Hinter der fränkischen Architektur steckt auch viel Funktion

21.9.2016, 19:27 Uhr
Christine Degenhart (52)

© Foto: Astrid Eckert Christine Degenhart (52)

Frau Degenhart, können Sie jetzt mitbestimmen, wie in Bayern gebaut wird?

Christine Degenhart: (lacht) Na ja, das bestimmen immer noch die Bauherren und Architekten, auf der Grundlage der Bauordnung und der verschiedenen Vorschriften der Gemeinden. Die Architektenkammer steht den Architekten dabei zur Seite. Und sie versucht im Rahmen ihrer Möglichkeiten, viel regionaltypisches Bauen und Baukultur zu vermitteln.

Fränkische Architektur — das ist für viele nur hübsches Fachwerk wie etwa in Rothenburg ob der Tauber. Sehen Sie das genauso?

Degenhart: Ich sehe das differenzierter: Natürlich gibt es diese pittoresken Orte, die geben ein gutes Profil und locken viele Gäste an. Aber es steckt hinter der Architektur viel Funktion: Warum wurden steile Dächer gebaut, warum wurde so viel Holz verwendet? Es ist wichtig, das zu hinterfragen, um zu wissen, wie man damit umgeht. An Franken mag ich, dass das Fachwerk nicht nur süß ist. Die Architektur hat eine gewisse Strenge und ist nicht so opulent wie in Oberbayern. Die Gebäude sind sehr funktional.

Und welche Funktion haben die steilen Dächer in Franken?

Degenhart: Diese Bauweise ermöglichte es, dass der Regen besonders gut abfließen kann. Dadurch konnte in den Dachböden Hopfen getrocknet und gelagert werden. So steile Dächer zu bauen war übrigens auch nur möglich, weil Holz in Franken als Baumaterial reichlich zur Verfügung stand. Diese Art von Architektur ist hohe Baukunst.

Architekt ist ja ein männlich assoziierter Beruf: Es geht viel um Mathe, räumliches Vorstellungsvermögen und Baustellen. Stimmen Sie dem zu?

Degenhart: Wenn ich zurückdenke, warum ich diesen Beruf ergriffen habe, dann gebe ich Ihnen recht — das waren eben diese Gebiete, die mich interessiert haben. Außerdem hat der Beruf auch einen künstlerischen Anteil. Und ein Architekt muss sich in die zukünftigen Bewohner und Benutzer hineindenken können: Welche Menschen werden dort mal arbeiten, wie tickt die Gemeinde, wenn ich das Rathaus so baue? In diesen Fragen sind meiner Meinung nach Männer und Frauen gleich gut.

Bauen weibliche Architektinnen anders als männliche Architekten?

Degenhart: Mal überlegen . . . Ehrlich gesagt traue ich es mir nicht zu, ein Gebäude einem Mann oder einer Frau zuzuordnen, wenn ich den Architekten nicht kenne. Ich sage also Nein.

Sind Frauen und Männer für die Herausforderungen der Architekturbranche gleich gut gerüstet?

Degenhart: Die eine Herausforderung betrifft alle von uns gleichermaßen: Denn die Honorarordnung wird momentan von der europäischen Kommission infrage gestellt. Sie definiert das Honorar eines Architekten genau und schützt alle, Architekten wie Bauherren, vor Dumpingpreisen — und fördert damit auch die Baukultur.

Und es wird immer schwieriger für kleine Architekturbüros, auskömmlich zu arbeiten. Doch gerade die sorgen für Baukultur im ländlichen Raum. Außerdem lassen sich gerade außerhalb der Ballungsgebiete der Beruf und andere Dinge, wie zum Beispiel Familie, flexibel vereinbaren. Ich bin sehr vorsichtig mit dieser Aussage, aber ich sehe das in meinem Umfeld: Viele Kolleginnen, und zunehmend auch Kollegen, können deshalb im ländlichen Raum sehr gut arbeiten.

Und welche Herausforderungen hält das Bauen in Zukunft bereit?

Degenhart: Zum einen die Energiewende: Hier sind Architekten mit der Planung energieeffizienter Gebäude besonders gefordert. Daneben müssen aber auch bestehende Bauten optimiert werden. Und zum anderen werden die Menschen so alt wie noch nie. Es sind also neue Wohnformen nötig, Barrierefreiheit wird immer wichtiger. Jeder sollte seinen Nachbarn begegnen und soziale Kontakte pflegen können.

 

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