Staatstheater begeht „Tatort Dönerbude“
16.07.2010, 00:00 Uhr
Das Rezept ist aus den vorigen Tatorten vertraut: Experten der Materie (hier: Dönerverkauf) wie Ali Özcan (Mevlana Restaurant) und Hürcan Bulut (Urfan Döner) schildern Szenen aus dem Alltag, die die obengenannten Akteurinnen unter Mitwirkung von Stefan Willi Wang improvisatorisch nachstellen.
Hart ist das Leben des Dönermeisters: Rechnungen sind nicht zu dechiffrieren, der Patriarch sitzt dem Unternehmersohn im Nacken, der Fahrer verzockt sein Geld, und zwischen vollkommener Verkennung und hellsichtigem Röntgenblick manövriert der Patriarch sein Dönerschiffchen durch die Klippen des Lebens. Zu den Klippen gesellen sich Preisdumping, gepanschte Rezepturen und unflätige Kundschaft, die schon einmal per Fußtritt an die frische Luft befördert wird.
Dabei ist der Döner, Inbegriff des Billig-Imbiss, ursprünglich eine Delikatesse, die es mit viel Zeitaufwand und Liebe zum Detail zuzubereiten gilt. Die Vorlesung des ellenlangen Rezepts wird mit der Ausrufung von Billigpreisen durchschossen, der Theaterflaneur begreift den Döner als das, was er eigentlich ist: ein zum Massenartikel verwandeltes Spezialgericht.
Das verbindet den Döner mit der Nürnberger Rostbratwurst, als deren Kronzeuge der ehemalige Rechtsreferent und aktive Chef des „Schutzverbandes Nürnberger Bratwurst“ Hartmut Frommer auftritt. Frommer rekapituliert aus den Annalen, was die Nürnberger Bratwurst so unverwechselbar macht, und wie sie sich gegen dreiste Plagiate in der Gastronomie zu behaupten hat.
Dramatischer Höhepunkt des Abends: ein Besuch im „Guldenen Stern“, wo das Ensemble das wurstige Erweckungserlebnis des kleinen Hartmut nachstellt. Umso bizarrer, als Stefan Willi Wang sich in letzter Sekunde als Vegetarier outet. Doch auch der Tiefpunkt des Experten Frommer, der einst von einem Münchner Gastronom vorgeführt wurde, darf nicht fehlen.
Mittendrin in der theatralischen Expedition: ein Spaziergang entlang der Frauentormauer, der eine Fleischbeschau ganz anderer Art bot, sowie das Grimm’sche Märchen „Vom Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst“, das Spezialgast Jutta Richter-Haaser aus dem Schaufenster vortrug. Jenes Märchen erzählt von einer WG, die tragisch scheitert, als ihre Mitglieder die Rollen tauschen. Was bleibt, ist der multikulturelle Erkenntnisgewinn: „Döner macht schöner, Pizza macht spitzer, Sushi macht Muschi“. Was aber reimt sich auf „Bratwurst“?