Wie man seine Träume steuern kann

Unendliche Möglichkeiten in der Welt des Schlafs

1.7.2015, 20:38 Uhr
Unendliche Möglichkeiten in der Welt des Schlafs

© Foto: Thomas Correll

Der kleine Junge liegt in seinem Bett, sein Zimmer ist hell erleuchtet. Er weiß, da ist jemand — oder etwas. Das Wesen kommt, um ihn zu holen. Panisch versucht der Junge, sich zu verstecken, im Schrank, unter dem Bett, hinter dem Vorhang. Es klappt nicht. Die Zimmertür öffnet sich und ein Monster stürmt herein. Der Junge bebt vor Angst — und wacht auf.

Lucas Krieg hat diesen Alptraum ständig. Praktisch jede Nacht. Bis plötzlich alles anders ist: Im Traum wird ihm bewusst, dass er träumt. Das gibt ihm Sicherheit. Er spricht mit dem Monster, bietet ihm seine Freundschaft an. Die beiden schütteln sich die Hand und der fünfjährige Junge wacht auf. Diesen Alptraum, der ihn jahrelang gequält hatte, erlebt er nie wieder.

Unendliche Möglichkeiten in der Welt des Schlafs

© Foto: privat

Heute ist Lucas Krieg 29 Jahre alt. Er erinnert sich noch genau an das überwältigende Gefühl der Erlösung, das er damals spürte, nachdem er in seinen Traum eingegriffen und das Unheil abgewendet hatte. Der Handschlag mit dem Monster blieb nicht sein einziges derartiges Erlebnis. Immer wieder hat er im Lauf der Jahre im Traum klare Momente.

Visionen der Gewalt

Lucas Krieg ist Mitte 20, als ihn erneut eine Serie schlimmer Träume heimsucht. Es sind Visionen der Gewalt, in denen Menschen zerschnitten und malträtiert werden. Verzweifelt zieht er Freunde und Familie ins Vertrauen. Sein Bruder schickt ihm schließlich einen Link: Auf der Internetseite stößt Krieg auf Informationen zu Paul Tholey, einem 1998 verstorbenen Pionier der Klartraum-Forschung. Der junge Mann ist fasziniert: Da gibt es Menschen, die auch bewusst träumen, sogar Wissenschaftler beschäftigen sich mit dem Phänomen. Am nächsten Tag deckt er sich mit Stapeln von Büchern zu dem Thema ein.

Tatsächlich sind Klarträume — die auch luzide Träume genannt werden – seit Ende der 1970er Jahre Gegenstand der Forschung. Einer der wenigen Experten auf dem Gebiet ist Daniel Erlacher von der Universität Bern, der ein Buch über Klarträume geschrieben hat. Er definiert das Phänomen so: „Wenn man im Traum weiß, dass man träumt, dann sprechen wir von einem Klartraum.“ Es komme auch vor, dass man in Träume eingreifen kann oder sich an Ereignisse erinnert, die im Wachzustand passiert sind.

Besonders spannend für den Wissenschaftler: „Wir können mit dem Träumenden kommunizieren.“ Über Augenbewegungen kann dieser Signale geben, weil die Augenmuskulatur im Schlaf genauso funktioniert wie im wachen Zustand.

2012 studiert Lucas Krieg Kommunikationsdesign an der TH Nürnberg. Gleichzeitig arbeitet er an seiner Fähigkeit, bewusst zu träumen, und erweitert sein Wissen darüber. Irgendwann steht für ihn fest, dass seine Bachelor-Arbeit nur ein Thema haben kann: Klarträume. Er stürzt sich in die Vorbereitungen — versucht, das luzide Träumen zu perfektionieren.

Doch wie kann man lernen, klar zu träumen? Man sollte, so der 29-Jährige, möglichst oft versuchen, sich an seine Träume zu erinnern. „Manche Menschen denken, sie haben keine Träume. Das ist aber falsch, sie können sich nur nicht an sie erinnern“, sagt er.

Eine gute Übung sei es, am Wochenende auszuschlafen und nach dem Aufwachen noch einige Minuten mit geschlossenen Augen liegen zu bleiben. Was bleibt vom Traum? Ein Bild, ein Gefühl? „Je mehr man sich mit seinen Träumen beschäftigt, desto wahrscheinlicher wird ein Klartraum“, erklärt Lucas Krieg.

Die Nase zuhalten

Die wichtigste Lerntechnik sei aber der regelmäßige Realitäts-Check. Zum Beispiel hält man sich mehrmals am Tag die Nase zu und versucht zu atmen. Dabei stellt man sich die Frage: „Bin ich wach oder träume ich?“ Die Prozedur wird nach und nach zur Gewohnheit — und irgendwann kehrt sie auch im Traum wieder. Erkennt man, dass man trotz zugehaltener Nase atmen kann, dann wird man sich des eigenen Träumens bewusst.

Unendliche Möglichkeiten in der Welt des Schlafs

© Collage: Lucas Krieg/

Was man alles anfangen kann mit der Fähigkeit, klar zu träumen, das zeigt Lucas Krieg in seiner Abschlussarbeit. Er hat über Monate hinweg mit den Wesen kommuniziert, die ihm nachts begegneten. Er bat sie darum, ihm Geschichten zu erzählen, Gedichte oder Lieder darzubringen. Diese sammelte er in einem Buch, das er mit futuristisch-düsteren Collagen illustrierte. Die Arbeit gehörte zu den Besten des Jahrgangs. Mittlerweile hat er sich mit einem Designbüro in Schniegling selbstständig gemacht.

Für den Wissenschaftler Daniel Erlacher bieten Klarträume einige spannende Forschungsansätze. Er untersucht derzeit, ob Sportler Bewegungsabläufe buchstäblich im Schlaf lernen können. Seine Studien deuten darauf hin, dass das möglich ist. Natürlich sei sein Forschungsgebiet „nicht gerade Mainstream“. Über Fragebögen habe er aber von Sportlern erfahren, die im Traum trainieren. Das sei effektiv bei Disziplinen, die anspruchsvolle Bewegungsabläufe erfordern – Turnen, Turmspringen oder Kampfsport beispielsweise. „Einen Marathonläufer wird es eher nicht weiterbringen“, sagt Erlacher mit einem Lächeln.

Kurse am Bildungszentrum

Lucas Krieg lässt die Faszination für die eigenen Traumwelten nicht mehr los. Seit gut einem Jahr teilt er sein Wissen mit anderen Klartraum-Interessierten. Im Herbst geht der von ihm konzipierte Workshop beim Nürnberger Bildungszentrum in die dritte Runde. Der 29-Jährige bringt Teilnehmern erfolgreich bei, klar zu träumen und ihre nächtlichen Erfahrungen zu intensivieren. Seine Träume sind für den Künstler nicht nur Inspiration und Selbsterfahrung, sondern auch eine Menge Spaß. Schon oft konnte er im Traum etwas tun, das sich so viele Menschen wünschen: fliegen. „Denn im Traum“, schwärmt er, „sind die Möglichkeiten unendlich.“

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