Gewitzter Händel in Salzburg feiert Premiere
Wie Cecilia Bartoli die Heidi Klum gibt
5.8.2021, 00:02 UhrHändels frühes Oratorium „Il trionfo del tempo e del disinganno“ (Der Triumph der Zeit und der – bitteren - Erkenntnis) ist ein theatralischer Zwitter. Der 22-Jährige Komponist weilte damals in Rom, wo der Papst ein Opernverbot verhängt hatte. Also wich er wie viele andere damals ins Oratorienfach aus.
Mit der tatkräftigen Hilfe ausgerechnet eines Kardinals als Librettisten schrieb Händel einen Geniestreich, in dem sich die allegorische Figur der Schönheit (La Bellezza) entscheiden muss, ob sie lieber dem Vergnügen (La piacere) folgt oder der Zeit (Il tempo) Tribut zollt, ihre Vergänglichkeit erkennt und sich deshalb der Erlangung von Lebensweisheit (Il Disinganno – was wörtlich eigentlich „Enttäuschung“ heißt) widmet. Und auch das „Vergnügen“ hat am Ende nichts mehr zu lachen.
Dass dieser Stoff und diese Musik ein ausgesprochener Opernknüller sein können, hat vor drei Jahren schon Folkert Uhde bei der ION 2018 in der Nürnberger Sebalduskirche angedeutet. Den endgültigen Beweis liefert nun die Inszenierung der Salzburger Festspiele, bei der die Spiellaune und die Musikalität Cecilia Bartolis im Mittelpunkt stehen.
Die Römerin und Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele hat die Produktion mit in den Sommer genommen, wo sie bei der Premiere am Mittwoch mit voller Wucht zündete.
Regisseur Robert Carsen baut den Laufsteg einer Castingshow a la „Germany's Next Topmodel“ ins Haus für Mozart, lässt Lichter blinken, einen Spiegel den Narzissmus der Akteure bedienen, lässt Tänzer tanzen, jagt jede Menge junger und schöner Menschen per Video durch Salzburg, um die Siegerin dieses Reigens zu „La Bellezza“ zu küren.
Die treibende Kraft des Spektakels ist Bartoli als „Vergnügen“. Mit kurzen Haaren und leuchtend rotem Hosenanzug übertrifft sie noch Heidi Klum, nimmt als eine Furie von PR-Agentin die „Schönheit“ unter ihre Fittiche und treibt sie mit unnachgiebigen Mezzo-Attacken zur Disco-Party mit Schampus und Drogen in den Exzess samt Sex mit dem DJ.
Regula Mühlemann wirkt trotz dieses Ausnahmezustands der „Schönheit“ mit ihrem jugendlichen Sopran immer ein Stück weit frisch und unschuldig.
Die Herren Tempo (Charles Workman mit noblem Tenor als Priester) und Disinganno (Countertenor Lawrence Zazzo mit heller Intonation als Therapeut) wandeln am Orchestergraben entlang und finden mit ihren unangenehmen Botschaften über die Vergänglichkeit erst mal kein Gehör. Auch eine Schock-Demonstration der „Zeit“ mit jungen, in Leblosigkeit erstarrenden Menschen bleibt ohne Wirkung.
Doch es gibt keine Gnade, die Schönheit kann den Zumutungen der Zeit nicht standhalten und Bartoli muss ihr Scheitern als „Vergnügen“ eingestehen. Sie tut es mit der schönsten Arie des Stücks, „Lascia la spina“. Für „Rinaldo“ formte Händel sie zu seinem Hit „Lascia ch'io pianga“ um, ebenso bediente er sich in rund 30 weiteren Werken aus diesem frühen Oratorienschatz.
Mit silbrigem Mezzo-Glanz und langsam verhauchend singt Bartoli auf der immer leerer werdenen Bühne des Lebens. Wenn in diesem Werk etwas annähernd alterslos ist, dann die immer noch gut trainierte und koloraturensichere Stimme der Bartoli.
Und natürlich Händels Musik, die weit über dem moralinsauren Libretto des Herrn Kardinals steht, in dem am Ende zwei besserwisserische Herren zwei Frauen den Lebensspaß austreiben und sie in gläubige Unterwürfigkeit zwingen.
Musikalisch lebt diese gelungene Produktion von den nobel intonierenden und variantenreiche Stimmungen evozierenden Instrumentalisten des Barockensembles Musiciens du Prince-Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano.
Und sie erinnert mit ihrem bühnenfüllenden Spiegel das sich selbst erkennende Publikum an das Dilemma der Corona-Zeit, in der der gesundheitlichen Vernunft zuliebe viel Vergnügens-Verzicht geübt werden muss und die Lebensfreude zu entschwinden droht.
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