müßiggang.


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Auf die Kopfhörer legt Fontagnier feinsten 90er-HipHop und -Rap aus In- und Ausland. "Die Klassiker wie Nas, Dynamite Deluxe. Oder, natürlich, die Heidelberger Torch, die Stiebers Twins – das ist für mich automatisch Familie, ein warmer Schoß", erinnert er sich an seine Lebzeiten in Mannheim, an den Schmelztiegel der Künste, die Kulturalisierung der jungen HipHop-Strömung. Damals, als die 80er sich dem Ende neigten. Als die Hosen extraweit und die Rhymes "echt fett" waren.

"Ich verstehe mich als einen Gralshüter, meine Arbeiten sind von den alten Traditionen sehr stark durchzogen", sagt der Hombre und zieht seine guten 1,90 Meter größer. Semi-realistisch Skizziertes und, sein Steckenpferd, die klassische Comic-Umsetzung machen Hombres Stil herausragend und gefragt. "Oldschool, mit bunten Farben und harten Schatten", sagt er. Und Hombres Blick für Wesenszüge schenkt dem Paul Kuhn in diesem Atelier eben dieses sehr individuelle spitzbübische Lächeln. Er beobachtet und sieht das Essenzielle der Charaktere — "meine Linien dürfen einen Duktus haben und eine gewisse Dynamik".

Ein Fan der 80er

Die 80er waren für ihn von größerer Wirkung als letztlich seine Pubertät, "meine Mutter hat mich da stark geprägt", sagt der 38-Jährige. "Ich mag die Schnitte der Sneaker, die Filme, die Musik. Das gibt mir ein gutes Gefühl — genauso wie Phil Collins", den er beim Malen, im Café oder auf seinen beruflichen Reisen.

"Die 80er haben für mich etwas Unbeschwertes", sagt er. Auch kann Fontagnier nicht von Hörbüchern lassen, regelrecht "fanatisch" konsumiert er Work-Life-Balance-Ratgeber, skandinavische Krimis oder Klassiker von Hohlbein im Auto, beim Reisen ("Ich mag das Aladdin-Flavour, die arabeske Kultur") oder während der Arbeit. "Ich will schon lange einen Töpferkurs besuchen", gibt er preis und man stellt sich vor, wie seine tätowierten Hände auf der Drehscheibe sanft eine Vase formen.

Auch beruflich bricht er in neue Gefilde auf: Der Hombre hat die Arbeit an einem Kleinkinderbuch aufgenommen — für die Graffiti-Szene und deren Nachwuchs. Und vielleicht auch, um bei seinem eigenen Sohn gegen die beliebten Hündchen von "Paw Patrol" anzustinken.

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