Fürther SPD-Politiker: "Mindestens eine Flasche Wein am Tag"

11.3.2013, 08:00 Uhr
Fürther SPD-Politiker:

© Stephan Sohr

NZ: Herr Arnold, sind Sie Alkoholiker?

Arnold: Ja. Zumindest ein trockener, wenn man die Kriterien der Medizin anlegt: gewohnheitsmäßiger, verdichteter Umgang mit Alkohol. Es gibt unterschiedliche Grade davon, aber wenn der Alkohol einmal eine so große Rolle spielt, dass man täglich überlegt, ob man trinkt oder nicht, dann ist das schon nicht normal.

NZ: Ich trinke auch gerne jeden Tag Getränke mit Alkohol zum Essen, Wein oder Bier, weil es mir eben besser schmeckt als Tee oder Wasser. Was ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir?

Arnold: Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass ich für mich die Entscheidung gefällt habe, keinen Alkohol mehr zu trinken, auch wenn ich weiß, dass Wein gut schmeckt. Dies, weil ich weiß, dass es schwierig ist, Maß zu halten.

NZ: Warum?

Arnold: Man kommt, insbesondere in der Öffentlichkeit, zu vielen Gelegenheiten, wo es darum geht, Alkohol zu trinken. Da ist es sogar salonfähig, um nicht zu sagen: gewünscht. Daraus entsteht eine gewisse Lässlichkeit, so dass man irgendwann die Grenzen nicht mehr kennt.

NZ: Wie ist es bei Ihnen so weit gekommen? Ist Ihnen der Umgang mit Alkohol über die Jahre hinweg entglitten?

Arnold: Ja. Ich hatte 17 Jahre lang überhaupt nichts getrunken, das war die Folge einer Hepatitis-Erkrankung. Um die Jahre 1999/2000 habe ich sachte damit begonnen, wieder Alkohol zu trinken. Das hat sich von der Schlagzahl her erhöht. Wenn man sich dann hängen lässt, werden die Frequenzen höher. Dann ist man sehr schnell dabei, Dinge zu verdrängen. Alkohol ist in Vehikel dafür, Dinge zu verdrängen, aber auch zu dramatisieren, Hemmungen zu mindern. In dieser Zeit bin ich in die neue Rolle des Berufspolitikers hineingewachsen, die sich stark vom geregelten Leben eines Richters unterscheidet. Ich vertrete die Ansichten der Sozialdemokratie, insbesondere zu sozialer Gerechtigkeit, zu 100 Prozent. Wenn aber in der Öffentlichkeit mehr darüber sinniert wird, ob ich zwei, drei oder kein Bier getrunken habe, dann ist meine Glaubwürdigkeit maximal reduziert. Ich habe viel zu viel zu sagen und einzubringen, als dass ich das aufs Spiel setzen wollte – deshalb habe ich mich entschlossen, Tabula rasa zu machen. Ich wollte, gerade als jemand, der in der Öffentlichkeit steht, zeigen, dass es Mittel und Wege gibt, dies in den Griff zu bekommen.

NZ: Welches Ausmaß hatte ihre Alkoholsucht am Schluss?

Arnold: Grundsätzlich möchte ich sagen: ich war nicht im Dauerdelirium. Es gab Tage, da habe ich in der Öffentlichkeit gar nichts getrunken. Aber es war ein Fehler zu sagen, in der Öffentlichkeit trinke ich nichts, wenn dann der berühmte Absacker im privaten Bereich dies kompensiert. Ich gehe davon aus, dass es am Ende mindestens eine Flasche Wein am Tag gewesen sein muss, teilweise auch mehr. Dazu kam, dass meine Ernährung nicht die beste war, so dass ich sehr schnell betrunken war.

NZ: Hat sich ihr Alkoholproblem verschärft, als sie Berufspolitiker wurden?

Arnold: Ich würde das nicht in diese Kategorie einordnen. Es geht darum, wie man sich persönlich fühlt, welche Probleme man hat und ob der Alkohol als Kompensation dafür dient. Dazu kamen private Probleme und Schicksalsschläge. Diese Gemengelage hat das ein Stück weit verdichtet. Aber wenn sie im Landtag sind, dann stehen sie in der Öffentlichkeit. Wenn sie von 30 Tagen im Monat fünf schlechte haben, dann werden in der Öffentlichkeit daraus schnell 30 schlechte Tage. Durch das eigene Fehlverhalten nimmt man sich den Nimbus der Seriösität. Diesen Prozess habe ich unterschätzt. Man legt sich zwar eine dicke Haut zu und gerät in einen Prozess der Selbstverteidigung, aber ich habe dabei außer Acht gelassen, wie es mir tatsächlich geht. Es gab Tage, da ging es mir sehr schlecht, weil ein Absacker am Abend dazu führte, dass man am nächsten Tag erst um elf Uhr hochkommt. Für meine eigene Zielsetzung, Volksvertreter zu sein und politische Probleme zu lösen, war das vollkommen falsch gewesen. Irgendwann hat dann auch das eigene Umfeld resigniert.

NZ: Gab es einen Auslöser, ein Gespräch, das bei Ihnen dazu führte, sich zu outen?

Arnold: Ja, gab es. Kurz vor der geplanten Nominierung für die Landtagswahl im September haben mir einige Genossinen und Genossen gesagt, dass es mit meiner Nominierung große Probleme gäbe. Das hat mich zum einen brüskiert, zum anderen dachte ich, ich würde es nochmal in den Griff bekommen. Dies war aber untauglich, um öffentlich zu sagen: ich bin bereit, das Problem zu benennen, es anzugehen und hinterfragt zu werden. Die Frage „Wie geht’s Dir?“ hat danach bei mir immer eine gewisse Beklommenheit ausgelöst, aber ich habe dadurch an zwischenmenschlicher Tiefenschärfe gewonnen und viel Zuspruch, aber wenig Kritik erhalten.

NZ: Auch ich frage: Wie ging es Ihnen?

Arnold: Ich habe mich sofort in ärztliche Behandlung gegeben und mich durchchecken lassen. Es hat sich herausgestellt, dass organisch alles in Ordnung ist. Das hat mir den Schub gegeben, dass es der richtige Zeitpunkt ist, weiterzumachen.

NZ: War das öffentliche Bekenntnis eine Erleichterung oder überwog die Angst davor, was nun in der Öffentlichkeit über Sie geredet wird?

Arnold: Es war demütig. Man ist so klein mit Hut wie man vorher nie war. Die Blicke, die einen treffen, sind anders. Es waren absolut gemischte Gefühle, weil ich nicht wusste, was kommt. Ich wusste nur eines: dass Wahrheit und Klarheit in dem Fall das einzige ist, was hilft. Ich habe aber auch das Selbstbewusstsein zu sagen, dass ich meine Arbeit nie schlecht gemacht habe.

NZ: Sie haben sich entschlossen, nicht in eine stationäre Entzugsbehandlung zu gehen. Meinten Sie, dass es so schlimm dann doch nicht ist?

Arnold: Die Herausforderungen des Trockenseins stellen sich nicht in einer Klinik, sondern vor Ort. Ich kannte es ja aus der Zeit, als ich nichts getrunken hatte, dass das geht. Es war, als würde ich einen Hebel umdrehen. Ich hatte keine Entzugserscheinungen, gar nichts. Ich habe von heute auf morgen gesagt: Schluss. Dafür habe ich mich stark genug gefühlt. Mein Arzt hat auch gesagt, er sieht keinen Anlass für eine stationäre Therapie.

NZ: Inwiefern läuft ihr Leben heute anders als zuvor?

Arnold: Ich war früher bekannt als Schwimmer und schwimme heute wieder regelmäßig meine 1000 Meter. Mein liebster Platz in München ist das Müller’sche Volksbad, übrigens ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man ein Jugendstilbad betreibt. Ich habe meine Ernährung umgestellt, weniger Kohlehydrate, wenig Fett. Ich bin wieder passionierter Teetrinker. Das nächste, was vielleicht kommt, ist, das Rauchen einzustellen. Aber man muss irgendwann auch sagen: es reicht. Ich bin nicht

dazu da, in der Öffentlichkeit vom Saulus zum Paulus zu werden, sondern es geht darum, dass ich mich wohlfühle.

NZ: Hat sich ihr Körpergefühl verändert?

Arnold: Ja. Ich fühle mich grundsätzlich fit. Das Selbstvertrauen ist sehr groß, die Zuversicht auch. Es ist eine Genugtuung für mich zu wissen, dass Alkohol für mich nicht notwendig ist. Es ist gut, durch die Welt zu laufen, unbeschwert und frei.

NZ: Würden Sie sagen, Sie haben es geschafft?

Arnold: Ja.

NZ: Heißt das für Sie, dass das Thema Alkohol auf Lebenszeit erledigt ist?

Arnold: Ich würde sagen, es spielt für mich keine Rolle mehr. Mir ist es seitdem einmal passiert, dass ich in eine Alkoholpraline gebissen habe, die habe ich wieder ausgespuckt. Das ist für mich auch eine Frage der persönlichen Ehre. Obwohl von meinem 50. Geburtstag her der Keller noch mit wohlwollenden Geschenken gut gefüllt ist...

NZ: Haben Sie Angst davor, dass auch nur ein winziger Tropfen Alkohol zu einem Rückfall führt?

Arnold: Nein, Angst habe ich keine. Grundsätzlich möchte ich sagen, dass die Vorstellung der Öffentlichkeit von einem Alkoholiker ja die ist, dass der den ganzen Tag sinnlos betrunken am Hauptbahnhof herumhängt und keinen Fuß vor den anderen kriegt. Das war ja bei mir nie so.

NZ: Welche Reaktionen haben sie von Abgeordnetenkollegen im Landtag bekommen?

Arnold: Ich bin von meiner Fraktion absolut positiv behandelt worden. Auch von Seiten der CSU wurde das sofort akzeptiert. Einige haben mir gesagt, dass sie meinen Schritt respektieren – es selbst aber nicht schaffen würden.

NZ: Deutet das darauf hin, dass Sie im Landtag kein Einzelfall waren oder sind?

Arnold: Ich weiß, dass ich weder in der Politik noch in der Gesellschaft ein Einzelfall bin.

NZ: Haben Sie das Gefühl, dass Sie seitdem anders, verstärkt beobachtet werden?

Arnold: Ja. Ich wollte, es wäre nicht so, aber das ist das Leben in der Öffentlichkeit. Es wird wohl immer so sein, dass geschaut wird, ob der Arnold nicht vielleicht doch was trinkt. Es ist gang und gäbe, dass ich gefragt werde, ob mein Tee vielleicht mit Schuss ist. Einigen, die mit dem Pilsglas in der Hand mit mir reden und fragen, wie ich denn so schön schlank geworden bin, sage ich dann schon: weniger trinken und Sport machen. Es sind seitdem schon etliche auf mich zugekommen, die mir ihre eigenen Probleme geschildert haben. Das zieht sich durch alle gesellschaftlichen Kreise. Es ist keine Schande.

NZ: Was wäre mit Ihnen passiert, wenn Sie diesen Schritt nicht gemacht hätten?

Arnold: Dann wäre mein Problem im Wahlkampf wahrscheinlich zunehmend thematisiert worden...

NZ: Wären Sie überhaupt nominiert worden?

Arnold: Ich gehe davon aus, mit einem schlechteren Ergebnis. Es wäre nichts übrig geblieben von einem politischen Auftrag, sondern nur das Problem Horst Arnold. Eine Person wird dadurch völlig entwertet. Darin wäre ich vielleicht versunken. Jetzt aber bin ich nicht mehr angreifbar.

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