Premiere am Staatstheater
Wenn Hass Menschen verbrennt: Warum Verdis "Troubadour" am Opernhaus so beklemmend aktuell ist
14.11.2021, 00:00 UhrDas einzige Licht dieser Aufführung stammt vom Feuer. Von Flammen, in denen Menschen verbrennen, von Flammen des Hasses, der Besessenheit und der Raserei.
Auch sonst folgt Regietheater-Altmeister Peter Konwitschny bei der Premiere von „Il trovatore“ (Der Troubadour) am Samstag im Opernhaus strikt den Szenenanweisungen von Giuseppe Verdis Werk, in denen immer wieder „Nacht“ gefordert wird.
Seine Bühne ist pechschwarz, die Chorkollektive der Soldaten – wir befinden uns in einem Bürgerkrieg im spanischen Mittelalter – sind feldgrau, die anderen Farben der Kostüme (Bühne und Kostüme Okarina Peter, Timo Dentler) heben sich umso greller vor diesem Hintergrund ab – auch das ein Symbol für Wahn und Manie.
Alle Figuren hier sind aufgewühlt, nein, aufgepeitscht. Graf Luna ist traumatisiert, weil sein Bruder angeblich als Kleinkind von der Zigeunerin Azucena ins Feuer geworfen wurde. In diesem verbrannte man vorher deren Mutter – aus Hexenwahn, Frauen- und Zigeunerhass.
Gleichzeitig ist Luna verrückt vor Liebe nach der adeligen Leonora. Die aber liebt den Troubadour Manrico, angeblich der Sohn Azucenas, tatsächlich aber der Halbbruder von Luna, weil Azucena damals ihr eigenes Kind verbrannt hat. So hasst Luna Manrico, den Liebesrivalen, der im Krieg auch noch der feindlichen Partei angehört. Beide wissen nicht, dass sie Brüder sind – aber würde das überhaupt etwas ändern an ihrem Hass?
Konwitschny, der dafür bekannt ist, die Temperatur seiner Inszenierungen gerne ins Hitzige zu steigern, wählt scheinbar ein Mittel der Distanzierung. Die vier Hauptfiguren kriegen ihre krassen Lebensgeschichten durch ein Puppentheater gespiegelt, spielen in dieser kleinen Bühne auf der Bühne mit ihren eigenen Stellvertreterpuppen. Womit der Regisseur auch auf das Artifiziell-Übertriebene des Librettos verweist – ebenso auf die Tradition solcher Stoffe in mündlich überlieferten Legenden, die in früheren Zeiten auf Jahrmärkten gespielt wurden.
Doch dieses Mittel der Distanzierung steigert die Intensität der Emotionen. Am stärksten, wenn Azucena vom Tod ihrer Mutter auf dem Scheiterhaufen erzählt und diesen dadurch immer wieder durchlebt. Eine „Zigeunerin“ zieht den hölzernen Klotz wie einen Thespiskarren auf die Bühne, bevor sie darauf erst vergewaltigt und dann verbrannt wird. Die lodernden Flammen, die sie umringenden Männer, schließlich ein verkohltes Skelett – diese Szene berührt so stark, dass der Rest der Inszenierung dazu keine Steigerung mehr findet.
Dennoch behält Konwitschny ein hohes Intensitätsniveau bei, arbeitet trotz der massiven Traumatisierungen und Fixierungen des Figurenquartetts auch Momente kolportagehafter Komik heraus. Etwa, wenn die Rivalen Luna und Manrico bei der Entführung Leonoras aus dem Kloster aufeinandertreffen und dabei das kleine Theaterhäuschen auf der Bühne sprengen. Oder wenn sich die Soldaten großmäulig für die Schlacht warmsingen, dabei aber nur Schnapsflaschen kreisen lassen.
Die Sängerinnen und Sänger, denen Konwitschny wie üblich darstellerisch viel abverlangt, setzen seine präzise Personenregie gekonnt um. Dalia Schaechter beeindruckt mit wild-farbigem Mezzo als eine Azucena, die von einem unstillbaren, furiosen Racheverlangen getrieben wird. Damit bleibt sie ebenso in ihrer traumatischen Vergangenheit gefangen wie Graf Luna, dessen Wunsch nach Vergeltung für den vermeintlichen Tod des Bruders ebenso stark ist.
Sangmin Lee überzeugt mit so kultiviertem wie kraftvoll zupackendem Bariton. Dieser Luna ist ein chauvinistischer Brutalo, seine vermeintliche Liebe zu Leonora nicht mehr als eine fixe Idee. Das gilt genauso für die Gefühle des Troubadours Manrico, den der bei der Premiere als indisponiert gemeldete Angelos Samartzis mit einem farbig erfüllten jugendlichen Heldentenor eine gute Portion Charme gab. Trotzdem ist dieser Troubadour blockiert von einer dysfunktionalen Mutterbindung zu Azucena.
Leonora kommt im toxischen Dreieck aus Luna, Manrico und Azucena unter die Räder und zahlt dafür mit ihrem Leben. Emily Newton gestaltet sie mit anfangs etwas engem, dann aber befreit strömenden Sopran als sehnsüchtig liebende, ansonsten ziemlich allein durch eine brutale Welt geisternde Frau von edler Gesinnung.
Konwitschny findet in all den Flammen des Hasses keinen Funken der Hoffnung. Wer von seinen Gefühlen so besessen ist wie die Menschen im "Troubadour", ist nicht mehr zugänglich für rationale Argumente, kann nicht mehr über das Chaos der eigenen Gedanken und Gefühle hinausblicken, ist nicht mehr dialogfähig und nicht mehr zu beruhigen. Damit wirft diese Inszenierung auch ein Schlaglicht auf unsere immer mehr zur Spaltung neigende Gesellschaft, indem sie zeigt, dass all diese wahnhaften Menschen eigentlich furchtbar allein und auf sich gestellt sind.
Jeder in seinem Hass gefangen
Jeder in seiner eigenen Hassblase - das ist packend, das ist deprimierend, das ist eine mehr als angemessene Interpretation dieser Oper mit der für Verdi charakteristischen schwarzen tinta musicale, einer abgrundtief düsteren Grundfarbe des Klangs.
Mitreißend musiziert
Dass der bedeutendste italienische Opernkomponist im Kontrast dazu solche schönen Melodien und eingängige Rhythmen geschaffen hat, verstärkt den Schmerz dieser Oper nur noch. Die Staatsphilharmonie Nürnberg bringt unter der Leitung von GMD-Stellvertreter Lutz de Veer die musikalischen Farben intensiv zum Leuchten, die Steigerungen reißen mit, treiben die Dramatik des Geschehens entschlossen voran.
Auch die von Tarmo Vaask mit emotionaler Glut disponierten und von der Regie klug geführten Chöre haben einen wichtigen Anteil an der dichten, ja beklemmenden Atmosphäre dieser Aufführung. Diesen „Troubadour“ sollte man nicht versäumen.
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