Kolumne

Tempo-Wahnsinn auf der Autobahn: Aber die FDP macht weiter den Weg frei

21.1.2022, 14:08 Uhr
Voll auf Parteilinie: Bundesverkehrsminister Volker Wissing möchte die immer wieder neu aufflammende Diskussion übers Tempolimit als "ganz kleines Thema" ad acta legen. 

© snapshot-photography/F.Boillot; Grafik: Ralph Meidl; Montage: Sabine Schmid Voll auf Parteilinie: Bundesverkehrsminister Volker Wissing möchte die immer wieder neu aufflammende Diskussion übers Tempolimit als "ganz kleines Thema" ad acta legen. 

Lieber Volker Wissing,

unter den vielen Meldungen, die mich an der Lernfähigkeit der Spezies Mensch zweifeln lassen, waren zuletzt zwei, die mit Ihrem Zuständigkeitsbereich zu tun haben. Eine davon provozierte ein tschechischer Milliardär.

Der 58-Jährige beschleunigte seinen Bugatti Chiron auf der A2 zwischen Berlin und Hannover auf 417 km/h und posaunte das mittels Youtube in die Welt hinaus - fraglos sehr stolz ob seiner Großtat. Allmächd! Da ist es mir fast noch lieber, wenn sich nervenkitzelsüchtige Superreiche ins All schießen lassen.

Ihr Verkehrsministerium, Herr Wissing, reagierte auf die "Testfahrt" des Gastrasers übrigens mit einem windelweichen Rüffel. Weil ein Geschwindigkeitsrausch bei uns ja nur bedingt verboten und Deutschland in Europa nach wie vor das letzte Paradies für Herrenreiter ist, die ihrem Garagen-Hengst mal richtig die Sporen geben wollen. Dank Ihrer FDP wird das auch so bleiben.

Das allgemeine Tempolimit auf Autobahnen sei für Sie ein „ganz kleines Thema“, sagten Sie gerade wieder, Herr Minister. Nun, immerhin ist es groß genug, um zu veranschaulichen, dass bei uns Lobbyismus weiterhin in der Lage ist, jede Vernunft aus dem Feld zu schlagen. Dazu braucht es in der Regierung nicht einmal mehr einen Andi Scheuer.

Die zweite Nachricht, die mich stutzen ließ, kam eigentlich aus der Wirtschaft: „Wohnmobilhersteller melden Rekordverkäufe.“ Aha, schon wieder. Also rollen bald noch mehr Hymer, Bürstner und Dethleffs der Sonne entgegen. Dabei sieht man auf Campingplätzen vor lauter Riesenmarkisen bereits jetzt oft kein Meer und keinen See mehr.

Dazu sollten Sie wissen, dass ich selbst Halter eines kleinen, betagten Wohnmobils bin. Meine Familie und ich haben darin etliche Urlaube ohne Fernsehen, Privat-WC und Plastikblumengesteck überlebt. Lange dachte ich: Wir sind die Guten, die Abenteurer. Wir fühlten uns wie in einem Ruderboot, das zwischen Kreuzfahrtschiffen ankerte.

Ich räume ein, unter den Bequem-Campern repräsentieren bereits wir eine Evolutionsstufe, die nur noch wenig mit "Zelten" zu tun hat. Und ja, auch mein Rücken verlangt zunehmend nach Komfort. Aber wo führt das hin, wenn wir jedes Jahr 100.000 weitere, immer üppigere Wohnmobile und Caravans in die freie Wildbahn entlassen? Wo sollen die alle fahren? Und stehen?

Herr Wissing, wahrscheinlich sind Sie kein Camper, vielleicht verstehen Sie dennoch, was ich meine: Wir treiben alles, was Spaß macht, so lange auf die Spitze, bis es absurd wird. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Bugatti, oder wer auch immer, ein 20 Meter langes E-WoMo-Geschoss baut, mit dem man theoretisch in zwei Stunden von München an die Ostsee brettern kann.

Und ein verstrahlter Milliardär wird das ausprobieren - wenn man ihn lässt.

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