50 Jahre Schauspielhaus: Sturm der Leidenschaften und Intrigen

10.09.2009, 00:00 Uhr
50 Jahre Schauspielhaus: Sturm der Leidenschaften und Intrigen

© Guttenberger

Am Anfang gab es Händel. Georg Friedrich Händel. Die Ouvertüre zu «Alcina». Dann gab es Reden, Reden, Reden. Und schließlich doch ein wenig Bühnenkunst: «Impromptu» von Jean Giraudoux, jene leichtgewichtige, poetische und ironische Reflexion über das Wunder Theater. Hermann Hom, der ebenso belesene wie skurrile Regie-Senior der Städtischen Bühnen Nürnberg-Fürth, hatte es inszeniert. Und alle waren stolz und glücklich: Nürnberg hatte, nach der Behelfslösung Lessingtheater, endlich ein neues Schauspielhaus.

Das war am Vormittag des für Nürnberg denkwürdigen 9. September 1959. Nach der «Feierstunde» ging es zum Empfang mit kaltem Büfett in den Deutschen Hof, und am Abend wurde Schillers «Wallenstein» auf die noch jungfräulichen Bühnenbretter gewuchtet, in der vom Dichter gekürzten Hamburger Fassung von 1802, die wahrscheinlich seit dieser Zeit nie wieder aufgeführt worden ist. Hesso Huber hat inszeniert, Erich Musil spielte den Wallenstein, Christa Berndl die Thekla, Klara Klotz die Gräfin Terzky, Heinrich Cornway den Buttler.

Für Abergläubische war der weitere Verlauf der Eröffnungswoche kein gutes Omen. Hesso Hubers Regie wurde fast einmütig als zu halbherzig kritisiert, und in der ersten öffentlichen Wallenstein-Vorstellung kam der Hauptdarsteller abhanden: Erich Musil erlitt einen Nervenzusammenbruch, aus München wurde Kurt Biedermann geholt, der dann die Titelrolle im Kostüm mit dem Textbuch in der Hand mehr schlecht als recht gab. Größeren Erfolg hatte die zweite Premiere, «Belagerungszustand» von Albert Camus, mit Hans Otto Ball als Diktator und der über Jahrzehnte hinweg großen personellen Konstante des Nürnberger Theaters Erich Ude als Diego.

Der Bau selbst wurde allgemein gerühmt, das Spiel von Glas und Naturstein, die breite Treppe zum Wandelgang, der kubische Zuschauerraum mit den holzverschalten Lamellenwänden, der Balkon, die Farbgestaltung (rote Decke, weiße Kuppel, smaragdgrüne Bestuhlung): Durchweg gute Lösungen. Dazu vor dem Theater noch das verlassene Straßenbahngleis: Eine absurde Einladung ins Nirgendwo, Endstation Sehnsucht.

Es war eigentlich ein Umbau. 1951 ist an diesem Platz auf den Trümmern des im Bombenhagel vernichteten Hercules-Velodroms ein Kino für die Amerikaner entstanden, mit Clubräumen und Tanzsaal, und der junge Architekt Theo Kief, ein Schüler Sep Rufs, hat dies so gebaut, dass später ein Theater daraus werden konnte.

1975 kam Hans Dieter Schwarze als neuer Schauspielchef. Der hielt sowohl die Akustik wie die Ästhetik als auch den Namen des Schauspielhauses für ungenügend, verkündete das Volkstheater samt dessen Theorie und fand bei Kulturreferent Hermann Glaser offene Ohren. Mit Horst Fink wurde dann auch ein im Theaterbau unerfahrener Architekt gefunden, der einen steil ansteigenden amphitheatralischen Zuschauerraum schuf, mit von 942 auf 563 verringerten Sitzplätzen. Fink kritisierte den in der Tat anfechtbaren Empfang des Theaterbesuchers über eine große Treppe, von der es dann ins Parkett wieder abwärts ging. Er schuf dafür ein neues Auf und ab: Um die mittleren Parkettreihen zu erreichen, musste man zunächst steil hinauf- und dann noch steiler hinabsteigen, mit der Folge, dass zwei Begrenzungsstangen für allerlei turnerische Übungen herhalten mussten. Grund zu klagen hatten auch alle, deren Körpergröße durchschnittlich oder gar überdurchschnittlich ist. Man erzählt sich, Horst Fink und

Baureferent Otto Peter Görl hätten sich beim Probesitzen nicht vorstellen können, dass es Größere als sie geben könne.

Hans Dieter Schwarze hat das Haus, für das er engagiert wurde, nie bespielt. Vor der Eröffnung ist er abhanden gekommen. Eine Saison lang ist sein Ensemble im mobilen Theaterwagen herumgezogen, in der Alten Messe aufgetreten, im Scharrer-Gymnasium, im Planetarium, und für die Klassiker gab es unter der Theaterbaustelle die Kammerspiele, wo Wolfram Mehring eine «Was Ihr wollt»-Aufführung mit Günter Strack als Tobias Rülp und der «Klimbim»-Ulknudel Elisabeth Volkmann als Viola zeigte und Dieter Borsche als Teiresias in der «Antigone» erschütterte.

«Volkstheater ist die Sauna für Geist und Seele», verkündete Schwarze. In der Alten Messe zog er die Großveranstaltung «Gesucht: Volkstheater» auf. Gefunden wurde es nicht, trotz eines markanten Plakats von Michael Mathias Prechtl, dem Fitzgerald Kusz ein Gedicht widmete: «middn undä di leid / hockd dä kritiker / und bedrachd allers / durch sei brilln: / fei ned ferchdn, / des is fei / volksdeoodä.»

Dann brach das Volkstheatergebäude zusammen. Produktionschef Hans-Walter Deppisch starb über Nacht, und damit fehlte die Organisationshand für die bis ins Detail konzipierte Spielplankonstruktion der kommenden fünf Jahre. Schwarze meldete sich krank, kurz darauf war das Vertragsverhältnis beendet. Der gescheiterte Volkstheaterchef war, so seine Erklärung, «der Überzeugung, dass sein offener Führungsstil nicht den Erfordernissen des Nürnberger Betriebes entspricht». Das Ensemble, dessen Spitzenkräfte rat- und führungslos und traurig vor dem Theatereingang herumstanden, machte jedoch nicht den Eindruck, das Ende des Volkstheaters habe am «offenen Führungsstil» gelegen. Sie waren ja nicht informiert.

Eine Spur ist geblieben: Dramaturg Friedrich Schirmer, inzwischen kommissarischer Leiter, hat am 7. Oktober 1976 in den Kammerspielen die noch von Schwarze geplante Uraufführung des Dauerbrenners «Schweig,Bub!» von Fitzgerald Kusz inszeniert, ein Erfolg, der nun schon 33 Jahre fast unvermindert anhält, ein Unikum in der deutschen Theatergeschichte.

Zur Wiedereröffnung des umgebauten Musentempels konnte nicht, wie vorgesehen, «Ein Sommernachtstraum» gegeben werden. Günter Büch musste einspringen, und er tat dies mit einer Tucholsky-Revue «Im Grünen fing’s an», ein schwungvoll-unterhaltender, auch provokanter Kraftakt, aber eben kein Shakespeare.

Mit dem allzu früh verstorbenen Günter Büch ist damals eine der prägenden Figuren der Vor-Schwarze-Ära zurückgekehrt. Er hat noch unter Hesso Huber mit entfesseltem Theater - Handke-Aufführungen beispielsweise - für starke Akzente gesorgt, wie denn überhaupt unter Huber immer wieder überragende Leistungen der Gastregisseure für manche Routine-Arbeiten reichlich entschädigten: Stavros Doufexis mit «Die Reiter» von Aristophanes, Jorge Lavelli mit «Der Architekt und der Kaiser von Assyrien» von Fernando Arrabal, der noch blutjunge Luc Bondy mit «Die Stühle» von Eugène Ionesco.

Mit dem Duo Hansjörg Utzerath und Jörg Wehmaier kündigte sich 1977 ein Theater voller Kraft und Saft und Leidenschaft an, und die Eröffnung mit Gerhart Hauptmanns «Rose Bernd» in Karl Kneidls Reifen-Bühnenbild war ein viel versprechender Paukenschlag. Doch Intrigen blieben nicht aus, das Duo zerbrach, das hohe Niveau des Anfangs konnte nicht 15 Jahre lang anhalten. Aber es gab immer wieder beachtliche, unvergessliche Inszenierungen Utzeraths, Brechts «Baal» beispielsweise, oder die beiden mutigen Griffe in die braune Vergangenheit, «Hitlerjunge Quex» im Schlamm der Geschichte und den berüchtigten Jud-Süß-Stoff in der Dramatisierung Paul Kornfelds. «Utz» musste einen Schauspieler-Aufstand und die vorübergehende Schließung des Theaters wegen einer Asbest-Sanierung überstehen, das zerrte an den Nerven.

Was dieses Theater an ihm hatte, wurde klar, als Raymund Richter, der nach ihm künstlerischer Direktor des Schauspiels wurde, kapitulieren musste. Sein Nachfolger Holger Berg gab mit Kleists «Familie Schroffenstein» eine glänzende Visitenkarte ab und hatte mit seinen Klassiker-Inszenierungen großen Publikumserfolg. Doch er wollte sich partout nicht in dass Gesamtkonzept der Generalintendanz einfügen, nicht unter Lew Bogdan und schon gar nicht unter Wulf Konold.

Mit Klaus Kusenberg, der vor nunmehr neun Jahren sein Amt als Schauspieldirektor angetreten hat, ist wieder Ruhe eingekehrt. Und viel Neugier. Im Spielplan trägt er mit eigenen Inszenierungen zur soliden Basis bei und lässt die Gastregisseure Georg Schmiedleitner (unvergessen seine aufregende Blut-Orgie «Margaretha di Napoli») und Stefan Otteni («Maria Stuart») die Glanzlichter setzen.

Bezeichnend für den Kusenberg-Stil ist seine Einladung, auf der Schauspielhaus-Baustelle am kommenden Samstag ungezwungen und fröhlich, «eher sentimental als festlich» mit dem Ensemble den 50. Geburtstag des zum dritten Mal sich verändernden Schauspielhauses zu feiern. Ohne große Reden. Und ohne Händel. Gustav Roeder

Keine Kommentare