So ein Papiertheater! Johannes Volkmanns Projekt wird 25
11.9.2020, 16:22 UhrSeit 25 Jahren gibt es Johannes Volkmanns Papiertheater in Nürnberg. Vom Theater mit selbst entwickelten Indoor-Produktionen und „erlesenen Büchern“ hat es sich zu einer kreativen Projekt-Werkstatt gewandelt, die heute mit künstlerischen „Gesellschaftsinszenierungen“ weltweit und teils mit Unterstützung des Goethe-Instituts im öffentlichen Raum für Aufsehen sorgt. Auch wenn Volkmann bei der Verwirklichung seiner interaktiven Ideen etliche Mitstreiter an der Seite hat, bleibt er der Motor und künstlerische Leiter, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Im Kunstverein Kohlenhof am Germanischen Nationalmuseum ist zum Jubiläum ab Samstag, 12. September (14-19 Uhr), eine Werkschau zu sehen.
Herr Volkmann, Sie arbeiten seit 25 Jahren mit Papier. Könnten Sie aus dem Stand einen Schwan in Origami-Technik falten?
Johannes Volkmann: (lacht) Dazu gibt es eine Anekdote. Wir haben aktuell mit dem Bayerischen Rundfunk ein Projekt zu Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“, das als Film in drei Monaten ins Fernsehen kommt. Für eine Szene sollte ich genau so einen Schwan falten. In Nahaufnahme! Ich hab mich vorher auf Youtube informiert, es aber erst beim zweiten Anlauf geschafft. Ist eben nicht meine Hauptprofession.
Haben wir verstanden. Was hat Sie denn in den Anfängen an dem Werkstoff Papier so fasziniert?
Volkmann: Die vielseitigen Möglichkeiten, die große Form der ästhetischen Arbeit. Wie schön ist ein leeres weißes Blatt in sich? Wie frei? Allein wenn man einen Knick reinmacht, hat das eine ungeheure Wirkung. Und wenn man ein Loch reinschneidet oder einen Farbklecks draufwirft, verändert sich alles. Man kann mit Licht und Schatten arbeiten. Papier hat so viele ästhetische Spielmöglichkeiten. . .
. . . aus denen heraus das Papiertheater entstanden ist. . .
Volkmann: Ja, ich habe den Stoff Papier dann über zehn Jahre lang mit ganz unterschiedlichen Künstlern untersucht, mal mit Musikern, mal mit Tänzern, mal mit Geschichtenerzählern. Mit den spielerischen Möglichkeiten sind jeweils Inszenierungen entstanden, zum Beispiel ein Papierkonzert oder ein Tanztheater.
Das alles hat sich stets in geschlossenen Räumen abgespielt. Inzwischen arbeiten Sie viel interaktiv und im öffentlichen Raum. Warum?
Volkmann: Wir waren mit den Theater-Inszenierungen relativ erfolgreich, weil sie sprachungebunden waren und es eine eigene neue Form des Materialtheaters war. Damit durften wir weltweit auf Festivals spielen. Als wir irgendwann keine „normalen“ Inszenierungen mehr machten, sondern Projekte im öffentlichen Raum, waren einige irritiert. Doch das war eine Entwicklung. Unsere Stücke waren vielleicht nicht nach strengen dramaturgischen Regeln entstanden, aber sie hatten einen inhaltlichen Hintergrund. Und der wurde immer wichtiger. So kam es zu den „Gesellschaftsinszenierungen“.
Was genau ist darunter zu verstehen?
Volkmann: Ein Beispiel: Für das Projekt „unbezahlbar“, das auf dem Nürnberger Hauptmarkt startete, haben wir zur Zeit der Finanzkrise Passanten in der ganzen Welt aufgefordert, auf mit Papier eingewickelte Teller zu schreiben, was für sie unbezahlbar ist. Die Teller standen auf einer langen, ebenfalls mit Papier bedeckten Tafel. Weil oft Kinder und deren Wohlergehen als unbezahlbar genannt wurden, ergab sich daraus das ebenfalls weltweite Projekt „Konferenz der Kinder“. Dort war eines der Hauptstichworte „Frieden“ – so kam es dann zu der Aktion, für die wir Plastikspielzeugwaffen aus der ganzen Welt sammeln. Die Ergebnisse sind in der Ausstellung zu sehen.
Sieht aus, als sei bei Ihnen alles im Fluss, eins ergibt sich aus dem andern. Ist das auch ein Lebensmotto?
Volkmann: Ja, stimmt. Ich finde, es geht um die Überraschung, die das Leben sowohl künstlerisch als auch persönlich bietet, wenn man sich auf einen Weg begibt und dabei nicht auf gerader Linie stoisch sein Ziel verfolgt. Wenn man alles auf sich wirken lässt, was unterwegs passiert, kann das Leben reich und spannend werden. Ich weiß nicht, was in fünf Jahren geschieht, halte aber an meinen Visionen und Anliegen fest.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Projekten bei den Menschen in den verschiedenen Ländern gemacht?
Volkmann: Es gibt die beglückende Feststellung, dass wir Menschen einfach alle gleich ticken. Egal welche Religion oder kulturelle Herkunft wir haben. Es gibt da eine Basis, das hat „unbezahlbar“ gezeigt: Wir wollen alle irgendwie friedlich mit unserer Umgebung leben. Und es ist erschreckend zu sehen, wie das etwa durch Fanatismen, Machtstrukturen oder Kapitalismus oft verhindert wird.
INTERVIEW: BIRGIT NÜCHTERLEIN
Kunstverein Kohlenhof, Grasersgasse 15/21. Bis 10. Oktober. Do.–Sa. 14–19 Uhr. Eintritt nach Corona-Bedingungen. www.kunstvereinkohlenhof.de
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