Spiegel der Gesellschaft? Rassismus in den Medien ist kein Einzelfall
25.2.2021, 10:26 UhrSchon die Auswahl der Frage sorgte für heftige Kritik: In einer Folge der Talkshow „Die letzte Instanz“ sprach Moderator Steffen Hallaschka mit seinen Gästen zum Thema „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“
Als der WDR Ende Januar eine Wiederholung der Folge zeigte, brach auf Twitter ein Shitstorm los. Seitdem wird darüber diskutiert.
Debatte ohne Betroffene
Dass mit Autor Micky Beisenherz, Entertainer Thomas Gottschalk, Schauspielerin Janine Kunze, und Schlagersänger Jürgen Milski vier weiße Menschen über rassistische Fremdbezeichnungen redeten, sorgt für Unmut bei vielen Betroffenen.
Dass diese die Verwendung diskriminierender Begriffe verteidigten, verstärkte den Ärger. Besonders im Fokus stand eine Aussage von Janine Kunze, dass sie sich über solche Worte nie viele Gedanken gemacht habe.
„Haltet mich für naiv, nein, sie gehören dazu“, führte die 46-Jährige aus. Jürgen Milski bestritt unterdessen, dass sich die Mehrheit der von rassistischer Sprache Betroffenen davon angegriffen und verletzt fühle.
Viele Sinti und Roma zeigten sich erschüttert. Hamze Bytyci, Vorsitzender des Vereins RomaTrial, sagte dem WDR: „Die Sendung war durch und durch rassistisch und ignorant. Warum respektiert man nicht, dass wir Roma und Sinti sind? Warum erkennt man nicht an, dass wir so genannt werden wollen und nicht mit dem Z-Wort? Das Z wurde unseren Menschen in den Arm geritzt und sie kamen in die Gaskammern.“
Mehrere der Beteiligten entschuldigten sich daraufhin öffentlich, darunter Moderator Hallaschka und Autor Beisenherz. Janine Kunze schrieb auf Instagram, dass ihr unendlich leidtue, was sie in der Sendung gesagt habe, und dass sie gerade als Mutter besser aufgeklärt sein solle, „wenn es um unser vorurteilsbehaftetes Sprachsystem geht“.
Die letzte Instanz: Thomas Gottschalk verweigert Entschuldigung
Auch die WDR-Unterhaltungschefin Karin Kuhn erkannte die Kritik als „absolut berechtigt an“ und entschuldigte sich dafür, dass der Sender „diese ernsten Themen in einer so unpassenden Gästezusammenstellung produziert und ausgestrahlt“ habe.
Rassistische Klischees im Fernsehen
Die Entschuldigung beendete die Debatte jedoch nicht. „So eine Sendung wird doch in der Redaktionsleitung besprochen“, kritisierte Roma-Aktivist Gianni Jovanovic die fehlende Rassismus-Sensibilität. Er betonte, dass rassistische Klischees im Fernsehen kein Einzelfall seien, sondern immer wieder reproduziert würden. So habe beispielsweise das Bild des „Fahrenden Volkes“ nichts mit der Lebensrealität der Sinti und Roma in Deutschland zu tun.
Nicht nur die Sprache, auch die Auswahl von Gesprächspartnern in den Medien stand schon vor der umstrittenen WDR-Sendung in der Kritik. Auf dem Höhepunkt der „Black Lives Matter“-Proteste wurden 2020 mehrfach ausschließlich weiße Gäste eingeladen, um über Rassismus zu sprechen – unter anderem bei Sandra Maischbergers ARD-Talkshow.
Unter Verdacht: Nürnbergerin erzählt von ihren Rassismus-Erfahrungen
Auf Twitter erklärten die Verantwortlichen damals, dass Rassismus nur eines der geplanten Themen sei, und man daher Experten verschiedener Fachrichtungen gesucht habe. „Schwarze Menschen können sich tatsächlich auch zu diesen Themen positionieren“, kommentierte darauf die Abgeordnete Aminata Touré.
Fast nur Weiße in Talkshows
Tatsächlich hatte eine Analyse der Talkshow-Gäste im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bereits 2019 ergeben, dass der Anteil von Ausländern oder im Ausland Geborenen bei nur je 5 Prozent lag. Von 728 Gästen im gesamten Jahr waren zudem nur 6,6 Prozent nicht weiß. Die Hälfte von ihnen wurde explizit eingeladen, um sich zu Migration oder dem Herkunftsland ihrer Eltern zu äußern, nicht aber zur allgemeinen Politik.
Dass diese Zahlen nicht die deutsche Gesellschaft widerspiegeln, wird zunehmend kritisiert. Immerhin 26 Prozent der Menschen in Deutschland hatten 2019 einen Migrationshintergrund, in Bayern liegt der Anteil bei etwa 25 Prozent. „Das ist unser Publikum von morgen“, sagte Iva Krtalic, die Beauftragte des WDR für „Integration und kulturelle Vielfalt“ der Zeit.
Der WDR kündigte an, einen Themenschwerpunkt zu Rassismus senden zu wollen. Als die Künstlerin Enissa Amani eine Liste von Talkshow-Gästen anbot, die alle von Rassismus betroffen seien und gleichzeitig wissenschaftliche Expertise zum Thema hätten, ging der Sender aber nicht darauf ein.
Kommentar: Rassistische Sprache hat in unserem Alltag nichts zu suchen
Amani organisierte das Format deshalb kurzerhand selbst. „Die beste Instanz“ wurde auf YouTube innerhalb einer Woche fast 500.000 Mal abgerufen. „Rassismus wirkt in und durch Sprache. Sprache ist Handeln“, erklärte dort die Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly. Wer rassistische Begriffe benutze, würde dadurch strukturelle Ungleichheit und Diskriminierung immer wieder zementieren.
Auch der WDR-Rundfunkrat hat nun die rassistische Sprache und einseitige Gästeauswahl in „Die letzte Instanz“ verurteilt. Rassismus zu vermeiden, sei wichtig für „den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Niveaus“.
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