Tanzverbot
Zwischen Frust und Hoffnung: Wie zwei Nürnberger Clubbetreiber Silvester verbringen
29.12.2021, 06:00 Uhr1. Oktober 2021, 22 Uhr, Innenstadt, Nürnberg: nach 565 Tagen dürfen in Bayern endlich wieder die Clubs und Diskotheken aufmachen. Es ist eine Nacht voller Vorfreude, gespannter Erwartung und auch ein wenig Bammel: Wie wird es sein, wieder dicht an dicht in einer schwitzenden Menge zu stehen? Die zuckenden Bewegungen des Tanzpartners unter den Stroboskoplichtern zu sehen und den Bass tief in der eigenen Brust zu spüren? Alles ohne Maske und Abstand, ganz entgegen der unablässig eingeübten Regeln der letzten 21 Monate. Über allem ist es aber eine Nacht der Unbeschwertheit, der Lebensfreude, der Euphorie.
Drei Monate später ist von dieser Euphorie nichts mehr übrig.
"Als wir wieder aufgemacht haben, waren Leute da, die noch nie in ihrem Leben im Club waren. Die gingen ab wie Schmidts Katze, das war unglaublich", sagt Tom Zitzmann, Betreiber des Nürnberger Techno-Clubs "Die Rakete" im Stadtsüden. Zitzmann ist ein Urgestein der Nürnberger Techno-Szene, die Rakete betreibt er nun seit knapp drei Jahren. Wobei Betrieb in dieser Situation nahezu absurd klingt, bei fünf geöffneten Wochenenden in den letzten zwei Jahren.
Vor allem der Techno lebt vom gemeinsamen Cluberlebnis, der Ekstase auf der Tanzfläche, der Bewegung. "Techno im Sitzen geht gar nicht, das mache ich nie wieder", erzählt der 53-Jährige. Anfangs habe er das versucht, die Idee aber schnell wieder verworfen. Im Sommer habe er sich dann mit vereinzelten Open-Airs und Livestreams im Internet auf Trab gehalten. Die meiste Zeit steckte er jedoch in Umbaumaßnahmen im Club.
Das wird klar, wenn man das Gelände an der Vogelweiherstraße betritt. Wenig erinnert aktuell daran, dass hier sonst einige der renommiertesten DJs aus der Sparte der elektronischen Musik gastieren. Bauzäune, Betonplatten, aufgerissene Leitungen: die Rakete wurde und wird seit eineinhalb Jahren rundum erneuert. "Für uns war das Ablenkung und Arbeitsbeschaffung zugleich. Unserer normalen Tätigkeit konnten wir ja nicht nachgehen", erklärt der Clubbetreiber. Was dabei beeindruckt: der ungebrochene Optimismus und die kreative Energie, die Zitzmann nach wie vor für seine Sache aufbringt. Für Clubbetreiber und Veranstalterinnen ist ihre Arbeit oft nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Hobby, täglich Brot und Lebenselixier zugleich.
Ähnlich verhält es sich bei Dominique Lamee. Die Nürnbergerin ist selbst DJ und betreibt zusammen mit einem Geschäftspartner das Haus.33, einen weiteren Techno-Club in Nürnberg. Das "Haus", wie sie es liebevoll nennt, hat sich in den letzten Jahren einen Namen für Techno der schnelleren Gangart gemacht, begrüßt viele jüngere Gäste. Lamees Booking und Konzept werden gut angenommen von der Szene, auch als DJ lief es hervorragend vor der Pandemie: wenn sie nicht im Club gebraucht wurde, legte sie fast jedes Wochenende an einem anderen Ort in Deutschland auf. Auch für sie ist ihre Arbeit Berufung. Umso bemerkenswerter, dass sie im Gespräch gleich zu Anfang selbst Fragen nach der Zukunft aufwirft: "Ich habe mich in letzter Zeit schon manchmal gefragt, wie lange das alles noch gehen kann und ob ich hier nicht meine Zeit verschwende." Trotzdem ist ihre Motivation noch hoch, auch wenn sie die Auftritte und den Clubbetrieb ähnlich vermisst wie Kollege Zitzmann.
Der Techno in Nürnberg hat eine lange Tradition. Von Raves in der alten Posthalle am Bahnhof mit 1500 Leuten erzählt Zitzmann. Wie Anfang der 90er Jahre gemeinsam mit der Nürnberger Techno-Legende Marusha in der Diskothek One gegenüber des Volksbades erstmals elektronische Musik aufgelegt wurde und die DJs fast aus dem Club geworfen wurden. Oder wie bei einem Open Air im ehemaligen Zoom (heutiger Z-Bau) die Leute unter dem Motto "Matrix" im Cyberpunk-Outfit tanzten.
Im Augenblick scheint das alles sehr weit weg.
Die Wintermonate sind für Diskotheken normalerweise die umsatzstärksten des Jahres. Nach der aktuellen Lage gefragt mischen sich Hoffnung und Skepsis: "Silvester fällt jetzt natürlich komplett flach. Das ist schon bitter. Da hätten wir drei Tage Party ohne Unterbrechung gehabt", so Zitzmann. Wenigstens funktionieren die Hilfsmaßnahmen in Bayern einigermaßen reibungslos. Das Spielstätten- und Veranstalterprogramm des Freistaates sei zwar ein Dschungel, aber im Vergleich zu Kollegen aus Italien oder Spanien, bekämen Veranstalter und Betreiber in Deutschland zumindest etwas Unterstützung, erklärt Zitzmann.
Für ihn – genauso wie für Dominique Lamee - gibt es letztlich aber keine Alternative. Was auch tun, wenn der Beruf zur Berufung geworden ist? Da kann vieles kommen, auch eine weltweite Pandemie historischen Ausmaßes. "Musik war immer der Antreiber - einmal elektrisch, immer elektrisch. Wenn das auch noch fehlt, können wir den Laden zusperren", beendet Zitzmann das Gespräch. Worte, die nachhallen, in dieser stillen Zeit.
4 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen